03.07.2017
Der RuhrEcho Verlag aus
Bochum präsentiert: Günter Gleising:
„Verbrechen der Wirtschaft – Der Anteil der
Wirtschaft an der Errichtung der Nazidiktatur, der
Aufrüstungs-und Kriegspolitik im Ruhrgebiet
1925-1945“
Mit einem
Geleitwort von Ulrich Sander, Bundessprecher der VVN-Bund der
Antifaschistinnen und Antifaschisten
Das Vorwort
Die Ausgangsfragestellungen: Wie war es
möglich, dass Hitler und seine Nazipartei innerhalb weniger
Jahre von einer politischen Splittergruppe zu einer politisch
einflussreichen Kraft werden konnten? Wie war es möglich, dass
Hitler schließlich Anfang 1933 die Reichskanzlerschaft
angetragen werden konnte? Wie war es möglich, dass das
faschistische Regime an der Macht innerhalb von sehs Jahren in der Lage
war, einen Krieg zu führen und halb Europa zu unterjochen? Wie
war es möglich, dass die größten Teile des
deutschen Volkes Hitler auch dann noch folgten, als die Niederlage
deutlich zu erkennen war?
Hitlers Aufstieg und der seiner Partei
wäre ohne die Unterstützung der Wirtschaft nicht
möglich gewesen. Besonders an Rhein und Ruhr fand er schnell
große Hilfe und finanzielle Gönner. Dabei kam
zusammen, dass sich das Interesse der Wirtschaft an der Beseitigung der
Hemmnisse an der Profitmaximierung mit Hitlers politischem und
ökonomischem Programm traf. In der Autark-und
Rüstungspolitik sahen viele Industrielle frühzeitig
beste Entfaltungs-und Profitmöglichkeiten.
Das jetzt vorgelegte Buch belegt auch anhand
zahlreicher Fotos und Zeitdokumenten, wie es Hitler gelang, sich von
1925 an im Ruhrgebiet zu verankern und Gelder bei Industriellen
einzusammeln. Im Düsseldorfer Industrieclub waren am 26.
Januar 1932 über 600 hohe Wirtschaftsvertreter und
Industrielle der Schwerindustrie von Hitlers Ausführungen
derart begeistert, dass der Ruf „Hitler an die
Macht“ immer größer wurde. In letzten
Gesprächen mit maßgeblichen Vertretern der
Wirtschaft in Köln und Dortmund wurden schließlich
die Weichen dafür gestellt, dass Reichspräsident von
Hindenburg die Macht in Hitlers Hände legte. Hitler und seinen
Naziorganisationen gelang es innerhalb weniger Wochen, die
Arbeiterbewegung zu zerschlagen, die verbliebenen bürgerlichen
Oppositionellen beiseite zu schieben und das Land mit Gewalt und Terror
zu überziehen. Mit Wissen, Billigung und
Unterstützung der Wirtschaft wurde die Demokratie abgeschafft,
die Republik zerschlagen.
Das Buch bietet viele Einblicke in die Struktur
und die Mechanismen, die diese Entwicklung schufen. Begünstigt
von der gewaltigen Konzentrationswelle der Schwerindustrie im
Ruhrgebiet, dem enormen Einfluss von Industriellen wie Krupp, Thyssen,
Borbet, Vögler, Flick und Springorum, den Ergebnissen der
Abwälzung der Krisenlasten auf die arbeitende und arbeitslose
Bevölkerung, konnte schnell Hitlers Programm der
Aufrüstungs-und Kriegspolitik umgesetzt werden. Krupp wurde
wieder Rüstungsschmiede, der Bochumer Verein zusammen mit der
übernommenen HANOMAG zum technologisch führenden
Entwicklungskonzern für Rüstung ausgebaut. Die
Schwerindustrie eilte von Rekordergebnis zu Rekordergebnis.
Die Konzerne an Rhein und Ruhr wurden zum
Instrument der totalen Kriegsführung, der Ausbeutung der
eigenen Bevölkerung ebenso wie der Ausbeutung der
unterworfener Länder und ihrer Menschen. Die
Unterdrückung der jüdischen Bürgerinnen und
Bürger ab 1933 fand ihre Fortsetzung in der Einverleibung des
jüdischen Besitzes in deutsche Betriebe und Konzerne und wenig
später im Holocaust. Die Zwangsarbeit im Ruhrgebiet wurde zur
Massenerscheinung und gipfelte in der Errichtung von vielen Hundert
Zwangsarbeiterlagern und dem Bau von KZ-Außenlagern.
Am Ende des Buches wird angerissen, wie die
wirtschaftlich Mächtigen versuchten, sich eine reine Weste zu
verschaffen oder der Entnazifizierung zu entgehen. Andere mussten zwar
in Haftanstalten, wurden aber schnell wieder entlassen. Große
Teile des technologischen und innovativen Potentials der Ruhrwirtschaft
und vor allem der Rüstungsindustrie wurde schon bald vor allem
von der US-amerikanischen Besatzungsmacht in die USA transferiert.
Dabei ging es um die Innovationen der Stahlindustrie und
Kohlewirtschaft ebenso wie Technologien der Kriegstechnik und
den Raketenbau. Am letztgenannten war z. B. auch der Bochumer Verein
mit der Luft-Luftrakete „Ruhrstahl X 4“ beteiligt.
Zum Geleit
Zwei Meldungen möchte ich meiner
Einleitung voranstellen, dem Geleit zu einem sehr bemerkenswerten Buch.
Es behandelt eine dramatische und tragische geschichtliche Entwicklung,
die offiziell niemand bemerken soll.
Zunächst diese: „Die Zentrale
Stelle (zur Aufklärung von NS-Massenverbrechen) in Ludwigsburg
steht vor dem Aus. Große Teile ihrer Bestände sollen
geschreddert werden. Aber sie sind interessant für die
Aufarbeitung des manchmal sehr wohlwollenden Umgangs der Ämter
mit NS-Tätern.“ (Jüdische Allgemeine, 8.
12. 2016)
Und diese: „Regierung streicht heikle
Passagen aus Armutsbericht. (…) So fehlt zum Beispiel der
Satz: ‚Die Wahrscheinlichkeit für eine
Politikveränderung ist wesentlich höher, wenn diese
Politikveränderung von einer großen Anzahl von
Menschen mit höherem Einkommen unterstützt
wird.‘“ (Süddeutsche Zeitung, 15. 12. 2016)
Noch bis vor kurzem hat Ludwigsburg in der Aktion
„Last Chance“ gegen hochbetagte Täter aus
Vernichtungslagern ermittelt und Bestrafungen erwirkt. Es waren
Aufseher beispielsweise aus Auschwitz. Die Erbauer von
Auschwitz-Birkenau, die Banker und IG Farben-Manager bzw. ihre
Institutionen wurden nicht belangt. Ihre strafweise Enteignung
unterblieb. Es gab umfassende Tätergruppen, die nie von
deutschen Gerichten belangt wurden. So die deutschen Unternehmer.
Alle Formen der kapitalistischen Herrschaft
– so die konstitutionelle Monarchie, die parlamentarische
Republik und auch der Faschismus – sehen die
„Politikveränderung von einer großen
Anzahl von Menschen mit höherem Einkommen“ vor. 1933
wäre die Machtübertragung an Hitler und seine Partei
nicht möglich gewesen ohne den Willen der
ökonomischen Eliten. Krieg, Holocaust, Millionen Tote, ein
zerstörtes Europa – all das wäre uns
erspart geblieben, wenn die „Räte der
Götter“ nicht ihre Macht ausgeübt
hätten.
Nach 1945 war allgemein die Erkenntnis verbreitet,
dass die kapitalistischen Unternehmen und ihre Führungen nie
wieder so viel Macht erlangen dürfen wie 1933. Im Ahlener
Programm der CDU von 1947 hieß es: „Das
kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen
Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Nach dem
furchtbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch
als Folge einer verbrecherischen Machtpolitik kann nur eine Neuordnung
von Grund auf erfolgen. Inhalt und Ziel dieser sozialen und
wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische
Wirtschafts- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres
Volkes sein. Durch eine gemeinwirtschaftliche Ordnung soll das deutsche
Volk eine Wirtschafts- und Sozialverfassung erhalten, die dem Recht und
der Würde des Menschen entspricht.“
Es ist anders gekommen. Doch es gibt noch immer
die Möglichkeiten, an die Erkenntnisse von 1947
anzuknüpfen. Das Grundgesetz und die
Länderverfassungen kennen Sozialisierungsartikel. Das
Bundesverfassungsgericht entschied in einem Grundsatzurteil im Jahre
1954: „Die gegenwärtige Wirtschafts- und
Sozialordnung ist zwar eine nach dem Grundgesetz mögliche
Ordnung, keineswegs aber die allein mögliche.“ Das
Urteil gilt bis heute.
Dennoch verhalten sich viele Gerichte und der
Verfassungsschutz so, als wäre der Kapitalismus gleichzusetzen
mit der Verfassung. Kapitalismuskritik gilt als verfassungsfeindlich.
Dieses Buch ist eine Anklageschrift, wie sie nie
ein Staatsanwalt im Lande geschrieben hat, - wie sie aber notwendig
gewesen wäre. Und nun liegt sie vor, geschrieben von einem
Aktivisten der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes / Bund der
Antifaschisten. Die Schuld des großen Kapitals an der
Vernichtung der Demokratie, an Kriegsvorbereitung und Massenvernichtung
von Menschen wird nachgewiesen. Erstmals wird der Umsturz nicht nur im
Reichsmaßstab, an der Spitze der Pyramide dargestellt,
sondern auch die Auswirkungen in den Betrieben werden verdeutlicht. Der
Unternehmer wurde zum Betriebsführer, zum Diktator, der
über seine Gefolgschaft herrschte. Belegt wird, dass das
Gerede von der Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit durch die Nazis
verlogen ist. Zwar kamen mehr Arbeiterinnen und Arbeit in die Betriebe,
aber für größere Belegschaften wurde eine
geringere Lohnsumme gezahlt. Der Begriff Zwangsarbeit
hätte eigentlich ab 1933 für alle Arbeiter angewendet
werden müssen, der dann ab Kriegsbeginn für die
Millionen Deportierten galt, auf die der Begriff Sklavenarbeit
anzuwenden wäre.
Die faschistische Herrschaft wird in diesem Buch
bis an die Basis im Betrieb herab verfolgt, wie es bisher nicht
möglich war. Das gelingt, indem neben der
gesamtgesellschaftlichen Entwicklung der Focus auf Bochum gerichtet
wird, damals die Gauhauptstadt für den
größten Teil Westfalens. Damit wird eine Spurensuche
betrieben – Suche nach den Tätern bis in den
Stadtteil hinein. Möge mit dem Buch im regionalgeschichtlichen
Unterricht gearbeitet werden.
Die Alliierten haben in Nürnberg einige
wenige Industrielle angeklagt, die deutschen Behörden haben
sie wieder freigelassen und ihnen ihren Besitz zurückgegeben.
Auch von den ganz Großen wurden nur sehr wenige belangt, so
z.B. gingen die Quandts unbehelligt durch deutsche Nachkriegsgeschichte
und gehören damals wie heute zu den Reichsten. Mittels
Büchern wie dem vorliegenden und mit einer Aktion
„Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr
1933-1945“ zur Spurensuche und -kennzeichnung der Tatorte -
einer Aktion der VVN-BdA - können die geplanten justizialen
„Schredderaktionen“ in Frage gestellt werden, -
wenn auch nicht im juristischen Sinne, wohl aber im moralischen und
politischen. Die etablierten Historiker der Drittmittelforschung haben
sich auf das Schonen des Ansehens des großen Geldes geeinigt.
Der Historiker aus den USA Henry Ashby Turners legte 1985
dafür den Grundsatz fest: „Entspricht die weit
verbreitete Ansicht, dass der Faschismus ein Produkt des modernen
Kapitalismus ist, den Tatsachen, dann ist dieses System kaum zu
verteidigen.“ Ja, es ist nicht zu verteidigen. Mit diesem
Buch wird es angeklagt. „Eine Neuordnung von Grund
auf“ (CDU 1947) ist notwendig.
Ulrich Sander, Bundessprecher der VVN-BdA,
Dortmund im Januar 2017
Ca. 264 Seiten, mit zahlreichen Dokumenten und
Fotos
ISBN: 978-3-931999-22-3, ca. 18,00 Euro
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