19.08.2016
Ein Zyklon-B-Produzent bekam in Wuppertal eine Ehrentafel
Aus der Schrift „Vergessene Orte“ – Eine Trassentour auf den Spuren der NS-Zeit in Wuppertal – Juni 2016
Villa Hörlein, Hubertusallee Nr. 18
Eine offizielle Tafel informiert über seine
berufliche Laufbahn und würdigt seine Verdienste: „Unter
seiner Leitung wurden umwälzende Entdeckungen insbesondere in der
Tropenmedizin gemacht, so dass weltweit Medikamente aus Elberfeld wie das „Bayer 205“ (Germanin) gegen die
gefürchtete Schlafkrankheit und „Plasmochin“ gegen
Malaria eingesetzt wurden.“
Auf der Tafel „vergessen“ wurden aber die
unrühmlichen Seiten des IG Farben Vorstands- und NSDAP-Mitglieds
Heinrich Hörlein, die ihn am 16.8.1945 in Haft und 1947 auf die
Anklagebank des IG Farben-Prozesses in Nürnberg brachten.
Auch wenn Hörlein wegen der neuen politischen
Prioritäten im Kalten Krieg von allen Anklagepunkten
freigesprochen wurde (es konnte ihm nicht nachgewiesen werden, dass er
als Aufsichtsratsmitglied der Degesch von der Verwendung von
Zyklon-B in Auschwitz und als IG Farben-Vorstand von den medizinischen
Versuchen in den Konzentrationslagern gewusst hatte), sollten hier doch
einige „Verstrickungen“ von Hörlein und seinen
Forschernbenannt werden.
Giftgasforschung für die Nazis
Als Direktor des IG-Farben-Werks in Wuppertal-Elberfeld
hatte er – ganz in der verbrecherischen Tradition von Carl
Duisberg – die Gesamtleitung der Nervengasforschung bei IG Farben
Wuppertal und Leverkusen. In seinen Elberfelder Laboren entwickelte
Prof. Gerhard Schrader die neuen Nervengifte Tabun und Sarin, die von
Anfang an auch militärisch genutzt werden sollten.
Getestet wurden die Nervengifte im Selbstexperiment in
Elberfeld und vor allem in der wehrmachtseigenen Gaskammer in der
Zitadelle in Berlin Spandau. Nachdem die IG Farben und das
Heereswaffenamt ein großtechnisches Verfahren zur
Tabun-Produktion entwickelt hatten, wurde in Dyhernfurth bei Breslau
eine Nervengasfabrik von der IG Farbenindustrie errichtet. Der
militärische Einsatz von Giftgas scheiterte schließlich an
technischen Problemen, geringen Produktionsmengen wegen Rohstoffmangel
und ab 1944 an der Luftüberlegenheit der Alliierten undnicht an
den (ethischen) Bedenken von Hörlein und Co., wie kolportiert
wird.
Menschenversuche
Bereits seit 1925 wurden Bayer-Präparate gegen
Malaria in der „Heil- und Pflegeanstalt“ Düsseldorf
Grafenberg an Kranken ausprobiert. In der NS-Zeit radikalisierten sich
die Menschenversuche: So wurden in Zusammenarbeit mit dem Robert
Koch-Institut und dem Institut für Wehrhygiene der Luftwaffe in
der sächsischen „Heil- und Pflegeanstalt Arnsdorf“
über 100 PatientInnen mit Malaria infiziert und dann mit
Bayer-Präparaten „behandelt“. Nicht alle Patienten
überlebten die Menschenversuche. Beraten wurden die
Menschenversuche von Prof. Walter Kikuth, Leiter der wissenschaftlichen
Abteilung der IG Farben Elberfeld. Zudem war seit 1939 eine
technischeAssistentin aus Leverkusen ins Arnsdorfer Labor entsandt
worden.
Zwangsarbeit
Heinrich Hörlein war auch direkt für den
Einsatz von ZwangsarbeiterInnen im Elberfelder Werk verantwortlich. 567
ZwangsarbeiterInnen, Belgier, Franzosen, Holländer, Spanier,
Ukrainer, Polen und Russen waren in der Simonstraße112
untergebracht. Mindestens 12 ZwangsarbeiterInnen und ein Kleinkind
kamen ums Leben.
Besonders tragisch ist die Geschichte von Jerzy Grodzicki: Die im Wuppertaler IG-Farben-Werk beschäftigten polnischen
Zwangsarbeiter Jerzy Grodzicki und Karl Pohl wurden von der Gestapo am
12.1.1941 wegen „verbotenem Umgang mit deutschen
Mädchen“ festgenommen. Der Werkschutz von IG Farben hatte
Liebesbriefe abgefangen. Den beiden polnischen Zwangsarbeitern wurde
vorgeworfen, dass sie „deutsche Mädchen“ getroffen und
mehrfach in Gastwirtschaften eingeladen hätten.
Die Gestapo beantragte Schutzhaft für beide. Karl
Pohl entging aber der KZHaft, weil die SS ihn aufgrund seiner
äußeren Erscheinung in einem sog. Rassegutachten für
„eindeutschungsfähig“ hielt. Jerzy Grodzicki war
hingegen nicht „deutsch“ genug, er wurde ins KZ
Mauthausen deportiert, wo er am 14.1.1943 im Außenlager Gusen ums
Leben kam.
Kontakt: info[at]wuppertaler-widerstand[dot]de
http://www.wuppertaler-widerstand.de/vergessene_orte_trassentour_2_online.pdf
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