Heartfield: "Millionen stehen hinter Hitler"

Rallye „Spurensuche Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945“

Ein Projekt der VVN/BdA NRW

 

11.09.2017

Vergessene Massenverbrechen in der Kriegsendphase

Treffen in Lüdenscheid vorgeschlagen: Neuen Gedenkmarsch planen

Der Gedenkstättenleiter der Gestapozellen im Alten Lüdenscheider Rathaus, Matthias Wagner, hat die Initiative ergriffen, um die Recherchen und Aktionen zur Erinnerung an fast vergessene NS-Massenverbrechen aus dem Frühjahr 1945 voranzubringen. Ein Gedenk-Marsch für das Leben fand vom 27.2. bis 1.3.2015 in Südwestfalen statt. Darüber ist wenig bekannt geworden. Es ist geplant, diese Aktion zu wiederholen. Wir informieren über den Hintergrund des Gedenkens und über den Aufruf von 2015:

1. Der Beschluss:

Beschluss der Landeskonferenz der VVN/BdA am 18. Februar 2017 in Düsseldorf: Aufklärung über fast vergessene Massenverbrechen in der Kriegsendphase

Die VVN-BdA in Köln, Bergisches Land, Südwestfalen u.a. Orten werden dabei unterstützt, die Recherchen zur Erinnerung an fast vergessene NS-Massenverbrechen aus dem Frühjahr 1945 voranzubringen.

Die Gestapo hat auch hier im Westen (Gestapo-Leitstelle Köln) eine (fast vergessene) Blutspur  hinterlassen. Von Köln aus wurden mindestens 700 - nach mündlichen Angaben von Zeitzeugen mehr als tausend - Gefangene aus Belgien, den Niederlanden, Luxemburg und dem Rheinland vor den heranrückenden Westmächten durch das Bergische Land, z.B. Wipperfürth und Lindlar-Berghausen/Kaiserau (wo eine Massenhinrichtung stattfand) in das älteste AEL Lüdenscheid-Hunswinkel und zu dem ca. 2 km entfernten Exekutionsort Hühnersiepen getrieben, wo im März und frühen April 1945 ca. 300 hingerichtet wurde. Heute ist der entlegene Fleck eine kleine Kriegsgräberstätte. Es wäre sinnvoll, einmal das Einzelwissen, das kürzlich teilweise entdeckt wurde, bei einem Treffen zusammenzubringen. Denn leider gibt es über diesen Bereich in den Landesarchiven sehr wenige Informationen.

Matthias Wagner

Der Text des Initiativantrages wurde von der Landesdelegiertenkonferenz der VVN-BdA NRW beschlossen.

--> siehe auch: http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/1723_ldk2017_initiativantrag2.htm

2. Der Flyer von 2015

Einladung an Nachdenkliche und Sportliche

70 Jahre nach der Vertreibung von NS-Häftlingen des Rheinlands ins AEL Lüdenscheid-Hunswinkel (heute: Versetalsperre, Nähe Klamer Brücke)

Im Arbeitserziehungslager Lüd.-Hunswinkel kamen mindestens zwei jüdische Rheinländer ums Leben: Der Kaufmann Israel Servos aus Bonn (7.7.1886-1.4.1945) und Bertha Schlaus (1.6.1874-4.4.1945) aus Mehlem. Grabsteine auf dem Lagerfriedhof Hühnersiepen erinnern an sie. Elly Bockemühl (Eitorf/Köln), die aus politischen Gründen inhaftiert war, gab am 6.9.1984 dem Historiker Peter Witte (Hemer) zu Protokoll:

„Da waren luxemburgische und belgische Juden. Die durften immer nur um die Baracke rumgehen und auch nicht mit uns sprechen. Da sagte ich schon immer: Das sind aber feine Leute! Die waren sehr gut angezogen. Eines Morgens hören wir es knallen. Da haben die die ganze Baracke erschossen. Die ganzen Frauen. Und die mussten sich nackend ausziehen. Wo die geblieben sind, das weiß ich nicht.“

Einladung an Nachdenkliche und SportlicheZu dem Bericht passt der von dem ehemaligen Zwangsarbeiter Victor Kapljuk, der Ende 1944 in das Lager eingewiesen wurde und 1993 im Rahmen der Städtepartnerschaft zwischen seiner Heimatstadt Taganrog und der Partnerstadt Lüdenscheid folgenden Bericht gab:

„Dann wurde ich nach Lüdenscheid gebracht. Als ich zum Staudamm der Versetalsperre kam, waren die Arbeiten daran schon beendet. Neben dem Lager Hunswinkel war ein Bauernhof. Die Baracken wurden demontiert. Die Einzelteile der Baracken wurden zum Bahnhof nach Lüdenscheid gebracht und dort verladen. Ich musste die Baracken abbauen. Es waren insgesamt 25, in denen die Arbeiter gewohnt hatten, die den Damm gebaut hatten. Als ich dort ankam, gab es keine Arbeiter mehr, nur noch wir 34, die die Baracken abbauen sollten. Innerhalb von drei Monaten haben wir bis zum Januar 15 Baracken abgebaut. Als sich im Februar 1945 schon die Amerikaner (von Aachen aus, d. VF.) näherten, wurden Deutsche von Soldaten und der Gestapo aus Köln nach Lüdenscheid evakuiert. Die übrig gebliebenen Baracken füllten sich wieder mit Gefangenen aus Köln. Man hat uns gezwungen, dort Gräber auszuheben. Die waren für die Kölner Flüchtlinge (richtig: Häftlinge, d. Vf.) bestimmt, die dort erschossen wurden. Ich kann mich noch an 30 Mädchen erinnern, die in Handschellen zum Erschießen geführt worden sind. 350 Menschen sind dort ums Leben gekommen. Und es gab 50-60 Leute, die über die Straße gegangen kamen und nicht aus dem Lager stammten. Sie mussten sich zunächst auf den Boden setzen und warten, bis wir die Gräber ausgehoben hatten, und dann wurden sie erschossen. Nur einer von denen ist am Leben geblieben. Ich habe ihn drei Monate später wiedergesehen.“

Einladung an Nachdenkliche und SportlicheDer britische Offizier B. N. Reckitt kam mit der 1. US-Armee am 11.4.1945 in das Lager:

„Ein einarmiger Priester begrüßte uns in seiner Rolle als Lagerführer. Die Gestapo-Wachen waren geflohen und er war erst mit einer Gruppe Juden, Holländern und Holländerinnen, dort gerade erst hingekommen nach einem einwöchigen Fußmarsch von Köln und praktisch ohne Verpflegung. Einige aus seiner Gruppe waren unterwegs gestorben. Im Lager waren noch einige der ursprünglichen Insassen verblieben, die wegen geringfügiger politischer Verbrechen, oder nur weil sie jüdische Blutsverwandte hatten dort waren. Ein deutsches Mädchen von ungefähr 17 Jahren war Mitglied einer Untergrundbewegung gewesen und war mit Recht stolz darauf. Einige waren so abgemagert, dass über ihren Knochen statt Fleisch nur noch Haut war. Sie waren gerade noch in der Lage zu laufen, ganz langsam und mit wackelndem, unsicherem Gang.“ (Grete Humbach war im Kölner Widerstand und im AEL Hunswinkel. Sie kann die genannte junge Frau sein.)

Nach Hochrechnungen waren mehr als 5.000 Häftlinge in dem ersten Arbeitserziehungslager der NS-Zeit, in das am 24.8.1940 die ersten deutschen Häftlinge für jeweils 6 Wochen kamen. Vom Frühjahr 1942 an wurden hier meistens osteuropäische Häftlinge für 12 Wochen eingewiesen, von denen viele durch zu schwere Arbeit, Hunger, Prügel und Exekutionen starben. Zwei Dokumente belegen, dass die Gesamtzahl der Todesopfer zwischen 512 und ca. 550 liegt.

Wenn man den oben genannten Erinnerungen Glauben schenkt, dann starben 2/5 der Opfer an den Lagerbedingungen und 3/5 durch Exekutionen, die von den Gestapo-Leitstellen Dortmund und Köln befohlen waren.

3. Das damalige Programm:

Gedenk-Marsch für das Leben:

Einladung an Nachdenkliche und SportlicheZur Erinnerung für die Menschenwürde

Freitag 27.2.15 um 15 Uhr:

Ab Kulturhaus Lüdenscheid, Fahrt mit Bus über ZOB Wipperfürth zur Gedenkstätte EL-DE-Haus in Köln. Dort Führung und Vortrag zu der Räumung der Lager und Gefängnisse.

Ca. 20 Uhr Rückfahrt über ZOB Wipperfürth und Ankunft 21 Uhr am Kulturhaus.

Samstag, den 28.2. um 9 Uhr:

Ab Kulturhaus über ZOB Wipperfürth bis zur S- Bahnstation in Bensberg, von dort ca. 25 km nach Wipperfürth. Dort Imbiss und Vortrag. Rückfahrt ca. 19.30 Uhr, Ankunft am Kulturhaus ca. 20.15 h.

Sonntag, den 1.3. um 9.30 Uhr:

Ab Kulturhaus und um 10 Uhr ab ZOB Wipperfürth zu Fuß nach Lüdenscheid ca. 25 km. Dort im Museum (?) um 17 Uhr Imbiss und Kurzvortrag. Ende um 18 Uhr. Um eine Kostenbeteiligung für die Fahrt und den Imbiss von je 5 € pro Tag wird gebeten. Bei Regen fallen die Wanderungen aus, jedoch nicht die Vorträge.

Verantwortlich: Ge-Denk-Zellen Altes Rathaus Lüdenscheid e.V.

Siehe auch:

03.09.2017
„Hunderte Menschen sind dort ums Leben gekommen“ – Täter: Ruhrtalsperrenverband
Zur Errichtung des Ersatzmahnmals Hunswinkel/Klamer Brücke am 21.6.2017