Heartfield: "Millionen stehen hinter Hitler"

Rallye „Spurensuche Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945“

Ein Projekt der VVN/BdA NRW

 

21.10.2016

Zur Erinnerungsarbeit in Dortmund

Der 7. Januar 1933 und die Springorum-Villa

Von Ulrich Sander

In 2008 haben wir angefangen, die Tatorte der pro-faschistischen ökonomischen Eliten in Dortmund zu kennzeichnen (Kirdorf, Spingorum, Vereinigte Stahwerke/ Arbeitserziehungs-Lager). Wir schlugen vor, den Ort der ehem. Spingorum-Villa, Treffen der Ruhrlade am 7.1.1933, mit einer Tafel zu versehen, was die Stadt Dortmund ablehnte. Offenbar gibt es noch viel Einfluss der Springorum-Familie, was aber nicht thematisiert wurde. Stattdessen sagte man: Der Ort ist nicht vergleichbar mit dem Ort des 4.1.33 in Köln (Schröder-Villa), obgleich in Dortmund in der Springorum-Villa das Treffen zur Vorbereitung des 30.1.33 seine Fortsetzung fand, mit Papen, Krupp, Springorum, Vögler, Reusch u. a. Auch trete die Stadt der vermeintlich (aber so nicht wirklich) von uns vertretenen Linie: ‚Finanzkapital und Schwerindustrie bezahlten und kauften Hitler und setzten ihn somit ein‘, nicht bei. Vermutlich soll nun entsprechend die Gedenkstätte Steinwache umgestaltet werden zur Exkulpation des Kapitalismus. In der Wissenschaft habe sich Turner durchgesetzt:

Henry Ashby Turner: Faschismus und Kapitalismus in Deutschland. Studien zum Verhältnis zwischen Nationalsozialismus und Wirtschaft, Göttingen 1972

Henry Ashby Turner: Die Großunternehmer und der Aufstieg Hitlers, Berlin 1985.

Turner wird als die Krönung der Wissenschaft auf diesem Sektor ausgegeben. Er beweise, dass die Nazis vor allem aus eigenen Mitteln finanziert wurden, nicht aus Mitteln des Kapitals. Demzufolge sei der deutsche Faschismus auch keine Hervorbringung des Kapitalismus (was auch niemand so platt behauptet). Das NS-Regime wäre dennoch nicht ohne die Hilfe des Kapitals an die Macht gekommen, stellen wir dazu fest. Noch bis Anfang 1934 wäre dieses in der Lage gewesen, das System wieder abzuschütteln. Es hat es aber nicht gewollt. Dazu haben wir die Beweise vorgelegt:

Gustav Luntowski: „Hitler und die Herren an der Ruhr – Wirtschaftsmacht und Staatsmacht im Dritten Reich“, Peter Lang Frankfurt am Main/Bern, Europäischer Verlag der Wissenschaften, 2000, 315 Seiten, 52,-- Euro

Adam Tooze: Ökonomie der Zerstörung. Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus, Siedler Verlag, München 2007, 927 S., 44 Euro

Diese Bücher erschienen nach Turners Büchern. Tooze wurde in der bürgerlichen Wissenschaft sogar gewürdigt (ohne dass diese sich revidierte).

Ich schlage nun vor, einen neuen Versuch zu starten, um die Villa Springorum zu kennzeichnen und in Dortmund und darüber hinaus diesen Ort zur Warnung bekannt zu machen, und zwar mit einer Tafel ähnlich der am Stadtwaldgürtel 35 in Köln.

Über die Rolle des Treffens vom 7.1.33 in Dortmund gibt ein Buch Auskunft, das ich erst jetzt entdeckte:

Joachim Petzold: Franz von Papen. Ein deutsches Verhängnis. Buchverlag Union, München und Berlin 1995. 335 Seiten, 58,- Mark.

Dazu fand ich eine FAZ-Rezension (unten), der ich zwar nicht ganz zustimme (erneut die Verbeugungen vor Turner), das Buch ist aber sehr aufschlussreich hinsichtlich der Rolle von Papens. Seit Sommer 1932 lief die Connection Kapital-Hitler vor allem über Franz von Papen, der übrigens in Dülmen wohnte.

Zudem ist neu erschienen:       

Karsten Heinz Schönbach: »Die deutschen Konzerne und der Nationalsozialismus 1926–1943«, trafo Verlag, 2016,  658 Seiten, 59,80 €

Ein sehr wichtiges Buch! Es erhärtet die Erkenntnisse, die wir ab 2008 vorlegten und sollte unbedingt für die Umgestaltung der Steinwache beachtet werden. Der Raum in der Gedenkstätte Steinwache, der die Rolle der Ruhrindustrie beleuchtet, wird damit voll bestätigt.

Ich bitte die nachfolgenden Rezensionen – und möglichst die Bücher, die darin behandelt werden - auszuwerten und gründlich zu beachten.

Gerd Bedszent: Die Geldgeber der Nazis  (aus: Ossietzky, 19/16)

Adolf Hitlers Rolle als Steigbügelhalter der deutschen Konzerne war jahrzehntelang ein maßgeblicher Streitpunkt von Historikern aus Ost und West. Seit 1990 scheint der Streit entschieden. Die Dimitroffsche Definition vom Faschismus als »terroristische Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals« gilt seitdem als widerlegt.

Entsprechend den Abhandlungen verschiedener bundesdeutscher und US-amerikanischer Historiker erscheint nun eine kleine Gruppe führender Nazis als Alleinschuldige an Weltkrieg und Völkermord. Und wenn einzelne Unternehmen die Nazipartei finanziell unterstützt haben, so waren dies selbstverständlich Ausnahmen. Nein, mit dem Aufstieg der Nazis zur Regierungspartei und der Errichtung einer brutalen Diktatur hatte die Masse der deutschen Großindustriellen überhaupt nichts zu tun.

Es musste nun ausgerechnet ein ehemaliger ostdeutscher Stahlwerker sein, der sich kürzlich getraute, den Streit noch einmal aufzugraben. Der 1972 in Eisenhüttenstadt geborene Karsten Heinz Schönbach promovierte 2012 bei dem bekannten Faschismusforscher Wolfgang Wippermann an der Freien Universität Berlin. Und in seiner nun in Buchform vorliegenden Arbeit tritt er den Beweis an, dass die marxistische Geschichtsschreibung in Bezug auf Förderung der Nazis durch maßgebliche Teile der deutschen Industrie Recht hatte. Und dass die die deutschen Konzerne entlastenden Arbeiten bürgerlicher Historiker nicht weniger ideologisch motiviert waren, als die ihrer marxistischen Kontrahenten.

Die NSDAP wurde von zahlreichen führenden deutschen Großindustriellen und Finanzgiganten finanziell hochgepäppelt und gezielt als demokratiefeindliche Massenpartei aufgebaut. Hitlers auf einen neuen Krieg zielende Politik entsprach hundertprozentig den Interessen großer Teile der deutschen Wirtschaft; auch sein Kurs auf Errichtung einer offenen Diktatur. Die Distanzierung der Wirtschaftsgrößen von dem Naziregime erfolgte zumeist erst, als die militärische Niederlage im Zweiten Weltkrieg offensichtlich war.

Schönbach hat, um den Beweis für diese Thesen anzutreten, eine ungeheure Fleißarbeit geleistet: nicht nur bisher vorliegende Sekundärliteratur durchgearbeitet, sondern vor allem bisher noch nicht erschlossene Firmenarchive gesichtet. Allerdings stieß er nach eigenen Angaben überall auf Lücken – zahlreiche Unterlagen, die die Zusammenarbeit der damaligen Firmenleitungen mit der Naziführung belegten, seien offensichtlich in den letzten Jahrzenten gezielt vernichtet worden. Zu verschiedenen Aktenvorgängen wurde ihm keine Einsichtnahme gewährt – offenbar besteht bis heute kein Interesse an einer objektiven Aufarbeitung der Kumpanei deutscher Industrieller mit dem Naziregime.

Dennoch wurde Schönbach an genügend Stellen fündig, um die Unterstützung der NSDAP durch maßgebliche Kräfte des deutschen Kapitals belegen zu können. Auch unterzog sich der Autor einer ganz simplen Rechenaufgabe: Er ermittelte den jährlichen Finanzbedarf der NSDAP in den verschiedenen Phasen ihrer Entwicklung und rechnete die Einkünfte der Partei in Form von Mitgliedsbeiträgen und Literaturverkauf dagegen. Das Ergebnis war ebenfalls eindeutig: In keiner Phase ihrer Entwicklung war die Nazipartei auch nur ansatzweise in der Lage, sich ohne größere Spenden selbst zu tragen. Und solche Geldspenden konnten nur aus den Reihen der Industriellen und der großen Agrarunternehmen kommen.

Wie im Buch zitiert, schrieb bereits 1930 Joseph Goebbels triumphierend in sein Tagebuch: »Große Teile der Wirtschaft stehen heute schon bedingungslos bei uns.« Schönbach beschreibt, dass ab dem Jahr 1932 die NSDAP den größten Teil aller Wahlkampfspenden der Finanzelite abfasste.

Der Autor zitiert zahlreiche Briefe, Aktennotizen und Reden führender Industriebarone, in denen ganz offen rassistisches und antisemitisches Gedankengut geäußert wurde. Hitlers Redemanuskripte zirkulierten in Kreisen von Direktoren und Aktionären und stießen mehr und mehr auf begeisterte Zustimmung. Im Februar 1933 kam es zu einem Treffen von Spitzen der deutschen Wirtschaft, bei dem sie ihre auf Errichtung einer offenen Diktatur hinauslaufenden Wünsche mit der Führung der Nazipartei abstimmten. Die überlieferten Teilnehmer – leider liegt eine vollständige Liste nicht vor – stammen allesamt aus den führenden Kreisen von Bergbau und Schwerindustrie.

Leider hat Schönbach die Zusammenhänge zwischen der in den 1930er Jahren eskalierenden Weltwirtschaftskrise und der in dieser Zeit mit Brachialgewalt vorangetriebenen Machtergreifung der Nazis nur unzureichend beleuchtet. Immerhin geht aus seinen Recherchen über die Zeit nach 1933 eindeutig hervor, dass die Hochrüstung der Nazis von allen großen deutschen Banken kreditiert wurde. Und es war diese kreditfinanzierte Rüstung, die der deutschen Industrie aus der krisenbedingten Talsohle verhalf.

Schönbachs Arbeit bricht leider mit dem Jahr 1943 ab. Letzter Schwerpunkt des Werkes ist der Nachweis einer zunehmenden Entfremdung zwischen der Deutschen Reichsregierung und ihren ehemaligen Förderern. Erstere hatte – anders als bei der Eroberung anderer europäischer Staaten – nach der Besetzung großer Teile der Sowjetunion die in den eroberten Gebieten befindlichen Industriestandorte den deutschen Konzernen nicht für einen Pappenstiel überlassen wollen, sondern sie zunächst in eigener Regie weiterbetrieben.

Die Schilderung, wie gegen Ende des Krieges ehemalige Förderer der Nazipartei die Fronten wechselten und so große Teile ihrer Vermögen retteten, sucht man im Buch vergeblich. Auch finden wichtige Werke der modernen Faschismusforschung, besonders zu den ideologischen Wurzeln von Rassismus und Antisemitismus, im Buch kaum Beachtung.

Dennoch: Eine außerordentlich wichtige Arbeit. Der Autor ist vor allem für seinen Mut zu beglückwünschen, sich dieses immer noch brisanten Themas angenommen und seine Recherchen trotz aller Widrigkeiten beendet zu haben.

Werden jetzt in der bundesdeutschen historischen Wissenschaftslandschaft alle diesbezüglichen Lehrpläne wieder revidiert? Diese Gefahr besteht wohl eher nicht. Geschichtsschreibung berücksichtigt vor allem die Sicht der Sieger. Und wissenschaftliche Meinungen, wenn sie einmal als durchgesetzt gelten, bleiben selbstverständlich in den Lehrplänen stehen. Auch dann, wenn sie erwiesenermaßen falsch sind.

Karsten Heinz Schönbach: »Die deutschen Konzerne und der Nationalsozialismus 1926–1943«, trafo Verlag, 658 Seiten, 59,80 €

Stets Schlimmeres verhütet

Und so am Schlimmsten mitgewirkt: eine Biographie des Franz von Papen

Veröffentlicht: 29.12.1995

"Ich glaube ihn und seinen Charakter sehr genau zu kennen . . . Ich habe ihm immer mildernde Umstände in meinem Urteil über ihn zugebilligt wegen seiner abnormen Beschränktheit." So urteilte Adenauer nach dem Krieg über Franz von Papen, den Reichskanzler der zweiten Jahreshälfte 1932 und Vizekanzler unter Hitler 1933/34. Nur wenige sind Adenauer darin gefolgt, auf mildernde Umstände zu plädieren; die Nachkriegshistoriker haben vielmehr Papens Mitverantwortung an der "Machtergreifung" herausgearbeitet, gleichzeitig aber auch stets seinen Dilettantismus hervorgehoben.

Hier finden Sie den vollständigen Beitrag: http://www.faz.net/-gqz-6qi1v#GEPC;s5

Siehe auch:

Das Lehrstück vom 30. Januar 1933 - Von Georg Fülberth
Was hätte man 1933 wissen können und was kann man heute wissen
http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/1064_lehrstueck.htm