28.09.2016
Die Geldgeber der Nazis
Karsten Heinz Schönbachs neue aufsehenerregende Untersuchung
Adolf Hitlers Rolle als Steigbügelhalter der
deutschen Konzerne war jahrzehntelang ein maßgeblicher
Streitpunkt von Historikern aus Ost und West. Seit 1990 scheint der
Streit entschieden. Die Dimitroffsche Definition vom Faschismus als
»terroristische Diktatur der am meisten reaktionären,
chauvinistischen und imperialistischen Elemente des
Finanzkapitals« gilt seitdem als widerlegt.
Entsprechend den Abhandlungen verschiedener
bundesdeutscher und US-amerikanischer Historiker erscheint nun eine
kleine Gruppe führender Nazis als Alleinschuldige an Weltkrieg und
Völkermord. Und wenn einzelne Unternehmen die Nazipartei
finanziell unterstützt haben, so waren dies
selbstverständlich Ausnahmen. Nein, mit dem Aufstieg der Nazis zur
Regierungspartei und der Errichtung einer brutalen Diktatur hatte die
Masse der deutschen Großindustriellen überhaupt nichts zu
tun.
Es musste nun ausgerechnet ein ehemaliger ostdeutscher
Stahlwerker sein, der sich kürzlich getraute, den Streit noch
einmal aufzugraben. Der 1972 in Eisenhüttenstadt geborene
promovierte 2012 bei dem bekannten Faschismusforscher Wolfgang
Wippermann an der Freien Universität Berlin. Und in seiner nun in
Buchform vorliegenden Arbeit tritt er den Beweis an, dass die
marxistische Geschichtsschreibung in Bezug auf Förderung der Nazis
durch maßgebliche Teile der deutschen Industrie Recht hatte. Und
dass die die deutschen Konzerne entlastenden Arbeiten bürgerlicher
Historiker nicht weniger ideologisch motiviert waren, als die ihrer
marxistischen Kontrahenten.
Die NSDAP wurde von zahlreichen führenden deutschen
Großindustriellen und Finanzgiganten finanziell
hochgepäppelt und gezielt als demokratiefeindliche Massenpartei
aufgebaut. Hitlers auf einen neuen Krieg zielende Politik entsprach
hundertprozentig den Interessen großer Teile der deutschen
Wirtschaft; auch sein Kurs auf Errichtung einer offenen Diktatur. Die
Distanzierung der Wirtschaftsgrößen von dem Naziregime
erfolgte zumeist erst, als die militärische Niederlage im Zweiten
Weltkrieg offensichtlich war.
Schönbach hat, um den Beweis für diese Thesen
anzutreten, eine ungeheure Fleißarbeit geleistet: nicht nur
bisher vorliegende Sekundärliteratur durchgearbeitet, sondern vor
allem bisher noch nicht erschlossene Firmenarchive gesichtet.
Allerdings stieß er nach eigenen Angaben überall auf
Lücken – zahlreiche Unterlagen, die die Zusammenarbeit der
damaligen Firmenleitungen mit der Naziführung belegten, seinen
offensichtlich in den letzten Jahrzenten gezielt vernichtet worden. Zu
verschiedenen Aktenvorgängen wurde ihm keine Einsichtnahme
gewährt – offenbar besteht bis heute kein Interesse an einer
objektiven Aufarbeitung der Kumpanei deutscher Industrieller mit dem
Naziregime.
Dennoch wurde Schönbach an genügend Stellen
fündig, um die Unterstützung der NSDAP durch
maßgebliche Kräfte des deutschen Kapitals belegen zu
können. Auch unterzog sich der Autor einer ganz simplen
Rechenaufgabe: Er ermittelte den jährlichen Finanzbedarf der NSDAP
in den verschiedenen Phasen ihrer Entwicklung und rechnete die
Einkünfte der Partei in Form von Mitgliedsbeiträgen und
Literaturverkauf dagegen. Das Ergebnis war ebenfalls eindeutig: In
keiner Phase ihrer Entwicklung war die Nazipartei auch nur ansatzweise
in der Lage, sich ohne größere Spenden selbst zu tragen. Und
solche Geldspenden konnten nur aus den Reihen der Industriellen und der
großen Agrarunternehmen kommen.
Wie im Buch zitiert, schrieb bereits 1930 Joseph
Goebbels triumphierend in sein Tagebuch: »Große Teile der
Wirtschaft stehen heute schon bedingungslos bei uns.«
Schönbach beschreibt, dass ab dem Jahr 1932 die NSDAP den
größten Teil aller Wahlkampfspenden der Finanzelite abfasste.
Der Autor zitiert zahlreiche Briefe, Aktennotizen und
Reden führender Industriebarone, in denen ganz offen rassistisches
und antisemitisches Gedankengut geäußert wurde. Hitlers
Redemanuskripte zirkulierten in Kreisen von Direktoren und
Aktionären und stießen mehr und mehr auf begeisterte
Zustimmung. Im Februar 1933 kam es zu einem Treffen von Spitzen der
deutschen Wirtschaft, bei dem sie ihre auf Errichtung einer offenen
Diktatur hinauslaufenden Wünsche mit der Führung der
Nazipartei abstimmten. Die überlieferten Teilnehmer – leider
liegt eine vollständige Liste nicht vor – stammen allesamt
aus den führenden Kreisen von Bergbau und Schwerindustrie.
Leider hat Schönbach die Zusammenhänge zwischen der in den
1930er Jahren eskalierenden Weltwirtschaftskrise und der in dieser Zeit
mit Brachialgewalt vorangetriebenen Machtergreifung der Nazis nur
unzureichend beleuchtet. Immerhin geht aus seinen Recherchen über
die Zeit nach 1933 eindeutig hervor, dass die Hochrüstung der
Nazis von allen großen deutschen Banken kreditiert wurde. Und es
war diese kreditfinanzierte Rüstung, die der deutschen Industrie
aus der krisenbedingten Talsohle verhalf.
Schönbachs Arbeit bricht leider mit dem Jahr 1943
ab. Letzter Schwerpunkt des Werkes ist der Nachweis einer zunehmenden
Entfremdung zwischen der Deutschen Reichsregierung und ihren ehemaligen
Förderern. Erstere hatte – anders als bei der Eroberung
anderer europäischer Staaten – nach der Besetzung
großer Teile der Sowjetunion die in den eroberten Gebieten
befindlichen Industriestandorte den deutschen Konzernen nicht für
einen Pappenstiel überlassen wollen, sondern sie zunächst in
eigener Regie weiterbetrieben.
Die Schilderung, wie gegen Ende des Krieges ehemalige
Förderer der Nazipartei die Fronten wechselten und so große
Teile ihrer Vermögen retteten, sucht man im Buch vergeblich. Auch
finden wichtige Werke der modernen Faschismusforschung, besonders zu
den ideologischen Wurzeln von Rassismus und Antisemitismus, im Buch
kaum Beachtung.
Dennoch: Eine außerordentlich wichtige Arbeit. Der
Autor ist vor allem für seinen Mut zu beglückwünschen,
sich dieses immer noch brisanten Themas angenommen und seine Recherchen
trotz aller Widrigkeiten beendet zu haben.
Werden jetzt in der bundesdeutschen historischen
Wissenschaftslandschaft alle diesbezüglichen Lehrpläne wieder
revidiert? Diese Gefahr besteht wohl eher nicht. Geschichtsschreibung
berücksichtigt vor allem die Sicht der Sieger. Und
wissenschaftliche Meinungen, wenn sie einmal als durchgesetzt gelten,
bleiben selbstverständlich in den Lehrplänen stehen. Auch
dann, wenn sie erwiesenermaßen falsch sind.
Karsten Heinz
Schönbach: »Die deutschen Konzerne und der
Nationalsozialismus 1926–1943«, trafo Verlag, 658 Seiten,
59,80 €
Gerd Bedszent (Artikel aus Ossietzky 19/16; 24. September 2016)
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