Heartfield: "Millionen stehen hinter Hitler"

Rallye „Spurensuche Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945“

Ein Projekt der VVN/BdA NRW

 

28.07.2012

Als der Geier starb

An diesem Sonnabend feiert Deutschland in seinem Westteil ein Jubiläum. Es kündet von einer Zeit, die nicht vergangen ist und nimmermehr vergehen will (Teil I)

Von Otto Köhler

Es war eine große Stunde für das Selbstverständnis jener Bundesrepublik Deutschland, die sich stets als einziger Rechtsnachfolgestaat des Großdeutschen Reiches verstand – an diesem 28. Juli 1972, also vor vierzig Jahren um 9.30 Uhr im Robert-Schumann-Saal zu Düsseldorf am Ehrenhof 4a. Kunde davon gibt nur noch die Geyer- Symphonie in Rock-Dur, eine CD des namhaften Musikorchesters Floh de Cologne mit den Solisten Hermann Josef Abs, Fritz Berg, Ludwig Erhard, Konrad Kaletsch und Hans-Günther Sohl.

Leider wird die Erinnerung an dieses große Ereignis getrübt, weil die angesehene Musikgruppe sich nicht dazu entschließen konnte, in einem – damals noch – Schallplattenalbum die Gesamtheit aller solistischen Beiträge der fünf genannten Großen bundesdeutscher Wirtschaft zu vertonen.

So schienen die erhellenden Reden, die sie hielten, heute verschollen; allein – sicherlich treffliche – Ausschnitte, oft erdrückt von der mächtigen Sprache der Musik, sind auf der CD im Originalton überliefert. Kein Buch, keine Broschüre, nichts deutet im Gemeinsamen Verbundkatalog der deutschen Universitätsbibliotheken mit ihren über 35,6 Millionen Titeln darauf hin, daß die Reden schriftlich erhalten sein könnten – die Treuebekenntnisse zu jenem schlichten Mann, der mittags sein Mahl am Schreibtisch aus der mitgebrachten Blechbüchse aß, obwohl er doch Deutschlands Reichster war. Auch die drei voluminösen Bände, die jetzt endlich, im 21. Jahrhundert, über ihn und sein Werk erschienen sind, sie enthalten in ihren umfangreichen Literaturverzeichnissen keinerlei Hinweis auf ein solches Dokument.

Es war ganz einfach unverdientes Glück, daß ich ihn doch noch – rechtzeitig zum 40jährigen Jubiläum des großen Tages – in einem kleinen Antiquariat fand: den 36seitigen Privatdruck »Friedrich Flick zum Gedenken« auf schlichtem Büttenpapier mit eingeklebtem Foto des damals frisch Verewigten. Und mit allen Ansprachen, die da in der Trauerfeier für den großen Verstorbenen gehalten wurden. Übrigens auch mit der vom Floh-Orchester unterschlagenen Rede des Arbeitnehmervertreters  Rudi Josten (»In dieser Stunde wollen wir gemeinsam …«), die sich zu einer mitreißenden Arie hätte entwickeln lassen. Josten sprach unmittelbar vor seinem Sozialpartner Fritz Berg, der drei Jahre zuvor anläßlich eines Streiks in der Stahlindustrie als BDI-Chef Rat wußte: Man hätte »ruhig schießen sollen, dann herrscht wenigstens Ordnung«.

Das war wohl gemeint, als Fritz Berg in seiner Abschlußrede bei der Trauerfeier bemerkte: »Mein bester väterlicher Freund ist nicht mehr. Zwei Jahrzehnte hat er mich persönlich aus seiner großen geistigen Kraft schöpfen lassen, mir seinen Rat gegeben und durch mich dann der deutschen Industrie.« Karl Marx war schon 118 Tage tot, da geschah es, daß das Kapital Fleisch wurde, und seither hat es unter uns gewohnt: Friedrich Flick, der mächtigste und reichste Kapitalist, den es zu seinen Lebzeiten auf deutschem Boden gab, wurde am 10. Juli 1883 zu Ernstdorf im westfälischen Kreis Siegen geboren.

79 Jahre später sagte der Industriechef Berg gemäß dem von mir erworbenen Büttenpapier: »Er ist von uns gegangen mit dem Bewußtsein, daß er für die Seinen gesorgt hat.« Das ist wahr. Denn einer war nicht mehr der Seine, er war nicht zur Trauerfeier gekommen und lebte danach nur noch eineinhalb Jahre.

Erbsünde am Kapital

Friedrich Flick hatte Otto-Ernst, Rudolf und Friedrich Karl gezeugt. Den zweitgenannten verlor er am 28. Juni 1941 in Rußland – sechs Tage nach Beginn jenes Raubkrieges, der sein Kapital mehrte. So blieben ihm der jüngste Friedrich Karl und der älteste Otto-Ernst. Beide sollten seine Erben sein. Doch da geschah es, daß der Erstgeborene sich am Kapital versündigte, und das kam so: Seit 1937 verschenkte Friedrich sein Kapital an die jüngere Generation, so sparte er die hohen Erbschaftssteuern, nur die niedrigere Schenkungssteuer fiel an, wobei er gewissenhaft darauf achtete, die Verfügungsgewalt über das übertragene Kapital zu behalten. 1960 war es soweit, daß Otto-Ernst 42,5 Prozent und Friedrich Karl 45 Prozent vom Flick-Kapital übertragen bekamen.

Otto-Ernst jedoch, der seinerseits schon gezeugt hatte, mußte 32,5 Prozent an seine drei Kinder Gert Rudolf (»Muck«), Friedrich Christian (»Mick«) und Dagmar (Mädchen) weitergeben, damit auch auf diesem Wege das Kapital nicht von der Erbschaftssteuer ereilt werde. Weil aber Friedrich Karl damals noch nicht gezeugt hatte, ordnete der alte Flick im Interesse des Kapitals an, die Blutsbande zu wechseln, um nun auch noch die Schenkungssteuer zu mindern: Friedrich Karl sollte Otto-Ernsts ältesten Sohn Gert Rudolf adoptieren. Der Vätertausch hätte 75 Millionen Mark Steuern gespart.

Doch Otto-Ernst erwies sich als widerspenstig. Trotz des beachtlichen Profits, den das abgeworfen hätte, weigerte er sich, seinen Sohn zwecks Steuerersparnis an Bruder Friedrich Karl abzugeben. Ob solchen Ungehorsams gegen den gemeinsamen Erzeuger entrüstete sich Friedrich Karl sehr: Bruder Otto-Ernst solle, wenn er schon den Sohn nicht hergebe, wenigstens einen Teil der so entstehenden Schenkungssteuer übernehmen. Doch Otto-Ernst gab weder den Sohn noch Geld. Das Flick-Kapital sollte sich diesen mangelnden Opfersinn sehr wohl merken. Der Erstgeborene wurde abgefunden und verstoßen. Und war vor vierzig Jahren abwesend, als der Vertraute und Arisierungsbevollmächtigte des nunmehr Verblichenen Konrad Kaletsch (NSDAP 1937–1945) als erster Redner der Trauerfeier den lieben Friedrich Karl, den lieben Gert Rudolf, den lieben Friedrich Christian im Namen aller Trauergäste ansprach aber nicht – so lehrt mein Büttenpapier – den abgefallenen Otto-Ernst.

Zwischen Geburt und Tod Friedrich Flicks liegt so viel, daß Ludwig Erhard als zweiter Redner am Ehrenhof ausrief: »Der uns teure Tote war Unternehmer, weil er Unternehmer sein mußte. Was ich damit sagen will, ist dies, daß, so wie ein begnadeter Musiker musizieren muß, jeder echte Künstler in seinem Herrschaftsbereich nach Vollendung drängt, so haftet auch seiner spezifischen Begabung etwas Genialisches an.«

Und wie es den Genialischen gedrängt hat.

Friedrich Flick, ein exzellenter Kriegsgewinnler, legte 1915 den Grundstock zu seiner ersten Million, indem er dem Staat jenen Schrott abkaufte, den Bomben und Kanonen produzierten. Später produzierte er die Kanonen und Bomben, die Schrott herstellten, und wurde so zum Milliardär.

Aber 1931 stand er trotzdem erst einmal vor der Pleite. Er hatte durch Aktien-Aufkäufe die Kontrolle über viele Industrieunternehmen errungen, auch über die Gelsenkirchner Bergwerks AG, doch die Weltwirtschaftskrise setzte ihm zu. Er hatte 66 Millionen Reichsmark Schulden, und die Gelsenberg- Aktien, die er für 110 Millionen zusammengekauft hatte, waren an der Börse nur noch 25 Millionen wert.

In dieser höchsten Not fand er Hilfe im Patriotismus. Ein Düsseldorfer Pressebüro – später erfuhr man: es gehörte Flick – lancierte die Meldung, der französische Rüstungskonzern Schneider-Creusot verhandle über das Berliner Bankhaus Mendelssohn mit Flick über den Ankauf der Gelsenberg- Aktien-Majorität zum fünffachen Kurswert. Die nationale Empörung quoll hoch: Nie dürfe diese jüdisch-französische Allianz die Kontrolle über Deutschlands größten Montan-Konzern gewinnen. Flick zeigte sofort die gebotene nationale Gesinnung. Von der Regierung Brüning, die mit einer brutalen Sparpolitik Not und Elend über Deutschland brachte, ließ sich der reiche Flick bescheiden, nicht den fünffachen, sondern nur den vierfachen Preis für seine Aktien zu nehmen.

Mercedes bleibt deutsch

Wahr darf es nicht sein, und doch ist es so: 1977, fünf Jahre nach der Trauerfeier für den Genialischen, konnte Sohn Friedrich Karl die gleiche Show noch einmal inszenieren, diesmal beim sozialliberalen Kabinett mit seinem immerklugen Kanzler Helmut Schmidt. Anders als der Papa stand Friedrich Karl nicht mal vor der Pleite – er brauchte nur Geld, um seine Neffen, die Brut des abspenstigen Bruders, vor die Tür zu setzen. Diesmal ging es so: Die Mainzer Allgemeine meldete aus undefinierbarer Quelle: »Flick verhandelt mit dem Schah von Persien. « Der wolle ihm seine Daimler-Aktien für 2,5 Milliarden Mark abkaufen. Auf diesen Trick aus der uralten Flick-Kiste fiel der beschränkt intelligente SPD-Finanzminister Hans Apel rein. Aufgeregt rief er den auf Mallorca urlaubenden Kanzler Helmut Schmidt an, und der entschied kraftvoll: Der Schah muß draußen bleiben, das Geschäft sei unter allen Umständen zu verhindern.

Und es funktionierte wieder. Großmütig verzichtete Friedrich Karl Flick auf eine halbe Milliarde und verkaufte nicht an den Schah, sondern an die von der Regierung bedrängte Deutsche Bank für zwei Milliarden – zehn Prozent über dem Börsenkurs. »Bravo! Mercedes bleibt deutsch!« jubelte Bild und analysierte schlau wie Apel: »Der Flick- Konzern und die Deutsche Bank haben den Arabern gezeigt, wie’s auch geht. Für alle Arbeitnehmer ist das beruhigend.« Arbeit-Nehmer Friedrich Flick hatte das Aktienpaket in den fünfziger Jahren für 60 Millionen zusammengekauft – das macht einen Gewinn von 1 940 Millionen oder 3 230 Prozent – nicht gerechnet 515 Millionen Dividende. Und der ganze Aktienverkauf an die Deutsche Bank, so gut wie steuerfrei, doch davon später.

Vormals, für Vater Flick erwies sich die Gelsenberg- Affäre, mit der er dem todkranken und finanziell zerrütteten Staat von Weimar den Notgroschen für fünf Millionen Arbeitslose aus der Kasse wegplünderte, als Segen über den materiellen Wert hinaus – doch das war nicht sofort zu erkennen. Vier Wochen, nachdem Flick den vierfach überhöhten Preis von 100 Millionen für sein Aktienpaket eingesteckt hatte, kam es am 19. Juni 1932 zum Skandal. Die Frankfurter Zeitung meldete, daß nicht – wie ursprünglich behauptet – eine Tochter der Dresdner Bank, sondern der Staat selbst Flick das 75-Millionen- Geschenk gemacht hatte. Selbst Hans Zehrers Steigbügelblatt Die Tat forderte, »Herrn Flick als Schädiger der Interessen des Deutschen Reiches zu enteignen«.

Dummes Zeug – Flick hatte sich längst mit Wahlspenden für die staatstragenden Parteien von den Deutschnationalen (100 000 Mark) bis zu den Sozialdemokraten (100 000 Mark) in das Deutsche Reich eingekauft. Reichskanzler Brüning erhielt für seine Bemühungen 150 000, und Reichsfinanzminister Dietrich, der den Gelsenberg-Deal gedreht hatte, bekam 950 000 Mark. »In den kritischen Jahren 1931/32 lag es in unserem Kreditinteresse mehr denn je, daß unfreundliche Bemerkungen in der Presse oder Angriffe lokaler Stellen rechtzeitig unterbunden oder abgefangen werden mußten«, bekannte im Nürnberger Prozeß Flicks Generalbevollmächtigter Otto Steinbrinck (fünf Jahre Gefängnis). »Wir brauchten eine sachliche bürgerliche Regierung für die reibungslose Abwicklung der ganzen Transaktion und die Erhaltung angesponnener Verbindungen zu den bürgerlichen Parteien, aus dieser Einstellung heraus haben wir allen Gruppen, von den Unabhängigen und Sozialdemokraten bis zu den Rechtsparteien, insbesondere auch Linksblättern, erbetene Zuwendungen zukommen lassen.«

Doch es konnte auch bald eine etwas weniger sachliche Regierung sein. Nach einem ersten Zweizungengespräch mit Adolf Hitler Anfang 1932 spendierte Flick erst mal lumpige 50 000 Mark – die Gelsenberg-Verhandlungen hatten gerade begonnen. Doch die Nazis zeigten auch für die kleine Gabe Dankbarkeit. Hermann Göring suchte Flick auf, um sich über die Gründe für sein Gelsenberg- Geschäft informieren zu lassen. Dann erstattete er Hitler Bericht »mit dem Ergebnis, daß auch der Führer diese Transaktion als notwendig erkannt und ausdrücklich gebilligt hat«.

Nazi nie – nur NSDAP

Über soviel Verständnis für sein Kapital war Friedrich Flick ehrlich gerührt. Während Krupp und Siemens sich noch zurückhielten, honorierte Flick Hitlers wachsende Sachlichkeit immer höher. Und im Februar 1933 schließlich, als Hitler sich vor Industriellen zum Privateigentum bekannte und Göring versprach, die nächste Wahl werde die letzte sein, zeichnete Flick sofort begeistert 200 000 Mark (seine Arbeiter bekamen damals 87 Pfennig Stundenlohn). Heinrich Himmler holte sich das Geld im Büro des Konzernchefs ab, und bald war Flick als Wehrwirtschaftsführer Mitglied im Freundeskreis Reichsführer SS und dazu noch NSDAPMitglied Nr. 5 918 393.

Ein richtiger Nazi war er nie. Aber Flick hatte eines sofort begriffen: daß Hitler Krieg bedeutet, und das beflügelte den Konzernherrn zu den schönsten Hoffnungen – durch den ersten Weltkrieg war er schließlich reich geworden. 1933 erhielt er schon von Reichskriegsminister General von Blomberg die profitlichsten Rüstungsaufträge und dankte auch schön: »Ich sehe es als ein Zeichen ganz besonderen Vertrauens an, daß Sie, sehr geehrter Herr Minister, und Sie, meine Herren von dem Wehrministerium, gewillt sind, diese Werke mit Aufgaben zu betrauen, von deren Wichtigkeit für unser Vaterland wir alle voll durchdrungen sind.«

Flick kaufte Gelsenberg zurück, das er gerade erst zum vierfachen Preis an den Staat von Weimar losgeschlagen hatte. Er kaufte Flugzeugfabriken für den kommenden Luftkrieg. Er kaufte und kaufte, aber schließlich sah er nicht ein, warum er immer für teures Geld kaufen sollte.

Und so erfand Friedrich Flick die Arisierung, und das ist Raub jüdischen Eigentums auf streng gesetzlicher Grundlage. Gewiß, »entjudet« wurde die deutsche Wirtschaft seit 1933, und dabei wandte man nicht immer die feinsten Methoden an. Friedrich Flick in seiner vornehm-sachlichen Art widerstrebte Derartiges. Er wollte Paragraphen haben, die ihn ins Recht setzten, wenn er Juden ihr Eigentum wegnahm. Doch sein Rechtsanwalt Dr. Hugo Dietrich kam am 20. Juni 1938 zu dem betrüblichen Ergebnis: »Nach deutschem Recht besteht eine gesetzliche Handhabe, die Veräußerung der in jüdischen Händen befindlichen Betriebe oder Beteiligungen gegen den Willen der jüdischen Besitzer herbeizuführen, bisher nicht, selbst nicht bei lebenswichtigen Unternehmen.«

Wo kein Recht ist, muß in einem geordneten Staatsbetrieb ebenso wie in einem geordneten Gewerbebetrieb ein Recht geschaffen werden. Weil der Flick-Anwalt selbst eingesehen hatte, daß »nationalwirtschaftliche Belange gebieterisch die Überführung der jüdischen Beteiligung in arische Hände [erfordern], notfalls gegen den Willen ihrer jetzigen Besitzer«, bekam er von Flick sofort den Auftrag, ein entsprechendes Gesetz zur Weiterleitung an die Reichsregierung auszuarbeiten – so vereinfacht war damals das Gesetzgebungsverfahren.

Doch keine Welt ist vollkommen: Die Nazis, gerade in Österreich einmarschiert, wollten zu dieser Zeit keine zusätzlichen internationalen Verwicklungen wegen der lästigen Judenfrage haben. Bis zum 3. Dezember 1938 mußte sich Flick gedulden. Da endlich – die Konferenz von München war erfolgreich bestanden – wurde die vom Flick-Konzern vorbereitete »Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens« verkündet. Zwecks Arisierung konnten jetzt – streng gesetzlich – allmächtige Treuhänder in »jüdische Gewerbebetriebe« eingesetzt werden. Und Flick hatte die treueste Hand.

Hand in Hand marschierte man durchs Dritte Reich: Die Nazis bekamen von Flick zwischen 1933 und 1945 genau 7,65 Millionen Reichsmark spendiert – nicht gerechnet die wertvollen Gemälde, die Friedrich Flick als kleine Aufmerksamkeit unter Geschäftsfreunden Hermann Göring, dem obersten Wirtschaftsführer, schenkte. Der Geier, wie ihn Bewunderer nannten, stieg durch Arisierung, Rüstungsgewinne, Raub französischer und sowjetischer Stahlwerke und Maschinenfabriken wie durch ein Heer billiger Sklavenarbeiter schon vor 1945 zum Milliardär, ja zu Deutschlands reichstem Mann empor.

Arisierung ist kein Verbrechen

»Wegen industriellen Piratentums« stellten die USA Flick vors Nürnberger Kriegsverbrecher-Tribunal. »Ich protestiere«, sagte da der Geier, »gegen die Tatsache, daß in meiner Person Deutschlands Industrielle vor der ganzen Welt als Sklavenausbeuter und Räuber verleumdet werden.«

Der Kalte Krieg hatte schon begonnen. Und so fanden sich für Flick die mildesten Richter, die in den USA damals für deutsche Kriegsverbrecher aufgetrieben werden konnten. Mit dem Anklagepunkt »Arisierung« befaßte sich das Urteil nicht, denn die Benutzung eines »Drucks aus rassischen oder religiösen Gründen« sei »niemals als Verbrechen gegen die Menschlichkeit angesehen worden «. Für Plünderung und Sklavenarbeit kam Flick mit sieben Jahren Gefängnis davon und wurde 1950 vorzeitig entlassen.

Den Konzern hatte er schon vorher – wie die Tradition es gebot – aus seiner Zelle auf der Festung Landsberg weitergeführt. Und in die neue Regierungspartei entsandte er seinen Privatsekretär Dr. Robert Tillmanns, der von 1953 bis zum Tod 1955 als Minister für »besondere Angelegenheiten « die Flick-Interessen im Adenauer-Kabinett vertrat. Seinen freigesprochenen Komplizen Odilo Burkart setzte er als Vorstandsvorsitzenden der Maxhütte ein – Flick wußte, da gibt’s auch Uran. Als Burkart 1956 dem atomwaffensüchtigen Verteidigungsminister Franz Josef Strauß den ersten in der Bundesrepublik produzierten Atomstab präsentierte, konnte er die Weitsicht seines Chefs nur loben: »Trotz des damaligen Verbots durch alliierte Gesetze nahm der Besitzer der Maxhütte, Friedrich Flick (…) das Risiko auf sich, die Prospektionsarbeiten zu finanzieren und gegenüber dem Alliierten Sicherheitsdienst abzudecken.«

Ja, Ludwig Erhard, der einstige Wirtschaftsminister und Bundeskanzler, hatte es am Ehrenhof 4a am 28. Juli vor vierzig Jahren mit seiner Formulierungskunst völlig richtig erkannt: »Meine Aussage ist wahr und richtig, daß ich nur selten einem Unternehmer von auch nur einigermaßen gleichem Rang begegnet bin, der aus seiner ursprünglichen Natur und Gesinnung heraus so schlicht und einfach war wie diese ragende Gestalt des Unternehmertums.«

Mit »Stolz« bekannte da der Vater des Wirtschaftswunders, daß »mich mit dem Verschiedenen gleiche gesellschaftswirtschaftliche Überzeugungen « – Arisierung befand auch Erhard rechtmäßig und betrieb sie für seine Chefs in der Nazizeit – »aber nicht zuletzt auch die Anerkennung außerökonomischer höherer Werte verbanden«.

Und ein hoher Gönner verband sie auch, von dem freilich der im Ehrenhof 4a abwesende Sohn Otto-Ernst Flick nichts wissen wollte. »Ich bin hier in einer Gesellschaft, die etwas beunruhigend ist«, beklagte der in Nürnberg eingesperrte aber dann doch nicht verurteilte Otto-Ernst. »Ich darf mit niemandem sprechen, wenn ich mein Essen hole, komme ich an Zellentüren vorbei und sehe Namen, die mir spanisch vorkommen wie von Pohl, Ohlendorf. Was hab ich zum Beispiel mit Ohlendorf zu tun, daß ich zum Beispiel mit ihm zusammenleben soll. Ich habe das Buch gelesen über das Nürnberger Urteil, es steht darin, daß Ohlendorf zugegeben hat, im Osten 90 000 Menschen umgebracht zu haben. Sie können verstehen, daß es nicht angenehm ist, mit solchen Leuten unter einem Dach zu wohnen, es ist ein beunruhigendes Gefühl.«

So kann man es in einem der drei Bände nachlesen, von denen noch zu sprechen sein wird. Dort (»Der Flick-Konzern im Dritten Reich«) ist knapp auch die Rede vom »Freundeskreis Himmler« – genau »Freundeskreis Reichsführer SS« – in dem der Flick-Generalbevollmächtigte SS-Standartenführer Otto Steinbrinck und bald auch Flick selbst Mitglieder waren. Bearbeiter Bernhard Gotto behandelt diese wichtige Zugehörigkeit, die mit hohen Spenden an die SS verbunden war, die wiederum materiell noch höhere Gegenleistungen generierten, nur knapp: »Allein der Titel stellte die Mitglieder unter den Generalverdacht, mit dem Antreiber des Völkermords, Chef des Bespitzelungsapparates und Herrn über ein verzweigtes System von Konzentrationslagern und Sklavenhalterbetrieben unter einer Decke gesteckt zu haben.«

Aber eben nur ein Generalverdacht, an dem doch wohl wenig dran ist. Gotto: »Zu den Vorzügen, die den Mitgliedern zuteil wurden, zählten während der Reichsparteitage die Unterbringung als Ehrengast im Nürnberger Grandhotel und ein gemeinsames Abendessen mit Himmler. Weniger bedeutsam waren die regelmäßigen Zusammentreffen, zu denen Himmler einlud und bei denen er wohldosierte Einblicke in sein weitverzweigtes Arbeitsfeld gewährte. Dabei dürften Flick und Steinbrinck wohl kaum Insiderinformationen bekommen haben.« Auch nicht beim gemeinsamen Betriebsausflug ins KZ Dachau – das war laut Gotto – nur »eine Inszenierung«.

Und was war mit Freundeskreis-Mitglied Otto Ohlendorf, dem in Nürnberg so gesprächigen Massenmörder? Mit ihm, der nach seinem »Einsatz« im Osten als Unterstaatssekretär im Reichswirtschaftsministerium der eigentliche Chef anstelle des meist unter Alkohol stehenden Ministers Funk wurde? Hat er nie etwas über seine Erfolge beim Judenschlachten erzählt? Er war der eigentliche Gastgeber, wenn Himmler, wie meist, verhindert war, ja Ohlendorf sagte später, wie Gotto selbst referiert, in Nürnberg aus: »Flick traf genauso wie bei Göring auch gegenüber Himmler den richtigen Ton und war einer der wenigen, mit denen sich der ›Reichsführer‹ bei den Treffen länger unterhält.«

Da macht Flick-Sohn Otto-Ernst Sperenzchen, nur weil er mit dem Mörder von 90 000 Männern, Frauen und insbesondere Kindern unter einem Dach zu leben hat. Die Einstellung von Zwangsarbeitern, derentwegen Otto-Ernst in Nürnberg weilen mußte, erfordert nun einmal eine gewisse Härte, und da anständig geblieben zu sein zu seinem Lieferanten, ist eigentlich Ehrensache.

Und überhaupt, was hätte Ludwig Erhard dazu gesagt? Der kannte Otto Ohlendorf gut, weil er mit ihm und seinem Vertreter schon seit dem Herbst 1944 im Reichswirtschaftsministerium über die von der Reichsgruppe Industrie erwünschte Nachkriegsordnung konferierte – die zukunftsfähige Bezeichnung »Soziale Marktwirtschaft« wurde dabei auch schon ausgeknobelt. (siehe jW-Thema vom 19.9.2009)

Nein, vor vierzig Jahren erinnerte sich Ludwig Erhard sehr wohl, wie er Friedrich Flick im Kriegsverbrechergefängnis besuchte: »Weder beklagte er sein Los noch dachte er an staatliche Unterstützung. Vielmehr, ja fast allein kam es ihm darauf an, die neue wirtschaftspolitische Konzeption aus sich selbst heraus zu begreifen, um seinem Tun auch neue Maßstäbe setzen zu können. Geheimnisse konnte ich ihm ohnedies nicht verraten.«

Und so gab, lehrt mich mein Gedenkbüttenheft, Ludwig Erhard vor vierzig Jahren das Kommando: »Wir alle aber, die um seinen Tod trauern, erheben uns von unseren Sitzen und bekunden damit, daß wir Friedrich Flick in Verehrung und Dankbarkeit verbunden bleiben wollen.«

Als aber die verehrte Trauergemeinde sich wieder gesetzt hatte, erhob sich die größte Verbrechergestalt, über die das deutsche Bankwesen damals verfügte, erhob sich der Große Arisierer, der Aufsichtsrat von IG Auschwitz Hermann Josef Abs und sprach das entscheidende Wort: »Ich erinnere mich meines Besuches beim Prozeß in Nürnberg, wo die deutschen Unternehmer nicht begriffen hatten, daß nicht die I.G., nicht Krupp, nicht Flick angeklagt waren, sondern die ganze deutsche Wirtschaft.«

Das ganze deutsche Volk hätte sich hinter Flick, hinter alle Flicks auf der Anklagebank stellen müssen, aber Abs: »Ich erinnere mich, als Zuschauer Zeuge der verschiedenen Prozesse gewesen zu sein, immer als einziger auf den Zuschauertribünen« – auf die er nun wirklich nicht gehörte –, »die leicht hundert und mehr hätten fassen können. Er trug auch dies, einsam und hart, Gegenwart und Zukunft verdrängend und Zukünftiges planend.«

Am Montag Teil II und Schluß: »Bundesrepuflick Deutschland« 

Mit freundlicher Genehmigung von Junge Welt

Siehe auch:

Bundesrepuflick Deutschland
Der alte Geier war tot. Da erhob sich der junge, krallte sich das Land, um die Brut des Bruders aus dem Nest zu werfen. Man nannte es fortan Landschaftspflege (Teil II und Schluß)