Heartfield: "Millionen stehen hinter Hitler"

Rallye „Spurensuche Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945“

Ein Projekt der VVN/BdA NRW

 

12.04.2016

Organisation der Naziverfolgten siegt im Prozess gegen Farbenfabrik Bayer AG

Dass ein Konzern für seine Verbrechen in der NS-Zeit von einem Gericht verurteilt wurde, das geschah in der Bundesrepublik so gut wie nie

Eine solche Verurteilung erfolgte – wenn auch nur indirekt -, indem die Vereinigte Arbeitsgemeinschaft der Naziverfolgten in Hamburg in einem von der Bayer AG gegen sie angestrengten Prozess verlor. Die der Bundes-VVN angehörende VAN Hamburg hatte 1965 in einem Flugblatt auf die Verbrechen der Bayer AG hingewiesen. Am 26. Mai 1965 bekam die VAN vor dem Landgericht Hamburg recht.

Das Flugblatt hatte den Inhalt, und über den Rechtsstreit wird in Albin Stobwasser „Die den roten Winkel trugen“ – Zur Geschichte der VVN-Bund der Antifaschisten Hamburg (Eigenverlag 1983) – berichtet.

Prozess gegen Farbenfabriken Bayer AG

Am 3.2.1965 verteilte die VAN Hamburg das Bildflugblatt „Verjährung für NS-Gewaltverbrechen? Urteilen Sie selbst!"

Prozess gegen Farbenfabriken Bayer AG

In Wort und Bild werden darin die scheußlichen Mordverbrechen aufgezeichnet und begründet, daß es eine Verjährung dieser Verbrechen nicht geben darf. Es war eine Kampfschrift in der damaligen Verjährungsdebatte gegen diejenigen, die nach 20 Jahren die NS-Mordverbrechen als verjährt betrachtet wissen wollten und eine dementsprechende gesetzliche Regelung anstrebten.

Unter einem Bild, das Kinder im KZ zeigte, stand folgender Text:

„lm Aufträge von Konzernen und Firmen, wie zum Beispiel Bayer, wurden von SS-Ärzten verbrecherische Versuche an Häftlingen vorgenommen, um die Wirkung chemischer Mittel auszuprobieren. Doktor Mengele machte Versuche an Zwillingen.“

Bereits am 5. Februar erwirkte die Firma Farbenfabriken Bayer AG, Leverkusen, vertreten durch den Vorstand Dr. Hansen und Dr. Silcher, eine einstweilige Verfügung beim Landgericht Hamburg, „der Dringlichkeit wegen“ ohne vorherige Verhandlung. Der schriftliche Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung datiert erst vom 6.2.1965. Durch diese einstweilige Verfügung wurde der VAN bzw. den verantwortlichen Personen bei Androhung einer Geldstrafe in unbeschränkter Höhe oder einer Haftstrafe bis zu sechs Monaten verboten, den Namen „Bayer" im Zusammenhang mit der obengenannten Behauptung zu erwähnen, bzw. verlangt, bei weiterer Verbreitung des Flugblattes den Namen „Bayer" dauerhaft unkenntlich zu machen.

Gegen diese Verfügung erhob die VAN Widerspruch beim Landgericht Hamburg. Sie führte als Beweismittel im Prozeß ein:

  1. Das Buch „KL Auschwitz" herausgegeben vom Internationalen Auschwitz-Komitee.
  2. Das Buch „Macht ohne Moral" von Raimund Schnabel.
  3. Das Buch „Auschwitz — Zeugnisse und Berichte —" Europäische Verlagsanstalt Frankfurt am Main.
  4. 225 Fotokopien von Urkunden aus Nürnberger NS-Verbrecher-Prozessen.

Die Gegenseite, die Farbenfabriken Bayer AG, beantragte den Widerspruch gegen die Verfügung des Landgerichts am 5.2. zurückzuweisen.

Zur Begründung ihres Antrages führten sie einen von fünf Anwälten erarbeiteten Schriftsatz von 39 Seiten ein, um zu beweisen, daß die im Jahre 1952 gegründeten Farbenfabriken „Bayer AG" keine Aufträge an die SS gegeben haben könnten.

Das Landgericht Hamburg lehnte es am 26.5.1965 in seinem Urteil ab, den Argumenten der Farbenfabriken zu folgen. Es hob die „einstweilige Verfügung" gegen die VVN auf.

In der Urteilsbegründung heißt es, daß die einstweilige Verfügung aufgehoben werden müsse, „weil die im Flugblatt aufgestellte Behauptung nach der aus dem Vortrag beider Parteien gewonnen Überzeugung wahr ist“. Die Versuche an Häftlingen seien Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Es wird weiter gesagt, bei dem Urteil des Landgerichts Hamburg handele es sich lediglich um die Prüfung der Behauptung der VAN,

„… im Auftrage von Konzernen und Firmen, wie z.B. Bayer, wurden von SS-Ärzten verbrecherische Versuche an Häftlingen vorgenommen nur darüber konnte in dem Urteil entschieden werden.

Die Bayer AG legte gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg beim Oberlandesgericht Hamburg Berufung ein (28. Juli 1965).

Die fünf Anwälte der Firma, Dr. v. Metzler, Dr. K. Abendroth, Martin Luther, Dr. E. Jahn und Werner Hofer haben in umfangreichen Schriftsätzen ihre Berufung vor dem Oberlandesgericht begründet.

Die VAN antwortete mit immer neuen Dokumenten aus den Bayer-Betrieben, die sich der Bayer-Konzern in der Nazizeit angeeignet hatte und die sich auf dem Boden der Deutschen Demokratischen Republik befinden.

In der Berufungsverhandlung vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht am 26. Mai 1966 versuchte es die Firma mit einem Vergleichsvorschlag. Die VAN sollte schriftlich erklären, daß sie in ihrem Flugblatt die „Farbenfabriken Bayer AG" nicht gemeint habe, dann würden sie ihre Berufung zurücknehmen.

Die VAN hat diesen Vergleich abgelehnt.

Der heutige Konzern Bayer AG ist entstanden aus dem alten Chemiekonzern „I.G. Farbenindustrie AG". Er ist ein Ergebnis der Entflechtungsbestimmungen der Alliierten und dem Verlust von Betrieben im Osten. Bis auf die Abschreibung der verlustig gegangenen Betriebe hat der Konzern nur den Namen etwas geändert, denn die Kernbetriebe und Forschungsstätten in Leverkusen sind ihm unverändert geblieben. Der Name „Bayer” als Firmenzeichnen wurde genauso beibehalten wie leitende Direktoren des alten Konzerns. In den Schriftsätzen an das Gericht wurde sinngemäß die Behauptung aufgestellt, es sei eine ganz neue Firma, die mit dem alten Konzern überhaupt nichts zu tun habe. Für die im Flugblatt der VAN aufgedeckten Verbrechen sei nicht die heutige „Bayer AG" sondern die getilgte Firma „Bayer“ verantwortlich.

Die aufgestellte Behauptung der VAN sei aber geeignet, den Kredit der Firma zu gefährden und sonstige Nachteile wirtschaftlicher Art für sie herbeizuführen. In ihrer gewerblichen Betätigung seien sie innerhalb und außerhalb Deutschlands besonders verletzbar, denn wie gerichtsbekannt ist, sind ihre vertriebenen pharmazeutischen Mittel praktisch in den Händen von jedermann.

In all den Schriftsätzen der Bayer AG findet sich kaum ein Wort des Bedauerns der Versuche an Häftlingen und Kindern. Die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die damit verbundenen Todesopfer spielen bei ihren Begründungen überhaupt keine Rolle, im Gegenteil, die Opfer werden noch verhöhnt, wie folgende Formulierungen beweisen.

Zu der Überlassung weiterer Präparate an den SS-Arzt Dr. Vetter wird erklärt:

(Schriftsatz 17. Mai 1965, Seite 38/39)

„Dr. König glaubte, diesen Wunsch nicht ablehnen zu können, obwohl er aus den in den Krankenblättern vermerkten Körpergewichten den Schluß zog, daß die Behandlung nicht an SS-Mannschaften vorgenommen war. Aus Gewissensgründen glaubte Dr. König, den Häftlingen die Hilfe durch beide Präparate nicht versagen zu können.“

Weil die wissenschaftliche Abteilung von der Wirksamkeit ihrer Präparate überzeugt war, glaubten die Herren in Leverkusen,

(Schriftsatz vom 28. Juli 1965, Seite 27)

„... es nicht verantworten zu können, Doktor Vetter zur Behandlung von Häftlingen solche Präparate verweigern zu dürfen.

Professor Dr. Hörlein entschied: Ach Martens, schicken Sie den armen Menschen die Präparate weiter ...“

Obwohl diesen Herren die unzähligen Todesopfer bei den Versuchen bekannt waren, lassen sie scheinheilig versichern,

(Schriftsatz vom 9.11.1965, Seite 11)

„kein Häftling hat zu irgendeiner Zeit sich gegen diese erfolgreichen Tbc-Behandlungen gewandt“.

Als endlich der Termin der Verhandlung und Urteilsverkündung festgelegt war, zog die Firma ihre Berufung einige Tage vor dem Termin zurück. Damit war das Urteil des Landgerichts Hamburg rechtskräftig.

Das Hamburger Landgericht hat als einziges Gericht in der BRD in seinem Urteil gegen die Bayer AG, diesen großen Konzern wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt. Das ist eine mutige und verdienstvolle Handlung. Im Urteil wird klar und deutlich ausgedrückt, daß allein die Beteiligung an den verbrecherischen Häftlingsversuchen Gegenstand dieses Verfahrens war und die VAN-Behauptungen den Tatsachen entsprechen.

Für den Vorstand der VAN war die Zurücknahme der Berufung des Bayer-Konzerns beim Oberlandesgericht eine große Erleichterung.

Es waren kritische Stimmen laut geworden, die auf die Bedeutung des Bayer-Konzerns und seine Verbindungen zu den höchsten Stellen hinwiesen. Es wurde bezweifelt, daß die VAN erfolgreich sein könnte.

Sie müsse eher mit einer großen Schadensersatzsumme rechnen. In den Schriftsätzen der Anwälte wurde schon auf große wirtschaftliche Schäden hingewiesen.

Es kam jedoch anders.

Es erwies sich einmal mehr, daß durch offensives Auftreten der VAN Erfolge zu erzielen waren. Nicht die wirtschaftliche Macht des Großkonzerns hatte dieses Verfahren gewonnen, sondern die von Antifaschisten öffentlich vorgetragene historische Wahrheit.