12.04.2016
Organisation der
Naziverfolgten siegt im Prozess gegen Farbenfabrik Bayer AG
Dass ein
Konzern für seine Verbrechen in der NS-Zeit von einem Gericht
verurteilt wurde, das geschah in der Bundesrepublik so gut wie nie
Eine solche Verurteilung erfolgte – wenn
auch nur indirekt -, indem die Vereinigte Arbeitsgemeinschaft der
Naziverfolgten in Hamburg in einem von der Bayer AG gegen sie
angestrengten Prozess verlor. Die der Bundes-VVN angehörende
VAN Hamburg hatte 1965 in einem Flugblatt auf die Verbrechen der Bayer
AG hingewiesen. Am 26. Mai 1965 bekam die VAN vor dem Landgericht
Hamburg recht.
Das Flugblatt hatte den Inhalt, und über
den Rechtsstreit wird in Albin Stobwasser „Die den roten
Winkel trugen“ – Zur Geschichte der VVN-Bund der
Antifaschisten Hamburg (Eigenverlag 1983) – berichtet.
Prozess gegen
Farbenfabriken Bayer AG
Am 3.2.1965 verteilte die VAN Hamburg das
Bildflugblatt „Verjährung für
NS-Gewaltverbrechen? Urteilen Sie selbst!"

In Wort und Bild werden darin die
scheußlichen Mordverbrechen aufgezeichnet und
begründet, daß es eine Verjährung dieser
Verbrechen nicht geben darf. Es war eine Kampfschrift in der damaligen
Verjährungsdebatte gegen diejenigen, die nach 20 Jahren die
NS-Mordverbrechen als verjährt betrachtet wissen wollten und
eine dementsprechende gesetzliche Regelung anstrebten.
Unter einem Bild, das Kinder im KZ zeigte, stand
folgender Text:
„lm Aufträge von Konzernen und
Firmen, wie zum Beispiel Bayer, wurden von SS-Ärzten
verbrecherische Versuche an Häftlingen vorgenommen, um die
Wirkung chemischer Mittel auszuprobieren. Doktor Mengele machte
Versuche an Zwillingen.“
Bereits am 5. Februar erwirkte die Firma
Farbenfabriken Bayer AG, Leverkusen, vertreten durch den Vorstand Dr.
Hansen und Dr. Silcher, eine einstweilige Verfügung beim
Landgericht Hamburg, „der Dringlichkeit wegen“ ohne
vorherige Verhandlung. Der schriftliche Antrag auf Erlaß
einer einstweiligen Verfügung datiert erst vom 6.2.1965. Durch
diese einstweilige Verfügung wurde der VAN bzw. den
verantwortlichen Personen bei Androhung einer Geldstrafe in
unbeschränkter Höhe oder einer Haftstrafe bis zu
sechs Monaten verboten, den Namen „Bayer" im Zusammenhang mit
der obengenannten Behauptung zu erwähnen, bzw. verlangt, bei
weiterer Verbreitung des Flugblattes den Namen „Bayer"
dauerhaft unkenntlich zu machen.
Gegen diese Verfügung erhob die VAN
Widerspruch beim Landgericht Hamburg. Sie führte als
Beweismittel im Prozeß ein:
- Das Buch „KL Auschwitz" herausgegeben
vom Internationalen Auschwitz-Komitee.
- Das Buch „Macht ohne Moral" von
Raimund Schnabel.
- Das Buch „Auschwitz —
Zeugnisse und Berichte —" Europäische Verlagsanstalt
Frankfurt am Main.
- 225 Fotokopien von Urkunden aus
Nürnberger NS-Verbrecher-Prozessen.
Die Gegenseite, die Farbenfabriken Bayer AG,
beantragte den Widerspruch gegen die Verfügung des
Landgerichts am 5.2. zurückzuweisen.
Zur Begründung ihres Antrages
führten sie einen von fünf Anwälten
erarbeiteten Schriftsatz von 39 Seiten ein, um zu beweisen,
daß die im Jahre 1952 gegründeten Farbenfabriken
„Bayer AG" keine Aufträge an die SS gegeben haben
könnten.
Das Landgericht Hamburg lehnte es am 26.5.1965 in
seinem Urteil ab, den Argumenten der Farbenfabriken zu folgen. Es hob
die „einstweilige Verfügung" gegen die VVN auf.
In der Urteilsbegründung heißt
es, daß die einstweilige Verfügung aufgehoben werden
müsse, „weil die im Flugblatt aufgestellte
Behauptung nach der aus dem Vortrag beider Parteien gewonnen
Überzeugung wahr ist“. Die Versuche an
Häftlingen seien Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Es wird
weiter gesagt, bei dem Urteil des Landgerichts Hamburg handele es sich
lediglich um die Prüfung der Behauptung der VAN,
„… im Auftrage von Konzernen
und Firmen, wie z.B. Bayer, wurden von SS-Ärzten
verbrecherische Versuche an Häftlingen vorgenommen nur
darüber konnte in dem Urteil entschieden werden.
Die Bayer AG legte gegen das Urteil des
Landgerichts Hamburg beim Oberlandesgericht Hamburg Berufung ein (28.
Juli 1965).
Die fünf Anwälte der Firma, Dr.
v. Metzler, Dr. K. Abendroth, Martin Luther, Dr. E. Jahn und Werner
Hofer haben in umfangreichen Schriftsätzen ihre Berufung vor
dem Oberlandesgericht begründet.
Die VAN antwortete mit immer neuen Dokumenten aus
den Bayer-Betrieben, die sich der Bayer-Konzern in der Nazizeit
angeeignet hatte und die sich auf dem Boden der Deutschen
Demokratischen Republik befinden.
In der Berufungsverhandlung vor dem Hanseatischen
Oberlandesgericht am 26. Mai 1966 versuchte es die Firma mit einem
Vergleichsvorschlag. Die VAN sollte schriftlich erklären,
daß sie in ihrem Flugblatt die „Farbenfabriken
Bayer AG" nicht gemeint habe, dann würden sie ihre Berufung
zurücknehmen.
Die VAN hat diesen Vergleich abgelehnt.
Der heutige Konzern Bayer AG ist entstanden aus
dem alten Chemiekonzern „I.G. Farbenindustrie AG". Er ist ein
Ergebnis der Entflechtungsbestimmungen der Alliierten und dem Verlust
von Betrieben im Osten. Bis auf die Abschreibung der verlustig
gegangenen Betriebe hat der Konzern nur den Namen etwas
geändert, denn die Kernbetriebe und Forschungsstätten
in Leverkusen sind ihm unverändert geblieben. Der Name
„Bayer” als Firmenzeichnen wurde genauso
beibehalten wie leitende Direktoren des alten Konzerns. In den
Schriftsätzen an das Gericht wurde
sinngemäß die Behauptung aufgestellt, es sei eine
ganz neue Firma, die mit dem alten Konzern überhaupt nichts zu
tun habe. Für die im Flugblatt der VAN aufgedeckten Verbrechen
sei nicht die heutige „Bayer AG" sondern die getilgte Firma
„Bayer“ verantwortlich.
Die aufgestellte Behauptung der VAN sei aber
geeignet, den Kredit der Firma zu gefährden und sonstige
Nachteile wirtschaftlicher Art für sie
herbeizuführen. In ihrer gewerblichen Betätigung
seien sie innerhalb und außerhalb Deutschlands besonders
verletzbar, denn wie gerichtsbekannt ist, sind ihre vertriebenen
pharmazeutischen Mittel praktisch in den Händen von jedermann.
In all den Schriftsätzen der Bayer AG
findet sich kaum ein Wort des Bedauerns der Versuche an
Häftlingen und Kindern. Die Verbrechen gegen die
Menschlichkeit, die damit verbundenen Todesopfer spielen bei ihren
Begründungen überhaupt keine Rolle, im Gegenteil, die
Opfer werden noch verhöhnt, wie folgende Formulierungen
beweisen.
Zu der Überlassung weiterer
Präparate an den SS-Arzt Dr. Vetter wird erklärt:
(Schriftsatz 17. Mai 1965, Seite 38/39)
„Dr. König glaubte, diesen
Wunsch nicht ablehnen zu können, obwohl er aus den in den
Krankenblättern vermerkten Körpergewichten den
Schluß zog, daß die Behandlung nicht an
SS-Mannschaften vorgenommen war. Aus Gewissensgründen glaubte
Dr. König, den Häftlingen die Hilfe durch beide
Präparate nicht versagen zu können.“
Weil die wissenschaftliche Abteilung von der
Wirksamkeit ihrer Präparate überzeugt war, glaubten
die Herren in Leverkusen,
(Schriftsatz vom 28. Juli 1965, Seite 27)
„... es nicht verantworten zu
können, Doktor Vetter zur Behandlung von Häftlingen
solche Präparate verweigern zu dürfen.
Professor Dr. Hörlein entschied: Ach
Martens, schicken Sie den armen Menschen die Präparate weiter
...“
Obwohl diesen Herren die unzähligen
Todesopfer bei den Versuchen bekannt waren, lassen sie scheinheilig
versichern,
(Schriftsatz vom 9.11.1965, Seite 11)
„kein Häftling hat zu
irgendeiner Zeit sich gegen diese erfolgreichen Tbc-Behandlungen
gewandt“.
Als endlich der Termin der Verhandlung und
Urteilsverkündung festgelegt war, zog die Firma ihre Berufung
einige Tage vor dem Termin zurück. Damit war das Urteil des
Landgerichts Hamburg rechtskräftig.
Das Hamburger Landgericht hat als einziges Gericht
in der BRD in seinem Urteil gegen die Bayer AG, diesen großen
Konzern wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt. Das ist
eine mutige und verdienstvolle Handlung. Im Urteil wird klar und
deutlich ausgedrückt, daß allein die Beteiligung an
den verbrecherischen Häftlingsversuchen Gegenstand dieses
Verfahrens war und die VAN-Behauptungen den Tatsachen entsprechen.
Für den Vorstand der VAN war die
Zurücknahme der Berufung des Bayer-Konzerns beim
Oberlandesgericht eine große Erleichterung.
Es waren kritische Stimmen laut geworden, die auf
die Bedeutung des Bayer-Konzerns und seine Verbindungen zu den
höchsten Stellen hinwiesen. Es wurde bezweifelt, daß
die VAN erfolgreich sein könnte.
Sie müsse eher mit einer großen
Schadensersatzsumme rechnen. In den Schriftsätzen der
Anwälte wurde schon auf große wirtschaftliche
Schäden hingewiesen.
Es kam jedoch anders.
Es erwies sich einmal mehr, daß durch
offensives Auftreten der VAN Erfolge zu erzielen waren. Nicht die
wirtschaftliche Macht des Großkonzerns hatte dieses Verfahren
gewonnen, sondern die von Antifaschisten öffentlich
vorgetragene historische Wahrheit.
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