Heartfield: "Millionen stehen hinter Hitler"

Rallye „Spurensuche Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945“

Ein Projekt der VVN/BdA NRW

 

30.07.2012

Bundesrepuflick Deutschland

Der alte Geier war tot. Da erhob sich der junge, krallte sich das Land, um die Brut des Bruders aus dem Nest zu werfen. Man nannte es fortan Landschaftspflege (Teil II und Schluß)

Von Otto Köhler

Das ist nun fast drei Jahrzehnte her – eine uralte Geschichte, aber belehrend für alle, die noch wissen wollen, was die Bonner Republik zusammenhielt. Damals, 1984, legte Joachim Albrecht Eberhard Kurt Konrad Ferdinand aus dem alten schlesischen Adelsgeschlecht derer von Brauchitsch als einstiger langjähriger Generalbevollmächtigter des Flick-Konzerns Zeugnis ab vor dem gleichnamigen Untersuchungsausschuß des Deutschen Bundestages. Seit 1965 hatte Eberhard von Brauchitsch dem Hause Flick als persönlich haftender geschäftsführender Gesellschafter gedient. Ob es wirklich Streit war, weshalb er 1971 das Haus verließ und als Generalbevollmächtiger zu Springer ging, darüber gibt es allerlei Meinungen. Es kann auch eine vertrauensbildende Maßnahme gewesen sein. Denn zu den Panzern (Krauss-Maffei), dem Pulver (Dynamit Nobel) und dem unbedruckten Papier (Feldmühle) des Flick-Konzerns hätte eine Pressemacht gepaßt, der es auf einen Krieg für eine gute Sache nicht ankommt. Und merkwürdig: Als Brauchitsch nach zwei Jahren aus dem Springer-Hochhaus in die Flick-Zentrale zurückkehrte, da war sein Chefbüro noch so unangetastet, als hätte er es nie verlassen.

Aus dem Grab hatte der am 20. Juli 1972 verstorbene Friedrich Flick per Testament den Vertrauten Brauchitsch zurückgerufen, weil er – so will es wieder die Legende – seinem Sohn Friedrich Karl nicht über den Weg traute. Richtig war, daß das Testament den beiden Enkeln Mick (Friedrich Christian) und Muck (Gert Rudolf) eine Vorzugsposition im Konzern einräumte, die ihren Onkel Friedrich Karl kränkte. Er trachtete danach, die fremde Brut – der Vater der beiden, sein Bruder Otto-Ernst, war verstoßen – aus dem Nest zu werfen.

Brauchitsch, vom toten Alten als Schutzengel der Enkel berufen, schlug sich schnell auf die Seite seines Jugendfreunds Friedrich Karl. Der Rückberufene leistete saubere Arbeit, um – auf Steuerzahlerkosten – die Flick-Enkel aus dem Konzern zu entfernen. Er sorgte für einen Teilverkauf von Flicks Mercedes-Aktien zum überhöhten Preis von zwei Milliarden an die Deutsche Bank. Sein Duzfreund Hans Friderichs, der damalige Wirtschaftsminister (FPD), und spätere Dresdner-Bank-Chef, versprach Steuerfreiheit für den Erlös, wofür dann auch Nachfolger Otto Graf Lambsdorff, der damalige FDP-Schatzmeister, treulich sorgte.

Eineinhalb Milliarden hatte der Flick-Konzern von der unversteuerten Verkaufssumme wieder angelegt: bei Gerling, dem US-Mischkonzern Grace und im eigenen Haus bei Dynamit Nobel und Buderus. Wie diese Investitionen zum steuerbefreienden Prädikat »volkswirtschaftlich förderungswürdig« kamen, konnte mit Ausnahme des Grafen Lambsdorff keiner erklären. Der hat auf dem Höhepunkt der damaligen Spardebatte die letzte Rate des 840-Millionen-Steuergeschenks an Flick bewilligt. Und davon ließen sich die störenden Flick-Enkel mit 700 Millionen leicht abfinden.

»Ein neues Kleid für die achtziger Jahre« wollte von Brauchitsch nach seiner Rückkehr für den Flick-Konzern schneidern. So neu war es nicht. Es trug nach Art des Hauses viele Taschen, in die wir – in Gestalt unseres Staates – sehr viel Geld hineinsteckten. Zum Ausgleich floß – das gebietet die Gerechtigkeit zu sagen – wenigstens ein Bruchteil der Summe zurück: an die gewählten Volksvertreter.

Zu diesem Ergebnis kamen jedenfalls die Bonner Staatsanwälte, die 1981 dem Büro und der Wohnung des Flick-Generals mehrfach unerbetenen Besuch abstatteten. In 100 beschlagnahmten Aktenordnern und rund 150 Spendenheften fanden sie viel überzeugendes Material. Vor allem die Liste von Chefbuchhalter Rudolf Diehl, der auf Brauchitschs Anweisung das Geld in die Bonner Landschaft säte und »wg.« erfand, den neuen Adelstitel der Bundesrepublik (»100000 wg. Kohl«, »50000 wg. Dregger«, »30000 wg. Biedenkopf«, »50000 wg. Genscher«, »25000 wg. Lambsdorff«). All das reichte aus, um gegen den persönlich haftenden geschäftsführenden Flick-Gesellschafter von Brauchitsch ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung zu eröffnen. Und dazu wurde noch wegen der »Verübung von Straftaten nach Paragraph 331ff. (Vorteilsnahme und Bestechlichkeit)« ermittelt, weil – so der Staatsanwalt – »die Firma Flick im Zusammenhang mit der ihr erteilten Bescheinigung für einen Steuerabzug aus der Veräußerung der Daimler-Benz-Aktien Amtsträgern Zuwendungen versprochen oder gemacht haben könnte«. Wirtschaftsminister Lambsdorff, der das Steuergeschenk bewilligte, ein Amtsträger, und zuvor war er als Schatzmeister der FDP ein Geldträger, der im Brauchitsch-Büro ein und aus ging.

Am 16. Februar 1987 wurde Eberhard von Brauchitsch wegen Steuerhinterziehung und Beihilfe zur Steuerhinterziehung zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt auf Bewährung und zu einer Geldbuße von 550000 Mark – aus der Portokasse.

Preis des Schweigens

Es wäre, prahlte Brauchitsch 1999 in seinen Erinnerungen unter dem Drohtitel »Der Preis des Schweigens« ein »leichtes für mich« gewesen, »drei Siebentonner von der Spedition Johnen in Düsseldorf zu bestellen, zwanzig Studenten anzuheuern und sämtliche Akten verschwinden zu lassen«. Der Adelsmann klar und deutlich: »Mit einer solchen Aktion hätte ich keinen Moment gezögert. Ich habe jedoch törichterweise auf den Rechtsstaat vertraut.«

Das war eine große Sekunde in der Bonner Republik, daß der Flick-Mann einmal nicht seinem Rechtsstaat trauen durfte. Lange genug hatte es bis dahin gedauert. Und es ist kein Kompliment für die unpolitisch gewordenen Studenten der achtziger Jahre, der Generation Golf, daß er darauf vertraute, sie hätten alle Akten zum Schreddern gebracht und nicht den einen oder anderen verräterischen Flick-Ordner zu einem störrischen Journalisten.

Aber wir haben uns nun wirklich verplaudert. Wir sitzen immer noch 1984 im Flick-Untersuchungsausschuß des Deutschen Bundestages zu Bonn. Und Eberhard von Brauchitsch, der große Kultivator, sagt gerade, bei der Beratung über die steuergünstige Wiederanlage der Gelder aus dem Daimler-Verkauf bei dem US-Chemiekonzern Grace habe im Haus Flick auch Dr. Ambros teilgenommen.

Da fragt der damals noch grüne Abgeordnete Otto Schily: »Ja, Herr Dr. Ambros – wer war denn der Herr Dr. Ambros?«

Brauchitsch: »Dr. Ambros war ein früheres Vorstandsmitglied der IG Farben, Berater des Hauses Grace und der Berater des Hauses Flick.«

Schily: »Ist es richtig, daß Herr Dr. Ambros auch an Aktivitäten der Firma IG Farben in Auschwitz beteiligt war?«

Brauchitsch: »Das weiß ich nicht, ich weiß auch nichts davon, daß ihm dies vorgeworfen, geschweige denn, daß er deswegen zur Rechenschaft gezogen worden wäre. Ich weiß es nicht.«

Schily: »Wissen Sie etwas darüber, daß Herr Dr. Ambros in Auschwitz entsprechende Werke hat bauen lassen, daß er beschuldigt wurde, sehr tief …«

Doch bevor Schily seine Frage zu Ende stellen kann, fährt der Ausschußvorsitzende dazwischen. Der CDU-Abgeordnete und Reserveleutnant der Bundeswehr Manfred Langner:

»Herr Schily, diese Frage hat mit dem Untersuchungsgegenstand nichts zu tun.«

Schily: »Doch!«

Langner: »Ich kann sie nicht zulassen.«

Unbefragbare Vergangenheit

Nun wagte Brauchitsch den Ausfall und zeigte, wie genau er wußte, worum es geht: »Wir sind hier im Moment – Wenn dieses öffentlich wird, sind wir im Zuge der Vorverurteilung. Mit ist nicht bekannt, daß Herr Dr. Ambros, der sich seit 1950 auf freiem Fuß befindet …«

Für Langner schien das noch gefährlicher; Brauchitsch hatte schon zuviel geredet, der Vorsitzende mahnte: »Herr Zeuge, Sie brauchen zu dieser Frage nicht zu antworten, ich lasse die Frage nicht zu.«

Brauchitsch erleichtert, daß er davor bewahrt wurde, zuviel zu sagen: »Danke!«

Schily verlangte einen förmlichen Beschluß. Mit ihren sechs Stimmen erklärte die Ausschußmehrheit von CDU/CSU/FDP gegen die Stimmen von SPD und Grünen die Vergangenheit des Flick-Beraters Ambros als unbefragbar. Auch bei anderen Zeugen, die etwas von der Ambros-Tätigkeit in Auschwitz wissen konnten, unterbrach der Reserveleutnant – unter seiner präzisen Führung hatte der Ausschuß am Ende seiner Tätigkeit 1987 ein Labyrinth undurchdringlicher Mauern errichtet – brüsk den Fragesteller Schily.

Vielleicht wollte Langner nur hochquellende Heimatgefühle unterdrücken. Er ist 36 Kilometer vor Auschwitz in Kattowitz/Katowice geboren, wo sein Vater in jener Zeit Jurist sein konnte. Vielleicht auch hatte er die posthumen Interessen seines verstorbenen Parteifreunds, des CSU-Schatzmeisters Wolfgang Pohle, zu vertreten. Der war in Nürnberg Verteidiger Flicks und danach dessen spendenfreudiger Generalbevollmächtigter. Wahrscheinlich aber standen höhere Interessen auf dem Spiel.

Mächtiger Fälscherapparat

Jedenfalls eröffnete der Bundesnachrichtendienst, der es von Anfang an als seine vornehmste Aufgabe betrachtete, kriminelle Nazis wie Alois Brunner und Walter Rauff zu schützen, etwas später eine Entlastungsoffensive für Otto Ambros. Er spielte dem Hamburger Journalisten Peter Ferdinand Koch für sein Buch »Der Fund« (1990) ein Dossier (Stand 1982) zu über den »mächtigen Fälscher-Apparat der DDR«, das deutlich machte, was alles die Stasi unternahm um den guten Ruf anständiger Menschen zu vernichten: »Otto Ambros, ehedem bei der I.G. Farben, wurde mit einem gefälschten Briefkopf ›Dr. Otto Ambros‹ in die Nähe der SS gerückt: Er habe im Dritten Reich keine Einwände gehabt, auf die Einschaltung des ›wirklich hervorragenden Betriebes des KZ-Lagers zugunsten der Buna-Werke‹ zurückzugreifen. Der DDR kam es ausschließlich auf diesen einen Nebensatz an. Der Ambros-Briefkopf war auf Papier der enddreißiger Jahre nachgedruckt und mit Hilfe einer damals gebräuchlichen Schreibmaschine ›betextet‹ worden, Ambros ›archivierte‹ Unterschrift im Nu kopiert.«

Nur schade, daß die Stasi-Fälscher nicht auch noch den Satz »… und außerdem wirkt sich unsere neue Freundschaft mit der SS sehr segensreich aus« in das Schreiben hineinfälschten. Der stand nämlich auch in dem Brief, der 1948 beim IG-Farben-Prozeß in Nürnberg vorlag, bevor 1949 die DDR gegründet wurde und ihren Fälscherbetrieb aufnehmen konnte. Ambros hatte den Brief am 12. April 1941 seinem IG-Vorstandskollegen geschrieben und sich darin auch gefreut, daß »gewisse Widerstände von kleinen Amtsschimmeln« gegen den Einsatz von KZ-Häftlingen beim Bau des IG-Buna-Werkes in Auschwitz »schnell beseitigt« werden konnten. IG Auschwitz solle, so hatte er fünf Tage zuvor in seiner Festrede zur Eröffnung des Projekts versprochen, ein »fester Eckpfeiler« für »gesundes Deutschtum im Osten« werden – 10000 KZ-Häftlinge waren da schon von der SS zur »Vernichtung durch Arbeit« bei der IG bereitgestellt. Vorstandskollege Fritz ter Meer – der Schwiegervater des CDU-Spendenkofferträgers Walther Leisler Kiep (auch auf Flicks »wg.«-Liste) – wird später sagen, daß den KZ-Häftlingen durch die I.G. »kein besonderes Leid zugefügt wurde, da man sie ohnedies getötet hätte«.

Ambros machte sich auch um die Produktion von Giftgas (Tabun, Sarin, Lost) verdient – viel später war er Aufsichtsrat des erfolgreichen Contergan-Konzerns Chemie Grünenthal. In Nürnberg wurde er – sehr günstig – zu nur acht Jahren verurteilt und lernte im Kriegsverbrechergefängnis Friedrich Flick kennen, der gerade dort auf Suche nach neuen Talenten war. Nachdem beide viel zu früh auf freien Fuß gesetzt waren, machte Flick Ambros zu seinem Berater und empfahl ihn auch an Konrad Adenauer. Unter dem Sohn Friedrich Karl war der Auschwitz-Mann dann schließlich Vermittler zwischen Flick und dem US-Konzern Grace, um dessen versuchten Erwerb es im Spendenskandal ging.

Den gab es eigentlich nur, weil dem Steuerfahnder Klaus Förster in St. Augustin bei Bonn etwas aufgefallen war, was ihm nach der entschiedenen Auffassung seiner Vorgesetzten und schließlich auch aller zuständigen Finanzminister nicht hätte auffallen dürfen. Bei der »Gesellschaft des Göttlichen Wortes mit beschränkter Haftung« – besser bekannt als die katholische Ordensgemeinschaft Steyler Missionare – fand er seltsame Spendenquittungen – auch aus dem Hause Flick. Ob es daran lag, daß es sich bei den Missionaren um einen Orden päpstlichen Rechts handelt, ist wenig wahrscheinlich; jedenfalls lief das so, wie es wohl auch bei der schwerkriminellen Vatikanbank läuft.

Flick-Chefbuchhalter Rudolf Diehl überwies eine Million – und das damals schon im siebten Jahr. Die Mönche, die praktischerweise zum Keuschheits- auch ein Armutsgelübde abgelegt hatten und so hervorragend einsatzfähig waren, griffen damit dem Flick-Konzern bei der Pflege der politischen Landschaft unter die Arme. Sie behielten – wie die Tradition es gebot – jeweils nur den Zehnten. Der Rest ging auf ein Schweizer Konto und abzüglich einiger Spesen für die Geld-Schmuggler zurück nach Düsseldorf, nun aber in die Schwarze Kasse von Flick. Da war das Geld aber schon sehr viel mehr geworden, um das die Mönche oder auch Flick – Gott wird es uns beim Jüngsten Gericht erklären – uns Steuerzahler betrogen hatten.

Die wundersame Geldvermehrung aber kam zustande, weil Flick solch eine fromme Spende von der Steuer absetzten konnte, und das macht bei einem Superreichen seiner Art mehr als die Hälfte aus. Kurz: Aus einer wurden samt dem nun zurückgezahlten frommen Geld rund eineinhalb Millionen. Und mit dem Schwarzgeld in der Kasse konnte Flick die politische Landschaft – Belege brauchte es nicht, nur kleine »wg.«’s – viel effektiver pflegen.

Aber nicht vergessen: Auch SPD-Finanzminister, der halblinke Hans Matthöfer wie der ultrarechte Hans Apel, konnten ein Spendenlied davon singen – Flicksein heißt, immer sachlich und reibungslos mit der jeweiligen Regierung zu agieren. »Als ich mit dem Umbau meines Konzerns begann, erschien das manchen suspekt«, sagte Friedrich Karl Flick 1978 und meinte den Verkauf von Mercedes und den Hinauswurf der Neffen. »Das Verhältnis zwischen Regierung und Wirtschaft war damals nicht so besonders gut. In den letzten Jahren hat sich das – nicht zuletzt dank der Kompetenz von Bundeskanzler Schmidt – verbessert. Das Miteinander hat sich durchgesetzt.«

Zu diesem Miteinander gehört der Paragraph 6 b, Absatz 1, Ziffer 5 des Einkommenssteuergesetzes über den »Gewinn aus der Veräußerung bestimmter Anlagegüter«. Danach muß der Erlös aus dem Verkauf von Aktien dann nicht versteuert werden, wenn sie bei anderen Kapitalgesellschaften wieder angelegt werden. Und vor allem dann, wenn der Bundeswirtschaftsminister im Benehmen mit dem Bundesfinanzminister bescheinigt, daß diese Wiederanlage »volkswirtschaftlich besonders förderungswürdig und geeignet ist, die Unternehmensstruktur eines Wirtschaftszweigs zu verbessern oder einer breiten Eigentumsstreuung zu dienen«.

Dazu wurde damals das Göttlich Wort eingesetzt, nicht nur bei den zögerlichen SPD-Finanzministern, sondern auch bei den ohnedies entgegenkommenden FDP-Wirtschaftsministern und Brauchitsch-Freunden Hans Friderichs und Otto Graf Lambsdorff.

Leben wie ein König

Was aber Franz Josef Strauß bekommen hat, wir wissen es kaum. Neueste Meldungen über ein Riesenvermögen des Verewigten sind nicht bestätigt. Aber da war mehr im Spiel als schnödes Geld. Schon der alte Flick und Hermann Göring gingen gemeinsam auf die Jagd. Und so schwammen auch der junge Flick und Strauß gemeinsam auf der Yacht. Göring bekam vom alten Flick teure Gemälde geschenkt. Und Strauß vor der Bundestagwahl 1980, bei der er Kanzlerkandidat, einen – Bundespräsidenten mal weghören! – Mittelmeerurlaub auf der Flick-Yacht »Diana II.« Ein »Leben wie ein König am Mittelmeer«. So nannte Burdas Bunte dieses Exerzitium in einem Exklusivbericht: »Wenn Franz Josef Vollgas gibt«, die Fotos dazu – mit fettem Strauß und dünnerem Flick – lieferte der damals zwanzigjährige Lehrling und Strauß-Sohn Max Josef. Sie wurden, als in der Union Entsetzen ausbrach, weil der Schuß nach hinten ging, ganz schnell vom Burda-Verlag gesperrt.

Drei Wochen lang durfte Strauß mit Familie die gerade fertiggestellte Luxusyacht »Diana II« samt 18köpfiger Besatzung zum Erholen nutzen, aber auch zum Nachdenken über den Lauf der Geschichte.

Und so wurde es dennoch ein Erfolg. Denn in diesem Flick-Urlaub kam Strauß – o holdes Walten des genius loci – die wunderschöne Wahlkampfidee, daß die deutsche Industrie nie etwas mit den Nazis zu tun gehabt habe, ja – ein früher Götz Aly –, daß Nazis in Wirklichkeit Sozis seien oder umgekehrt.

Denn jene »Schwungmasse, die Hitler an die Macht brachte«, das waren die »verzweifelten Sozialisten«, die »der Sozialdemokratie in Massen davongelaufen waren«. Kaum aus dem Yachturlaub zurück, verlieh Strauß dieser Erkenntnis auf dem darauffolgenden CSU-Parteitag Ausdruck. Und sprach danach ins Mikrophon des Bayerischen Rundfunks: »Sowohl Hitler wie Goebbels waren im Grunde ihres Herzens Marxisten.«

Auch da erfolgte die Reaktion prompt: Helmut Kohl jammerte über die zahlreichen Briefe von Parteifreunden und Wählern, die sich als ehemalige Nationalsozialisten dagegen verwahrten, mit Sozialisten auf eine Stufe gestellt zu werden. Zugleich aber erkannte der Vorsitzende der Jungen Union, Alfred Sauter (CSU), in den Jungsozialisten und Jungdemokraten von SPD und FDP »die einzigen und wahren Faschisten unserer Tage«. Und Flick-Urlauber Franz Josef Strauß wurde Kanzlerkandidat.

Ach, ja, anläßlich der Spendenaffäre kam auch die Wahrheit ans Licht. Ein Nachrichtensprecher des Südwestfunks, wollte Neues aus Bonn melden und versprach sich – aber ganz richtig: »Bundesrepuflick Deutschland«.

Flick im 21. Jahrhundert

Neuere Literatur zum Thema. Ausgewählt und vorgestellt von Otto Köhler

Priemel

2007 stellte Kim Christian Priemel unter dem Titel »Gekaufte Geschichte« in der einschlägigen Zeitschrift für Unternehmensgeschichte fest, daß Firmengeschichte und Unternehmerbiographie bis in die jüngste Zeit Gattungen von fragwürdigem wissenschaftlichen Wert darstellen. Er schildert genüßlich die Groteske um jenen jahrelang tagenden Redaktionsausschuß namhafter Unternehmer. Ihm mußte sich der Historiker Gert von Klaas mit nahezu jeder Formulierung in der dann schließlich 1957 bei Wunderlich doch noch erschienenen Biographie »Albert Vögler. Einer der Großen des Ruhrreviers« unterwerfen. Das heikle Problem der Finanzierung, das schon so manchen angesehenen Historiker zum Arzt am Krankenbett des Kapitalismus gemacht hat.

Im selben Jahr 2007 erschien Priemels fundamentale Geschichte über den Flick-Konzern. Der junge Priemel hat aus dem Los seiner alten Kollegen Unternehmenshistoriker gelernt. Nichts einzuwenden ist gegen die »finanzielle Förderung« der Deutschen Forschungsgemeinschaft, ohne die das Werk nicht hätte entstehen können. Auch nicht gegen den Druckkostenzuschuß, den die Hans-Böckler-Stiftung gewährte. Er hat auch für »Beihilfe« durch die Wirtschaftsvereinigung Stahl zu danken. Doch das ist ein Gebot der Höflichkeit und nicht schlimm, da es hier nur um die Bebilderung geht. Priemel schrieb keine Hagiographie, sondern eine »Konzerngeschichte vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik«, die aus den Verbrechen dieses Unternehmens kein Hehl macht. Daß er in seinem 864-Seiten-Opus lediglich zwei Seiten der Flick-Spenden-Affäre gewidmet hat, ist nur ein Schönheitsfehler und war sicherlich keine conditio. Denn die politische Landschaftspflege, die Flick schon seit den zwanziger Jahren betrieb, sie ist minutiös berücksichtigt.

Kim Christian Priemel: Flick. Eine Konzerngeschichte vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik, Wallstein Verlag, Göttingen 2007, 864 Seiten, 48 Euro

Bähr

2008 gab Johannes Bähr, der sich mit seinen Forschungen zur Dresdner Bank im Nazireich einen Namen gemacht hat, einen Sammelband heraus, der sich im wesentlichen ebenfalls auf diesen Zeitraum beschränkt, aber auch die erste Nachkriegszeit berücksichtigt. Und Flicks »Strategie der Selbstviktimisierung«: wie er sich also zum Opfer stilisierte. Weniges ist zu kritisieren: so die leicht verharmlosende Darstellung des Freundeskreises Himmler (siehe Teil I in der Wochenendausgabe). Mehr als ein Schönheitsfehler aber: die Danksagung auf Seite XIII. Dort freuen sich die Autoren über die »großzügige finanzielle Ausstattung«, die die Stiftung Preußischer Kulturbesitz gewährt habe. Nicht erwähnt ist, daß es sich um eine Umwegfinanzierung handelt: Enkel Friedrich Christian Flick hat das Geld im Zusammenhang mit dem Streit um seine Berliner Kunstausstellung spendiert. Auswirkungen auf den Text des Bandes scheint es nicht gegeben zu haben.

Johannes Bähr/Axel Drecoll/Bernhard Gotto/Kim C. Priemel/Harald Wixforth: Der Flick-Konzern im Dritten Reich. Herausgegeben durch das Institut für Zeitgeschichte München–Berlin im Auftrag der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 2008, 1 018 Seiten, 64,80 Euro

Frei

Hans-Mommsen-Schüler Norbert Frei hat einen – mit kleinen Einschränkungen – guten Namen zu verlieren, und er bemüht sich. Zusammen mit drei anderen Autoren hat er als bisher letzter einen Flick-Band herausgebracht, in dessen »Einführung« er Priemels Buch mit den unvermittelten Worten kritisiert: »Allein die Gewinnoptimierung kann die Komplexität einer Persönlichkeit wie Friedrich Flick nicht erklären.« Es gelte, »dem Mann an der Spitze gebührende Aufmerksamkeit zu zollen«. Er zollt.

Oder wird ihm gezollt? Im Nachwort, wo er der Flick-Enkelin Dagmar Ottmann für die »großzügige Finanzierung« dankt, überläßt er es den Lesern zu beurteilen, ob es ihm und seinen Mitautoren gelungen ist, die Geschichte des Hauses Flick »jargonfrei« zu erzählen. Jargon? Damit meint er die marxistischen Historiker im Osten wie Klaus Drobisch oder die journalistischen Sachbuchautoren wie Bernt Engelmann oder Günter Ogger im Westen, die sich als einzige im 20. Jahrhundert bemühten, die Geschichte der Flicks zu untersuchen. Aber nur, laut Frei, aus dem »Voyeurismus der Nachkriegszeit«. Die westdeutschen Universitätshistoriker aber hielten im 20. Jahrhundert still.

2009 jedoch erkennt Frei: Weder der Nürnberger Prozeß, noch die Landsberger Haftzeit »konnten den Alten erschüttern«. Flick habe am »Ideal des persönlichen Regiments in einem abgeschotteten Familienkonzern« festgehalten. Wann? Nach 1945, nach dem Ende des Naziregimes oder – so formuliert es Frei 2009 ohne Zwang – »auch nach der Katastrophe«. Katastrophe? Das ist der Jargon, den Nazis und ihre Nutznießer für das Ende des Hitler-Reiches fanden.

Norbert Frei/Ralf Ahrens/Jörg Osterloh/Tim Schanetzky: Flick - Der Konzern, die Familie, die Macht. Blessing Verlag, ­München 2009, 912 Seiten, 34,95 Euro

Mit freundlicher Genehmigung von Junge Welt

Siehe auch:

Als der Geier starb
An diesem Sonnabend feiert Deutschland in seinem Westteil ein Jubiläum. Es kündet von einer Zeit, die nicht vergangen ist und nimmermehr vergehen will (Teil I)