Heartfield: "Millionen stehen hinter Hitler"

Rallye „Spurensuche Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945“

Ein Projekt der VVN/BdA NRW

 

29.01.2017

Am Holocaust-Gedenktag erinnern Antifaschisten an Opfer und Wegbereiter des Nationalsozialismus in Dortmund

Bericht von nordstadtblogger.de und die Rede von Ulrich Sander (VVN-BdA)

Am Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Ausschwitz durch die sowjetische Armee erinnerte die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes den Opfern des Nationalsozialismus. Darüber hinaus erinnerte die Vereinigung, die in diesem Jahr ihren 70. Gründungstag feiert, auch an die Täter und Unterstützer, die das Unrecht und den Holocaust erst möglich gemacht haben.

Provisorische Tafeln aus Pappe erinnern an die Ruhrlade. Fotos: Klaus Hartmann

Provisorische Tafeln aus Pappe erinnern an die Ruhrlade. Fotos: Klaus Hartmann

Die ehemalige Villa Springorum war Ort eines folgenreichen Treffens von Großindustriellen

Mahnwache an der Villa Springorum und Gedenken am Mahnmal für Sinti und Roma des VVN und des Bündnisses Dortmund gegen Rechts.

Mahnwache an der Villa Springorum und Gedenken am Mahnmal für Sinti und Roma des VVN und des Bündnisses Dortmund gegen Rechts.

Der Ort des Gedenken ist der Standort der ehemaligen Villa Springorum an der Hainallee (Ecke Eintrachtstraße) in der südlichen Innenstadt. Heute ist hier ein öffentlicher Park.

In dem Haus der Industriellen-Familie Springorum, deren Oberhaupt Friedrich und sein Sohn Fritz lange Jahre vor dem zweiten Weltkrieg die Geschicke des Dortmunder Stahlkonzerns Hoesch bestimmten, tagte zu Beginn des Jahres 1933 die geheime Ruhrlade.

„Es handelt sich dabei um eine kriminelle geheime Vereinigung von Superreichen profaschistischen Charakters“, so Ulli Sander vom VVN/BdA in seiner Ansprache.

Die VVN/BdA wünscht sich an der Hainallee eine dauerhafte Mahntafel

Ulli Sander, VVN, erinnert an die Verstrickungen zwischen Industrie und Nationalsozialismus

Ulli Sander, VVN, erinnert an die Verstrickungen zwischen Industrie und Nationalsozialismus

Die Interessensvereinigung von Ruhrindustriellen traf sich am 7. Januar 1933 zusammen mit dem ehem. Reichskanzler um über die Machtübertragung an Hitler und die NSDAP zu beraten.

„Hier wurde Geld für Hitler bereitgestellt“, so Sander. „…die Machtübertragung an Hitler wäre nicht möglich gewesen ohne den Willen der ökonomischen Eliten…“ und somit die Folgen, wie Krieg, Holocaust und Millionen Tote.

Zwei provisorische Tafeln aus Pappe an den Bäumen auf der Parkfläche erinnern heute an die Ereignisse im Januar 1933.

Die VVN hat Anfang des Jahres einen Antrag an die Stadt gestellt, den Tagungsort der Ruhrlade mit einer Mahntafel zu kennzeichnen. „Frühere Anträge dieser Art wurden bislang abgelehnt“, so die AktivistInnen.

Anschließend fand noch ein Gedenken am Stein für die Sinti & Roma (Weißenburger Straße / Ecke Gronaustraße) statt. Hier wurde ein Kranz für die Sinti & Roma niedergelegt, die vom ehemaligen Ostbahnhof aus nach Auschwitz ins Gas deportiert wurden. Das Gedenken wurde musikalisch von Peter Sturm begleitet.

Mit freundlicher Genehmigung der nordstadtblogger.de/

Rede von Ulrich Sander (VVN-BdA):

Am Holocaustgedenktag der Opfer gedenken, aber auch an die Täter aus den Reihen der ökonomischen Eliten warnend erinnern

Heute am Jahrestag der Befreiung der Überlebenden von Auschwitz durch die sowjetische Armee erinnern wir an alle Opfer des Naziregimes. Wir gedenken Ihrer und erinnern an den Schwur von Buchenwald, der kürzlich von den bundesdeutschen Verfassungsschutzämtern gewissermaßen zur verfassungsfeindlichen „kommunistischen Propaganda“ erklärt wurde, weil in ihm von der Beseitigung der Wurzeln des Faschismus die Rede ist. Wir erinnern aber auch an die Täter. Wenn jedes Jahr speziell einer Opfergruppe gedacht wird – so endlich heute im Bundestag der Opfer der Euthanasie – so spreche wir uns dafür aus, dass auch an die jeweiligen speziellen Tätergruppen erinnert werden sollte. In der Dortmunder Gedenkstätte Steinwache gibt es einen Raum zur Tätergruppe der Industriellen. Wir hoffen sehr dass die Enthüllungen über diese Tätergruppe auch Bestand haben werden, wenn die Gedenkstätte umgebaut wird. So sehr es nötig ist, an die Tätergruppe Polizei zu erinnern, wie es geplant ist, so sollten die Industriellen künftig nicht geschont werden.

Weiter führte Ulrich Sander, Bundessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes / Bund der Antifaschisten, am 27. 1. 17 an der Hainallee/Ecke Eintrachtstraße in Dortmund, dem ehemaligen Sitz der geheimen Ruhrlade aus:

„Hier an der Ecke Eintrachtstraße/Hainallee stand die Villa Springorum. Es trafen sich darin am 7. Januar 1933 Franz v. Papen und führende Ruhrindustrielle des Geheimbundes ‚Ruhrlade’, um über die Machtübertragung an Adolf Hitler und seine Partei zu entscheiden. Sie erfolgte am 30. Januar 1933, und viele Ruhrindustrielle unterstützten sie. Sie profitierten von Rüstung und Krieg, von der Beseitigung der Demokratie und der Gewerkschaften, von Antisemitismus, Holocaust und Zwangsarbeit und von der Unterdrückung und Ausplünderung der Völker Europas.“

Noch ist sie da, die Eingangstafel für Raum 6 der Gedenkstätte „Widerstand und Verfolgung in Dortmund 1933-1945“

Noch ist sie da, die Eingangstafel für Raum 6 der Gedenkstätte „Widerstand und Verfolgung in Dortmund 1933-1945“ (Foto: Monika Niehaus)

Mitglieder der Ruhrlade, waren u.a. Karl Haniel, Gustav Krupp von Bohlen und Halbach, Ernst Poensgen, Paul Reusch, Friedrich Springorum, Fritz Thyssen und Albert Vögler.

Ein Treffen am 4. Januar 1933 in Köln zur Vorbereitung der Machtübertragung an Hitler und das Treffen am 7. Januar 1933 in Dortmund stehen in engem Zusammenhang. Doch die wirkliche Entscheidung wurde in Dortmund von der geheimen „Ruhrlade“ getroffen. Hier wurde Geld für Hitler bereitgestellt, weil dieser versprach, die letzten Wahlen durchzuführen und sie dann für immer abzuschaffen. Außerdem die Gewerkschaften zu beseitigen. Und viel Geld für die Rüstung auszugeben, um die Ergebnisse des Ersten Weltkrieges mit Krieg zu revidieren.

Noch 2017 vorhanden – wie lange? Der Aufklärungstext in der Ausstellung Steinwache

Noch 2017 vorhanden – wie lange? Der Aufklärungstext in der Ausstellung Steinwache (Foto: Monika Niehaus)

Die politische Herrschaft der Reichen und Superreichen wurde kürzlich seitens der Regierung eingestanden: Im Armutsbericht der Regierung stand der Satz: „Die Wahrscheinlichkeit für eine Politikveränderung ist wesentlich höher, wenn diese Politikveränderung von einer großen Anzahl von Menschen mit höherem Einkommen unterstützt wird.“ (Süddeutsche Zeitung, 15. 12. 2016) Dieses Eingeständnis wurde jedoch aus der Endfassung des Berichtes gestrichen.

Es droht auch eine weitere Streichung, es droht der Schlussstrich und die Aktenvernichtung bei der Justiz. Die Zentrale Stelle für die Ahndung von NS-Massenverbrechen in Ludwigsburg soll geschlossen werden, enthüllte die Jüdische Allgemeine. Dabei wäre noch viel zu tun. Die Erbauer von Auschwitz-Birkenau, die Banker und IG Farben-Manager bzw. ihre Institutionen sowie die Schwerindustriellen der Ruhrlade wurden nicht belangt. Ihre strafweise Enteignung unterblieb. Es gab umfassende Tätergruppen, die nie von deutschen Gerichten belangt wurden. So die ganz großen deutschen Unternehmer. Ferner die Militärs, die nach 1945 von der Wehrmacht in die Bundeswehr wechselten und an den Massakern in den von Nazideutschland besetzten Gebieten beteiligt waren. Hunderte von ihnen leben noch.  

Alle Formen der kapitalistischen Herrschaft und Eigentumsverhältnisse – so die konstitutionelle Monarchie, die parlamentarische Republik und auch der Faschismus – sehen die „Politikveränderung von einer großen Anzahl von Menschen mit höherem Einkommen“ vor; wer arm ist, hat wenig Chancen auf Einflussnahme. 1933 wäre die Machtübertragung an Hitler und seine Partei nicht möglich gewesen ohne den Willen der ökonomischen Eliten. Krieg, Holocaust, Millionen Tote, ein zerstörtes Europa – all das wäre uns erspart geblieben, wenn die „Räte der Götter“ oder die „Ruhrlade“ nicht ihre Macht ausgeübt hätten.

Foto in der Steinwache: Hitler und Herren von der Ruhr

Foto in der Steinwache: Hitler und Herren von der Ruhr (Foto: Monika Niehaus)

Die Alliierten haben in Nürnberg einige wenige Industrielle angeklagt, die deutschen Behörden haben sie dann wieder freigelassen und ihnen ihren Besitz zurückgegeben. Auch von den ganz Großen wurden nur sehr wenige belangt, so z.B. gingen die Quandts unbehelligt durch die deutsche Nachkriegsgeschichte und gehören damals wie heute zu den Reichsten und Mächtigsten.

Die etablierten Historiker haben sich darauf geeinigt, das Ansehen des großen Geldes nicht zu beschädigen. Der Historiker aus den USA Henry Ashby Turners legte 1985 dafür den Grundsatz fest: „Entspricht die weit verbreitete Ansicht, dass der Faschismus ein Produkt des modernen Kapitalismus ist, den Tatsachen, dann ist dieses System kaum zu verteidigen.“ Ja, es soll schöngeredet werden. Die Stadt Dortmund,  heimlicher Sitz der Ruhrlade, hat sich in den bisherigen Antworten an uns auf die den Kapitalismus pauschal rechtfertigenden Thesen gestützt, die von Mr. Turner stammen.

Man tut so, als wäre der Kapitalismus gleichzusetzen mit der Verfassung. Kapitalismuskritik gilt als verfassungsfeindlich. Doch damit finden wir uns nicht ab. Wir brauchen Wirtschaftsdemokratie und wirkliche Mitbestimmung.

Überall schreiten die rechten Bewegungen voran, die die Kapitalherrschaft begünstigen. Viele Millionen Spendengelder und Steuergelder gingen an die AfD und NPD. Viele beträchtliche Beiträge spendete die deutsche Industrie für Donald Trump. Lassen wir nicht zu, dass der faschistische Saatboden, wie ein großer Gelehrter die AfD nennt, wieder reich gedüngt wird.

Kürzlich schrieb dieser Jürgen Habermas: „Parteien, die dem Rechtspopulismus Aufmerksamkeit statt Verachtung widmen, dürfen von der Zivilgesellschaft nicht erwarten, dass sie rechte Parolen und rechte Gewalt ächtet.“ Und so tragen sie dazu bei, dass die AfD von Erfolg zu Erfolg eilt. Statt um die Petrys, Höckes und Gaulands „herumzutanzen“, fordert Habermas, sie „kurz und trocken als das“ zu bezeichnen, „was sie sind – der Saatboden für einen neuen Faschismus.“ Es gilt, diesen Saatboden zu beseitigen. Die Geschichte mahnt uns.

Weitere Bilder aus Raum 6 “Die Schwerindustrie setzt auf Hitler“ der Steinwache sind im PDF zu sehen.