29.01.2017
Am Holocaust-Gedenktag
erinnern Antifaschisten an Opfer und Wegbereiter des
Nationalsozialismus in Dortmund
Bericht
von nordstadtblogger.de und die Rede von Ulrich Sander (VVN-BdA)
Am Jahrestag der Befreiung des
Konzentrationslagers Ausschwitz durch die sowjetische Armee erinnerte
die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes den Opfern des
Nationalsozialismus. Darüber hinaus erinnerte die Vereinigung,
die in diesem Jahr ihren 70. Gründungstag feiert, auch an die
Täter und Unterstützer, die das Unrecht und den
Holocaust erst möglich gemacht haben.

Provisorische
Tafeln aus Pappe erinnern an die Ruhrlade. Fotos: Klaus Hartmann
Die ehemalige
Villa Springorum war Ort eines folgenreichen Treffens von
Großindustriellen

Mahnwache
an der Villa Springorum und Gedenken am Mahnmal für Sinti und
Roma des VVN und des Bündnisses Dortmund gegen Rechts.
Der Ort des Gedenken ist der Standort der
ehemaligen Villa Springorum an der Hainallee (Ecke
Eintrachtstraße) in der südlichen Innenstadt. Heute
ist hier ein öffentlicher Park.
In dem Haus der Industriellen-Familie Springorum,
deren Oberhaupt Friedrich und sein Sohn Fritz lange Jahre vor dem
zweiten Weltkrieg die Geschicke des Dortmunder Stahlkonzerns Hoesch
bestimmten, tagte zu Beginn des Jahres 1933 die geheime Ruhrlade.
„Es handelt sich dabei um eine
kriminelle geheime Vereinigung von Superreichen profaschistischen
Charakters“, so Ulli Sander vom VVN/BdA in seiner Ansprache.
Die VVN/BdA
wünscht sich an der Hainallee eine dauerhafte Mahntafel

Ulli
Sander, VVN, erinnert an die Verstrickungen zwischen Industrie und
Nationalsozialismus
Die Interessensvereinigung von Ruhrindustriellen
traf sich am 7. Januar 1933 zusammen mit dem ehem. Reichskanzler
um über die Machtübertragung an Hitler und die NSDAP
zu beraten.
„Hier wurde Geld für Hitler
bereitgestellt“, so Sander. „…die
Machtübertragung an Hitler wäre nicht
möglich gewesen ohne den Willen der ökonomischen
Eliten…“ und somit die Folgen, wie Krieg,
Holocaust und Millionen Tote.
Zwei provisorische Tafeln aus Pappe an den
Bäumen auf der Parkfläche erinnern heute an die
Ereignisse im Januar 1933.
Die VVN hat Anfang des Jahres einen Antrag an die
Stadt gestellt, den Tagungsort der Ruhrlade mit einer Mahntafel zu
kennzeichnen. „Frühere Anträge dieser Art
wurden bislang abgelehnt“, so die AktivistInnen.
Anschließend fand noch ein Gedenken am
Stein für die Sinti & Roma (Weißenburger
Straße / Ecke Gronaustraße) statt. Hier wurde ein
Kranz für die Sinti & Roma niedergelegt, die vom
ehemaligen Ostbahnhof aus nach Auschwitz ins Gas deportiert wurden. Das
Gedenken wurde musikalisch von Peter Sturm begleitet.
Mit
freundlicher Genehmigung der nordstadtblogger.de/
Rede von
Ulrich Sander (VVN-BdA):
Am
Holocaustgedenktag der Opfer gedenken, aber auch an die Täter
aus den Reihen der ökonomischen Eliten warnend erinnern
Heute am Jahrestag der Befreiung der
Überlebenden von Auschwitz durch die sowjetische Armee
erinnern wir an alle Opfer des Naziregimes. Wir gedenken Ihrer und
erinnern an den Schwur von Buchenwald, der kürzlich von den
bundesdeutschen Verfassungsschutzämtern
gewissermaßen zur verfassungsfeindlichen
„kommunistischen Propaganda“ erklärt
wurde, weil in ihm von der Beseitigung der Wurzeln des Faschismus die
Rede ist. Wir erinnern aber auch an die Täter. Wenn jedes Jahr
speziell einer Opfergruppe gedacht wird – so endlich heute im
Bundestag der Opfer der Euthanasie – so spreche wir uns
dafür aus, dass auch an die jeweiligen speziellen
Tätergruppen erinnert werden sollte. In der Dortmunder
Gedenkstätte Steinwache gibt es einen Raum zur
Tätergruppe der Industriellen. Wir hoffen sehr dass die
Enthüllungen über diese Tätergruppe auch
Bestand haben werden, wenn die Gedenkstätte umgebaut wird. So
sehr es nötig ist, an die Tätergruppe Polizei zu
erinnern, wie es geplant ist, so sollten die Industriellen
künftig nicht geschont werden.
Weiter führte Ulrich Sander,
Bundessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes / Bund
der Antifaschisten, am 27. 1. 17 an der Hainallee/Ecke
Eintrachtstraße in Dortmund, dem ehemaligen Sitz der geheimen
Ruhrlade aus:
„Hier an der Ecke
Eintrachtstraße/Hainallee stand die Villa Springorum. Es
trafen sich darin am 7. Januar 1933 Franz v. Papen und
führende Ruhrindustrielle des Geheimbundes
‚Ruhrlade’, um über die
Machtübertragung an Adolf Hitler und seine Partei zu
entscheiden. Sie erfolgte am 30. Januar 1933, und viele
Ruhrindustrielle unterstützten sie. Sie profitierten von
Rüstung und Krieg, von der Beseitigung der Demokratie und der
Gewerkschaften, von Antisemitismus, Holocaust und Zwangsarbeit und von
der Unterdrückung und Ausplünderung der
Völker Europas.“

Noch
ist sie da, die Eingangstafel für Raum 6 der
Gedenkstätte „Widerstand und Verfolgung in Dortmund
1933-1945“ (Foto: Monika Niehaus)
Mitglieder der Ruhrlade, waren u.a. Karl Haniel,
Gustav Krupp von Bohlen und Halbach, Ernst Poensgen, Paul Reusch,
Friedrich Springorum, Fritz Thyssen und Albert Vögler.
Ein Treffen am 4. Januar 1933 in Köln zur
Vorbereitung der Machtübertragung an Hitler und das Treffen am
7. Januar 1933 in Dortmund stehen in engem Zusammenhang. Doch die
wirkliche Entscheidung wurde in Dortmund von der geheimen
„Ruhrlade“ getroffen. Hier wurde Geld für
Hitler bereitgestellt, weil dieser versprach, die letzten Wahlen
durchzuführen und sie dann für immer abzuschaffen.
Außerdem die Gewerkschaften zu beseitigen. Und viel Geld
für die Rüstung auszugeben, um die Ergebnisse des
Ersten Weltkrieges mit Krieg zu revidieren.

Noch
2017 vorhanden – wie lange? Der Aufklärungstext in
der Ausstellung Steinwache (Foto: Monika Niehaus)
Die politische Herrschaft der Reichen und
Superreichen wurde kürzlich seitens der Regierung
eingestanden: Im Armutsbericht der Regierung stand der Satz:
„Die Wahrscheinlichkeit für eine
Politikveränderung ist wesentlich höher, wenn diese
Politikveränderung von einer großen Anzahl von
Menschen mit höherem Einkommen unterstützt
wird.“ (Süddeutsche Zeitung, 15. 12. 2016) Dieses
Eingeständnis wurde jedoch aus der Endfassung des Berichtes
gestrichen.
Es droht auch eine weitere Streichung, es droht
der Schlussstrich und die Aktenvernichtung bei der Justiz. Die Zentrale
Stelle für die Ahndung von NS-Massenverbrechen in Ludwigsburg
soll geschlossen werden, enthüllte die Jüdische
Allgemeine. Dabei wäre noch viel zu tun. Die Erbauer von
Auschwitz-Birkenau, die Banker und IG Farben-Manager bzw. ihre
Institutionen sowie die Schwerindustriellen der Ruhrlade wurden nicht
belangt. Ihre strafweise Enteignung unterblieb. Es gab umfassende
Tätergruppen, die nie von deutschen Gerichten belangt wurden.
So die ganz großen deutschen Unternehmer. Ferner die
Militärs, die nach 1945 von der Wehrmacht in die Bundeswehr
wechselten und an den Massakern in den von Nazideutschland besetzten
Gebieten beteiligt waren. Hunderte von ihnen leben noch.
Alle Formen der kapitalistischen Herrschaft und
Eigentumsverhältnisse – so die konstitutionelle
Monarchie, die parlamentarische Republik und auch der Faschismus
– sehen die „Politikveränderung von einer
großen Anzahl von Menschen mit höherem
Einkommen“ vor; wer arm ist, hat wenig Chancen auf
Einflussnahme. 1933 wäre die Machtübertragung an
Hitler und seine Partei nicht möglich gewesen ohne den Willen
der ökonomischen Eliten. Krieg, Holocaust, Millionen Tote, ein
zerstörtes Europa – all das wäre uns
erspart geblieben, wenn die „Räte der
Götter“ oder die „Ruhrlade“
nicht ihre Macht ausgeübt hätten.

Foto
in der Steinwache: Hitler und Herren von der Ruhr (Foto: Monika Niehaus)
Die Alliierten haben in Nürnberg einige
wenige Industrielle angeklagt, die deutschen Behörden haben
sie dann wieder freigelassen und ihnen ihren Besitz
zurückgegeben. Auch von den ganz Großen wurden nur
sehr wenige belangt, so z.B. gingen die Quandts unbehelligt durch die
deutsche Nachkriegsgeschichte und gehören damals wie heute zu
den Reichsten und Mächtigsten.
Die etablierten Historiker haben sich darauf
geeinigt, das Ansehen des großen Geldes nicht zu
beschädigen. Der Historiker aus den USA Henry Ashby Turners
legte 1985 dafür den Grundsatz fest: „Entspricht die
weit verbreitete Ansicht, dass der Faschismus ein Produkt des modernen
Kapitalismus ist, den Tatsachen, dann ist dieses System kaum zu
verteidigen.“ Ja, es soll schöngeredet werden. Die
Stadt Dortmund, heimlicher Sitz der Ruhrlade, hat sich in den
bisherigen Antworten an uns auf die den Kapitalismus pauschal
rechtfertigenden Thesen gestützt, die von Mr. Turner stammen.
Man tut so, als wäre der Kapitalismus
gleichzusetzen mit der Verfassung. Kapitalismuskritik gilt als
verfassungsfeindlich. Doch damit finden wir uns nicht ab. Wir brauchen
Wirtschaftsdemokratie und wirkliche Mitbestimmung.
Überall schreiten die rechten Bewegungen
voran, die die Kapitalherrschaft begünstigen. Viele Millionen
Spendengelder und Steuergelder gingen an die AfD und NPD. Viele
beträchtliche Beiträge spendete die deutsche
Industrie für Donald Trump. Lassen wir nicht zu, dass der
faschistische Saatboden, wie ein großer Gelehrter die AfD
nennt, wieder reich gedüngt wird.
Kürzlich schrieb dieser Jürgen
Habermas: „Parteien, die dem Rechtspopulismus Aufmerksamkeit
statt Verachtung widmen, dürfen von der Zivilgesellschaft
nicht erwarten, dass sie rechte Parolen und rechte Gewalt
ächtet.“ Und so tragen sie dazu bei, dass die AfD
von Erfolg zu Erfolg eilt. Statt um die Petrys, Höckes und
Gaulands „herumzutanzen“, fordert Habermas, sie
„kurz und trocken als das“ zu bezeichnen,
„was sie sind – der Saatboden für einen
neuen Faschismus.“ Es gilt, diesen Saatboden zu beseitigen.
Die Geschichte mahnt uns.
Weitere Bilder aus Raum 6
“Die Schwerindustrie setzt auf Hitler“ der
Steinwache sind im PDF zu sehen.
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