19.04.2016
Hinter Hitler stand das
Kapital
Rezension
zu Karsten Heinz Schönbach: Die deutschen Konzerne und der
Nationalsozialismus 1926 – 1943
Finanziers und Profiteure des deutschen Faschismus
hatten Namen und Adressen – und Einträge in
Bankenverzeichnisse und Unternehmensregister. Über politische
Einstellung, Werdegang, Verantwortung, Aufsichtsratsposten, Initiativen
in Industriellenzirkeln oder Bankvorständen der
einflussreichsten Persönlichkeiten der Zeit der Weimarer
Republik bis zum Ende der Naziherrschaft gibt es Aufzeichnungen. Sie
verdeutlichen, dass die politische Basis des Faschismus keineswegs aus
abstrakten Ideologemen oder der Faszination des Bösen bestand.
Sie war vielmehr durch rationale (Geschäfts-)Interessen
begründet. Die Arbeit von Karsten Heinz Schönbach
behandelt die Beziehung des deutschen Großindustrie- und
Bankensektors zur NSDAP vom Beginn ihres Werbens um
Unterstützung bis zum Höhepunkt der Macht. Mit seiner
Dissertationsschrift hat der Autor auch nach Ansicht seines
Doktorvaters, Prof. Dr. Wolfgang Wippermann (FU Berlin), ein
Standardwerk zum Thema veröffentlicht, das auch bislang
unbekanntes Quellenmaterial auswertet und eine bemerkenswerte
Fortsetzung der historischen Faschismusforschung darstellt.
Schönbach sichtet die Akten von zwölf
Industriekonzernen, sieben Banken und sechs
Industrieverbänden, bezieht umfangreiches Material staatlicher
und anderer entscheidender politischer Institutionen mit ein,
stöbert in persönlichen Nachlässen
prominenter Schlüsselfiguren und kann so auf die
umfangreichste Quellensammlung zurückgreifen, die jemals zum
Thema zusammengestellt wurde. Aus schon erschlossenen
Beständen bringt Schönbach Erkenntnisse, die bislang
offenbar von der Forschung unberücksichtigt blieben.
Der Großindustrielle und ehemalige
Vorstandsvorsitzende der Vereinigten Stahlwerke AG, Ernst Poensgen
[Carl Albert Ernst Poensgen war Mitglied der sogenannten
„Ruhrlade“, einer Interessenvereinigung bedeutender
Industrieller, die Hitler bereits vor 1933 maßgeblich
unterstützte. Seltsamerweise genoss er trotz seines
einflussreichen Postens und zahlreicher Auszeichnungen oder Ehrungen ab
1945 den Ruf eines NSDAP-Kritikers.], verfasste bereits im Februar 1945
angesichts der Niederlage eine Rechtfertigungsschrift. Danach hatten
die deutschen Industriellen bis auf wenige Ausnahmen weder zu Hitler
gestanden noch persönliche Kontakte zur NSDAP gehabt und diese
schon gar nicht finanziert. Sie hatten sich, so Poensgen, nach 1933
lediglich in die Wirtschaftsorganisation des NS-Staats eingeschaltet,
um das Schlimmste zu verhindern. Sie hätten, hätte es
eine Gelegenheit gegeben, Hitler auch von dessen Kriegsplänen
abgeraten, aber die Möglichkeit dazu bestand angeblich nicht.
In den Nürnberger Prozessen diente diese Argumentation den
Industrieellenanwälten als Verteidigungslinie und bildet bis
heute die Basis der konservativen Geschichtswissenschaft. [Z.B. Henry
A. Turner, Gerhard Th. Mollin, Ludolf Herbst und Gustav Luntowski.] Die
staatlichen „Hermann-Göring-Werke“ wie
auch die „Vierjahrespläne“ zur
Aufrüstung werden durch sie als Beweis für eine
„Nazi-Befehlswirtschaft“ angeführt, die
die „freien Unternehmer“ unterworfen habe.
Demgegenüber erschienen ab den 1970er Jahren auch in der BRD
Arbeiten der kritischen Historiographie [Z.B. Dirk Stegmann, Dieter
Petzina, Peter Süß, Reinhard Neebe, George W. F.
Hallgarten und Joachim Radtkau.], die im Gegensatz zu den
personalisierenden „Hitlerismus“ der konservativen
Geschichtsdeutung einen historischen Blick wagte und auch die
ökonomischen Interessen der deutschen Wirtschaft mit einbezog.
Dafür hatte die marxistisch-leninistische Wissenschaft vor
allem aus der DDR wichtige Grundlagen erarbeitet [Z.B. Jürgen
Kuczynski, Kurt Gossweiler, Eberhard Czichon und Dietrich Eichholtz.],
zu der Schönbach aber auch westdeutsche Untersuchungen
rechnet. [Z.B. Reinhard Kühnl oder Reinhard Opitz.] Allerdings
konnte sie ihre These vom Hitlerfaschismus als „Diktatur des
Monopolkapitals“ kaum durch Quellen belegen, was auch am
beschränkten Zugang zu Aktenbeständen in
Westdeutschland lag. [Mit der Begründung, DDR-Historiker seien
nicht an „objektiven Ergebnissen“ interessiert,
blieb ihnen oft der Zutritt zu westdeutschen Archiven verwehrt. Aber
auch Dirk Stegmann monierte bereits in den 1970er Jahren
„undurchschaubare Selektionsmechanismen deutscher
Firmenarchive oder Vorstandsetagen“ (21). Schönbach
bestätigt aus eigener Erfahrung, dass sich an dieser Praxis
nichts geändert hat.] Die Lücke konnte durch die nun
vorliegende Publikation geschlossen werden.
Untersucht werden die langfristigen politischen
Ziele der deutschen Großindustriellen und Bankiers zur
Weimarer Zeit. Nahmen sie entscheidend Einfluss auf die Politik der
Regierung, und führten sie die Republik in die Krise? Wie
waren die Beziehungen deutscher Großindustrieller und
Bankiers zur NSDAP-Führung, und inwiefern deckten sich ihre
politischen Zielvorstellungen mit denen der Naziregierung? Verschaffte
der NS-Staat den Industrie- und Kapitalinteressen innerhalb der
Gesellschaft irgendeinen Vorrang? Und in welcher Form übten
die Großindustriellen und Bankiers nach 1933 wesentlichen
Einfluss auf den Staatsapparat aus? Konnten sie den politischen Kurs
entscheidend mitbestimmen (30)? Das Buch weist nach, dass im Kreis der
wichtigsten Banken und Konzerne bereits 1918 Pläne zur
gewaltsamen Expansion nach Süd- und Osteuropa vorlagen. Hier
kam zum Beispiel der Eisen- und Stahlindustrie des Ruhrgebiets eine
Schlüsselrolle zu (49). Schon 1924 traten deutsche
Großindustrielle und Bankiers mit einem von Ernst von Borsig
formulierten politischen Programm an die Öffentlichkeit, das
einen umfassenden Sozial- und Demokratieabbau vorsah. Dass die Konzepte
von „Lohnsenkungen“ zum angeblichen Wohl
„Deutschlands“ - die Konzernherren gaben schon
damals vor, im Sinne der Allgemeinheit zu handeln - über die
Ausschaltung der Arbeiterbewegung bis zur Abschaffung der
bürgerlichen Demokratie aus rein betriebswirtschaftlichen
Gründen reichten und seit Bestehen der Weimarer Republik zu
den Kernzielen der Unternehmen gehörten, belegen die
O-Töne zahlreicher Aufsichtsrats- und
Konzernvorstandsmitglieder. An Prominenz finden sich in diesem
Zusammenhang unter anderem die Namen Fritz Thyssen, Fritz Springorum,
Max Schlenker, Paul Reusch oder Emil Kirdorf (82f.). Vor allem dieser
„Nestor der deutschen Schwerindustrie“ sorgte durch
Fürsprachen bei nahezu all ihren wichtigen Vertretern
für die Hinwendung zur NSDAP.
Intensiver wurden die Beziehungen von Banken,
Industrie und NSDAP ab 1931, was sich vor allem durch die noch
großzügigere Finanzierung der Hitlerpartei
ausdrückte. War Geld zuvor per Gießkannenprinzip
allen völkisch-nationalen Kräften zugeflossen, bekam
nun die NSDAP deutlich mehr vom Kuchen als ihre Konkurrenten DVP und
DNVP, denen es schlicht an Massenunterstützung fehlte (134f.).
Dass der Antikapitalismus der Nazis nur vorgeschoben war, wurde durch
Hitler persönlich in zahlreichen Zusammenkünften mit
Industrieführern versichert (Kap. II/6 und II/10). Die
Legende, wonach die NSDAP sich selbst finanziert habe, kann widerlegt
werden. Einfaches Nachrechnen verdeutlicht, dass weder
Mitgliedsbeiträge noch Eintrittsgelder für
Parteiveranstaltungen oder die stets klammen NS-Presseverlage jemals in
der Lage waren, die aufwändigen und sehr kostenintensiven
Wahlkämpfe oder gar den Unterhalt der SA zu finanzieren. Das
konnten nur die Zuwendungen aus Kreisen der Industrie und des
Bankensektors – und dennoch blieb die Partei noch bis 1939
(!) verschuldet (Kap. II/12 – II/14). Aufkommender Widerstand
gegen die Papen- und die Putschregierung in Preußen 1932
erforderte aus Sicht der Wirtschaft eine Diktatur. Daher
drängten die führenden deutschen Kapitalisten auf
eine Verständigung zwischen der Regierung und Hitler. In
diesem Zusammenhang spielte nicht nur der sogenannte
„Kepplerkreis“ eine entscheidende Rolle, ein
Verband von Großindustriellen und Bankiers, der die Berufung
Hitlers zum Reichskanzler anstrebte. Bis Dezember 1932 hatten sich alle
wichtigen Player der Industrie- und Finanzwelt auf Hitler geeinigt
(Kap. IV/9 und IV/10).
„Antikapitalistische“ Elemente
der NS-Propaganda erfuhren nach 1933 keinerlei Umsetzung, wie zuvor
durch Hitler persönlich in mehreren Interventionen
zugesichert. Tatsächlich erlebte der Kapitalismus in der
„Volksgemeinschaft“ unter anderem durch
Steuererleichterungen für Unternehmer, sprudelnde Bankkredite
und Rüstungsgeschäfte eine wahre Renaissance (Kap.
V/4). Dass das „Gesetz zur Ordnung der nationalen
Arbeit“ von 1934 in der Praxis Lohnkürzungen und
drakonische Strafen bei Arbeitskämpfen bedeutete, wird am
Beispiel der fristlosen Entlassung hunderter Opel-Arbeiter 1936 in
Rüsselsheim geschildert. Der zeitgleiche Steuerbetrug eines
Aufsichtsratsvorsitzenden des selben Konzerns erfuhr dagegen
Legalisierung, obwohl dafür auf dem Papier eine hohe
Zuchthausstrafe vorgesehen war. Ausschaltung der Gewerkschaften und
Arbeiterorganisationen auf der einen, Profitmaximierung auf der anderen
Seite – durch Lohnsenkung, Militarisierung der Arbeit mittels
NS-Arbeitsämtern oder gar SS-Männern an den
Bändern – führten eher an
feudalabsolutistische Zustände heran (Kap. V/1).
Vor allem über den
Rüstungssektor entwickelte sich bis 1941 ein
Bankenkapitalismus: Deutsche Bank, Dresdner Bank und Commerzbank
konnten sich die Hauptanteile an wichtigen Unternehmen einverleiben
(Kap. V/6). Die Verzahnung erfolgte nicht nur zwischen Industrie- und
Bankensektor, sondern zunehmend auch zwischen Banken und Staat (Kap.
V/7). Gegen Auffassungen, wonach der Expansionsdrang auf dem
„Wahn“ Hitlers beruhte, sprechen die sehr konkreten
Interessen der deutschen Banken und Konzerne. Österreichische
Unternehmen, der Chemiesektor in der Tschechoslowakei, die
Schwerindustrie Polens oder die Kaliindustrie in Frankreich
begründeten für diese ganz klar Beuteinteressen.
Hinzu kamen die Expansionsmöglichkeiten der Unternehmen im
„Großwirtschaftsraum“ Europa. Der Raubzug
gipfelte im Angriff auf die UdSSR, und auch in diesem
„Ostfeldzug“ spielten ökonomische
Beuteambitionen die zentrale Rolle. Öl-, Gold- und
Kupfervorkommen, die sowjetische Kautschukindustrie oder Stahlwerke
weckten die Beutelust bei deutschen Banken und Unternehmen (Kap.
VIII/3).
Der „Bormann-Hitler-Plan“ aus
dem Jahr 1941 sollte der bisherigen Privatverwertung der Kriegsbeute
zugunsten des verschuldeten Staates ein Ende machen. Künftig,
so die Idee, würden die Fabriken und Bodenschätze der
UdSSR zur Tilgung der immensen Rüstungsschulden beitragen und
deshalb in Staatsbesitz überführt werden. Dazu wurden
eigens staatliche „Ost-Gesellschaften“
gegründet. Doch auch gegen diese konnten sich die Banken und
Konzerne per passiver Erpressung durchsetzen, wie am Beispiel der
„Berg- und Hüttenwerksgesellschaft Ost“
(BHO) verdeutlicht werden kann. Man war auf Know-how und Fachpersonal
zur Wiederinbetriebnahme der durch die Sowjetmacht zuvor demontierten
Anlagen angewiesen. Die BHO erreichte lediglich hohe staatliche Kredite
zur Anschubfinanzierung der eroberten Standorte - wiederum unter
Beteiligung der drei deutschen Großbanken. Profiteure blieben
die Großkonzerne, die zunächst mittels
„Patenschaften“ die technische Kontrolle
übernahmen. Ende 1942 gab Hermann Göring die
Pläne zur Verstaatlichung endgültig auf und stellte
die „Wiedererrichtung des Privateigentums“ in
Aussicht. Die Zeit von 1936 – 1942 war „durch eine
Abgabe nahezu aller wirtschaftspolitischen staatlichen Befugnisse und
Kompetenzen an führende Konzerne der Chemieindustrie, der
Schwerindustrie und des Bankensektors gekennzeichnet“ (611).
Konflikte über Aufteilung und Ausbeutung der Kriegseroberungen
wurden stets zugunsten letzterer entschieden. Aus dem zeitlichen Rahmen
der Arbeit heraus fällt die Spätzeit des NS-Staats:
von 1943 – 1945 wäre der „Umbau der
Organisation der Rüstungswirtschaft“ mit
administrativen Reglementierungen der Großindustrie unter
Albert Speer gesondert zu untersuchen. Fand eine Verschmelzung von
Finanzkapital und Staat für die „totale
Kriegswirtschaft“ statt?
Zweck einer jeden wissenschaftlichen Arbeit sollte
sein, ausgehend vom bisherigen Forschungsstand neue Quellen zu
erschließen und ihn so voranzubringen. Optimalerweise wird
dabei zugleich „das Komplexe“ verständlich
fassbar beschrieben. Schönbach ordnet den deutschen Faschismus
klassenmäßig klar ein: als eine Form
bürgerlicher Herrschaft, als offen terroristische Diktatur des
Finanzkapitals – im Gegensatz zu jenen, die den Zusammenhang
von Faschismus und Kapital relativieren oder gar leugnen;
„Nationalsozialismus“ als Negation des Kapitalismus
deuten [Siehe z.B. Aly, Götz: „Hitlers
Volksstaat“, 2005. Der Autor behauptete, in der Struktur der
nationalsozialistischen Steuer- und Sozialpolitik ein
linkssozialdemokratisches Grundmuster erkennen zu können.],
psychologisierende oder personalisierende Erklärungen bieten
oder auf unwichtige Details fokussieren. Die Arbeit setzt auch einen
quellengestützten Kontrapunkt gegen Ansätze
selbsternannter „Materialisten“ aus dem Lager der
„Antideutschen“. Sie sind bis in die Berliner VVN
hinein zu finden [Wörsching, Mathias: Faschismus als Ideologie
in: antifa. Magazin der VVN/BdA, Mai/Juni 2012, S. 11.] und geben vor,
sich dem Thema Faschismus „ideologiekritisch“
nähern zu wollen. Kaum fundiert, werden zu ihrer vermeintlich
„neuen“ Faschismustheorie die Konstrukte
hierzulande relativ unbekannter bürgerlicher Historiker [Bezug
genommen wird auf Autoren wie Roger Griffin, Zeev Sternhell oder
Stanley Payne. Sie veröffentlichten ihre Werke allerdings
schon ab den 1970er Jahren.] übernommen, die meist in
englischer Sprache publizierten und Faschismus aus sich selbst heraus
erklären, indem die faschistische Propaganda für bare
Münze genommen wird. So gelingt es, dem Faschismus einen
tatsächlichen, also nicht nur vorgegaukelten, Antikapitalismus
zu bescheinigen, was letztlich dazu dient, die marxistische
Faschismusforschung kleinzuschreiben: Faschismus sei weder
„links“ noch „rechts“, besitze
keinerlei Klassenstandpunkt, und das Kapital habe keine zentrale Rolle
bei der faschistischen Herrschaft gespielt. Poensgen lässt
grüßen.
Christian Sprenger
Karsten
Heinz Schönbach: Die deutschen Konzerne und der
Nationalsozialismus 1926 – 1943, Berlin 2016, trafo
Wissenschaftsverlag, 680 S., ISBN 978-3-86464-080-3, € 59,80
aus: Marxistische Blätter 2_2016, Seite 143 ff
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