Heartfield: "Millionen stehen hinter Hitler"

Rallye „Spurensuche Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945“

Ein Projekt der VVN/BdA NRW

 

10.09.2016

In Führungsschicht der BRD integriert

Eichmanns Gehilfen in Frankreich

Einen Blick auf die Rolle von Mitverantwortlichen an den Judenmorden, die diese in Wirtschaft und Politik, auch in Firmen mit Zwangsarbeitertradition, hatten, richtete der Nebenklagevertreter und bekannte Rechtsanwalt Friedrich Karl Kaul in einem Artikel Ende der 70er Jahre. Serge und Beate Klarsfeld hatten ähnliche Enthüllungen vorgelegt.

Rolle von Eichmanngehilfen nach 1945

Von Friedrich Karl K a u l, Neues Deutschland vom 23.10.1979

Am 1. Juni 1963 wurde der Vollstrecker des an den europäischen Juden begangenen Massenmordes, der ehemalige SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann, auf Grund seiner Verbrechen in Israel gehängt.

Jetzt erst, nach über 16 Jahren, hat sich die BRD-Justiz bequemt, drei seiner im nazibesetzten Frankreich tätigen Mitarbeiter vor Gericht zu stellen, die die strafrechtliche Verantwortung dafür tragen, daß von März 1942 bis August 1944 80 000 Juden — Männer, Frauen und Tausende von Kindern — aus Frankreich ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert wurden, von denen nur 3000 zurückkehrten, während die anderen im Gas einen schweren Tod starben.

Sie waren keineswegs jahrelang verborgen Es sind das: der ehemalige SS- Obersturmbannführer Kurt Lischka, der ehemalige SS-Sturmbannführer Herbert Hagen und der ehemalige SS-Staffelunterscharführer Ernst Heinrichsohn.

Gegen diese drei Nazigewaltverbrecher soll heute die Hauptverhandlung vor dem Schwurgericht Köln beginnen. Nahe Angehörige der Opfer dieses Massenmordes, und zwar zwei DDR-Bürger, Roman Rubinstein und Marcel Grünberg, und die beiden BRD-Bürger Peter Philipp Gingold — der Vater der durch ein Berufsverbot wegen Zugehörigkeit zur DKP in ihrer beruflichen Existenz bedrohten Silvia Gingold — und Max Oppenheimer haben sich als Nebenkläger diesem Verfahren angeschlossen.

Die Tatsache, daß erst jetzt diesen engsten Mitarbeitern Eichmanns in der BRD der Prozeß gemacht wird, darf nicht zu dem Irrtum verleiten, daß sie sich etwa jahrzehntelang verborgen gehalten haben. Im Gegenteil: Kurt Lischka ist seit 1950 unter seinem vollen Namen in Köln ansässig. Geraume Zeit war er für die innenpolitische Spionageorganisation der BRD, den Bundesverfassungsschutz, tätig. Seit 1957 hatte er den gut bezahlten Posten des Prokuristen einer Samengroßhandlung inne.

Hagen ist seit 1948 Direktor der Großmaschinen-Fabrik Warstein (Neumünster), und Heinrichsohn begann unbekümmert 1946 unter seinem richtigen Namen Rechtswissenschaften zu studieren. Seit 1952 ist er Bürgermeister der Gemeinde Bürgstadt und wurde in voller Kenntnis seiner Untaten 1958 als Rechtsanwalt in Miltenberg (Baden-Württemberg) zugelassen.

Diese drei stellen keine Ausnahme dar

In dieser Beziehung stellen die drei Mordkumpane Eichmanns keineswegs eine Ausnahme dar. Die Mehrzahl derjenigen, die engstens an dem an 77 000 französischen Juden begangenen Massenmord beteiligt sind, haben sich voll in die Gesellschaftsordnung der BRD integriert und befinden sich trotz ihrer seit eh und je bekannt gewordenen Mittäterschaft an den Verbrechen Eichmanns in Amt und Würden.

So ist Ernst Achenbach, der als Mitarbeiter des Nazibotschafters Abetz in Paris für die Deportation der französischen Juden die Mitverantwortung trägt, Rechtsanwalt und Abgeordneter des Bundestages. 1970 hatte die Bundesregierung seine Ernennung zum Euro-Kommissar für die EWG in Brüssel vorgesehen. Nur unter dem Druck der empörten Öffentlichkeit nahm sie von der Ernennung Abstand.

Dr. Werner Best, der schon als Richter der Weimarer Republik in den 30er Jahren den Naziterror vorbereitete und später als Chef des Verwaltungsstabes beim Nazimilitärbefehlshaber Frankreich an der Ermordung der französischen Juden maßgeblichen Anteil hat, ist heute Chef-Syndikus des Hugo-Stinnes-Konzerns.

Hans Dietrich Ernst, ehemals Kommandeur des SD von Angers, ist mitverantwortlich für die Deportation von 8 463 französischen Juden. Bis 1977 konnte er im Oberlandesgerichtsbezirk Oldenburg als Rechtsanwalt tätig sein.

Dr. Waldemar Ernst, ein enger Mitarbeiter des Massenmörders Eichmann, war bis 1975 Generaldirektor der Schwäbischen Hüttenwerke Wasseralfingen.

Dr. Rudolf Greifeld, ehemals Nazikommandant des besetzten Paris, der den Terror gegen die französischen Juden einleitete, kehrte als Direktor der Gesellschaft für Kernforschung Karlsruhe in das „bürgerliche“ Leben zurück.

Maßgeblichen Einfluß auf politischem Gebiet Dr. Heinrich Illers war Leiter des Judendezernats der Gestapo in Paris und nahm persönlich an der Erschießung französischer Juden teil. Nach .1945 wurde er Senatspräsident beim Landessozialgericht in Niedersachsen.

Dr. Helmut Knochen, Befehlshaber des SD in Frankreich, trägt die Hauptverantwortung für den an den französischen Juden begangenen Mord.

Nachdem er die Mörderuniform abgelegt, hatte, war er ungehindert in der BRD als Versicherungsmakler tätig und verzehrt heute ungestört seine hohe Pension.

Dr. Karl Kühler, gleichfalls SD-Leiter in Frankreich und insoweit für die Massenmordaktion an den französischen Juden verantwortlich, war (bis 1975) Ministerialdirigent unter Filbinger im württembergischen Wirtschaftsministerium. Er verbringt seinen friedlichen Lebensabend als geachteter Staatspensionär in Reutlingen.

Dr. Fritz Merdsche, SS-Hauptsturmführer im Kommando des SD in Dijon und späterer Kommandeur der Gestapomordbande in Orleans, war nach 1945 Richter am Landgericht Frankfurt (Main) und arbeitet seit 1960 als Schriftleiter für die „Neue juristische Wochenschrift", das angesehenste Fachblatt der BRD.

Dr. Elmar Michel, hauptverantwortlich für die „Arisierung“ des Vermögens französischer Juden, war nach 1945 Ministerialdirektor im Bundeswirtschaftsministerium und später Vorstandsvorsitzender einer Schuhfabrik.

Dr. Rudolf Schmaeling, Kommandeur des SD in Nancy und als solcher für die Ermordung der von dort deportierten Juden verantwortlich, erhielt nach 1945 den Posten eines Kriminalrats.

Das sind nur einige der Nazigewaltverbrecher, die nahezu ausnahmslos in die Führungsschicht der Bundesrepublik integriert wurden und heute wieder maßgeblichen Einfluß auf die politische Entwicklung der Bundesrepublik halben. Insoweit kann sich die BRD mit Recht als Nachfolgestaat des „Dritten Reiches“ bezeichnen.

Aus „Neues Deutschland“ vom 23. 10. 1979

Am Beginn der Aufklärungskampagne über die Rolle von Eichmanngehilfen in Frankreich stand u.a. die Enthüllungsarbeit von Beate Klarsfeld:

Beate Klarsfeld entlarvt Achenbach als Nazi

Amsterdam/Brüssel (ADN-Korr.). Stark beachtet von Presse und Fernsehen, überreichte die westdeutsche Antifaschistin Beate Klarsfeld am Mittwoch dem niederländischen Außenministerium eine Dokumentation über die kriegsverbrecherische Vergangenheit des FDP-Bundestagsabgeordneten Ernst Achenbach. Achenbach ist vom Bonner Außenminister Scheel als künftiges Mitglied der europäischen Kommission der EWG vorgeschlagen worden. Außerdem wurde die Dokumentation auch im Amt des Präsidenten der europäischen Kommission der EWG, Jean Rey, in Brüssel sowie im Amt des belgischen Ministerpräsidenten Eyskens überreicht.

„Le Monde“: Hauptberater des Nazibotschafters

Zu den Dokumenten gehört ein Telegramm aus dem Jahr 1943, in dem der damalige Botschaftsrat Hitlers in Paris mitteilte, er lasse 2000 Juden als Vergeltung für eine Aktion der Widerstandskämpfer „abführen“. In einer Fernsehübertragung am Dienstagabend erklärte Beate Klarsfeld in Amsterdam: „Es muß Ernst Achenbach unmöglich gemacht werden, in Brüssel den Nazismus zu propagieren.“

Die Pariser Tageszeitung „Combat“ publiziert am Mittwoch einen „Offenen Brief“, in dem Beate Klarsfeld Achenbach auffordert, wegen seiner Nazivergangenheit auf eine Kandidatur bei der europäischen Kommission der EWG zu verzichten. „Le Monde“ weist darauf hin, daß Achenbach „einer der Hauptberater von Otto Abetz“ (Botschafter Hitlers in Paris während des Krieges) gewesen sei und an Maßnahmen gegen Juden beteiligt war.

Audi in der niederländischen und belgischen Presse hat die Kandidatur Achenbachs scharfe Proteste ausgelöst. Die konservative belgische Tageszeitung „La libre Belgique“ lehnt eine Kandidatur Achenbachs auf Grund seiner nazistischen Vergangenheit aufs entschiedenste ab. Die großbürgerliche „Nieuwe Rotterdamske Courant“ stellt fest: „Die Europäer verbitten sich eine solche Figur.“

Aus Neues Deutschland vom 9. April 1970

Aus der französischen Presse im Juli 1974:

„L'Express": Achenbach leitete Judendeportationen: Dokumentation aus Gestapo-Archiven veröffentlicht

Paris (ND-Korr.). Der Skandal der straffreien Kriegsverbrecher in der BRD zieht weitere Kreise in Frankreich. Die bürgerliche Zeitschrift „l’Express“ veröffentlicht am Montag eine Dokumentation mit Faksimili aus den Archiven der Gestapo und des faschistischen Auswärtigen Amtes. Daraus geht hervor, daß Ernst Achenbach, FDP-Bundestagsabgeordneter, als Leiter der politischen Abteilung der Nazibotschaft im besetzten Paris von 1940—1943 führend an der Planung und Durchführung der Deportation und Ermordung von mehr als 100 000 jüdischen Bürgern aus Frankreich beteiligt war. Achenbach, heute Berichterstatter für die Kriegsverbrecher-Konvention zwischen Frankreich und der BBD im Rahmen des außenpolitischen Ausschusses des Bundestages, hatte sich in einem amtlichen Schreiben vom 11. Februar 1943 — an die „Judenabteilung“ der Gestapo (IV B) dafür eingesetzt, daß jüdische Bürger auch aus der neu besetzten Zone der Vichy-Administration in Frankreich deportiert werden.

In einem zweiten Schreiben vom 15. Februar 1943 kündigt Achenbach dem Auswärtigen Amt an, daß 2000 jüdische Bürger — als Repressalie für eine Partisanenaktion in Paris — „zu verhaften und nach dem Osten zu verbringen sind“. Bereits am 16. Februar wurden auf Befehl von Lischka, Gestapochef in der Pariser Region, 2000 jüdische Bürger im Alter von 16 bis 65 Jahren in der besetzten und unbesetzten Zone Frankreichs festgenommen und über das Sammellager Gurs (Pyrenäen) nach Drancy bei Paris verschickt.

Seit dem 28. Februar 1941 sei Achenbach in der Nazibotschaft verantwortlich für die „Judenfrage“ gewesen. Er beauftragte einen seiner Untergebenen, den SS-Sturmbannführer Theo Zeitsdiel, zu diesem Zweck in ständiger Verbindung mit dem Gestapochef Obersturmbannführer Kurt Lischka zu bleiben. Nach einem Bericht von Botschafter Abetz hat die politische Abteilung unter Achenbach „die Initiative für die Einführung der Judengesetzgebung in Frankreich (während der Okkupation) ergriffen“.

Der ehemalige Leiter der politischen Abteilung der Nazibotschaft habe sich nicht nur mit der Deportation jüdischer Bürger befaßt, sondern Einfluß auf die gesamte Besatzungspolitik gegenüber Vichy genommen, berichtet „l’Express“. Am 24. Oktober habe er an der verhängnisvollen Unterredung zwischen Hitler und Pétain in Montoire teilgenommen. Ein französischer Historiker, Henri du Moulin de la Barthete, Experte für die Vichy-Administration, bezeichnete Achenbach als „Organisator der 5. Kolonne“ in Frankreich.

Aus Neues Deutschland vom 16. Juli 1974