20.03.2016
Auschwitz und die I. G. Farben
Fakten zur ökonomischen und politischen Bedeutung eines Konzentrationslagers
Aus einem Vortrag von Henning Mächerle,
Gießen, Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/VVN-BdA, im
Siegener VEB Politik, Kunst und Unterhaltung, - veröffentlicht in
der Zeitung „Unsere Zeit“ vom 26. Februar 2016 und hier
wiedergegeben mit Genehmigung des Autors und der Redaktion. In
NRW ist der ehemalige I.G.Farben-Konzern vor allem mit Nachfolgefirmen
in Essen beheimatet: In Gestalt von Evonik existiert dort ein
großer chemischer Mischkonzern, der aus IG Farben-Firmen und der
Ruhrkohle AG hervorging. In Marl bestehen einige der
EVONIK-Produktionsstätten.
Auschwitz und die I. G. Farben
Fakten zur
ökonomischen und politischen Bedeutung eines
Konzentrationslagers
Am 27. Januar
2015 jährte sich zum 70. Mal der Tag, an dem die Rote Armee
1945 das Konzentrationslager Auschwitz befreite. Der KZ-Komplex
Auschwitz bestand aus drei Teilen: Auschwitz, Birkenau und Monowitz.
Monowitz ist nur wenigen Menschen ein Begriff.
Was war
eigentlich dieses Lager Monowitz und in welchem Verhältnis
stand es zum Chemiekonzern I. G. Farben? Welche Rolle spielte das
Unternehmen für die Funktionsweise des KZ Auschwitz insgesamt
und warum erinnert heute so wenig an diese Verbindung von Wirtschaft
und Massenmord an den europäischen Juden und
unzähligen anderen Menschen?
Um diese und
andere Fragen ging es in dem Vortrag von Henning Mächerle von
der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der
Antifaschistinnen und Antifaschisten aus der Kreisorganisation
Gießen, von dem wir hier in der UZ einige wichtige Fakten
dokumentieren:
Im Mai 1940 legte Heinrich Himmler,
Reichsführer SS, Hitler eine Schrift mit dem Titel
„Einige Gedanken über die Behandlung des
Fremdländischen im Osten“ vor. In einer
„rassischen Siebung“ sollten die
„wertvollen Elemente“ der Bevölkerung in
den besetzten Gebieten „herausgefischt und zur Assimilierung
nach Deutschland geschickt“ werden. Die
„verbleibende minderwertige Bevölkerung“
sollte „als führerloses Arbeitsvolk zur
Verfügung stehen“ und „unter der strengen,
konsequenten und gerechten Leitung des deutschen Volkes“
berufen sein, „an dessen ewigen Kulturtaten ...
mitzuarbeiten“ Am 24. Juni 1940 schrieb der Chef der
Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes (SD), Reinhard Heydrich,
an Außenminister von Ribbentrop, dass das
„Gesamtproblem“ durch Auswanderung nicht mehr
gelöst werden könne. Eine „territoriale
Endlösung“ werde „dadurch
notwendig“.
Doch vor allem die Rote Armee erwies sich nach dem
Überfall auf die Sowjetunion als widerstandsfähiger
als vermutet. Millionen Menschen, sogenannte
„Feindbevölkerung“, waren seit 1939 im
„deutschen Herrschaftsraum“ im Osten, also den
eroberten Gebieten in Osteuropa, zusammengepfercht worden.
Das ursprüngliche Vorhaben, diese
Menschen weiter nach Osten zu treiben und sie dort verhungern zu
lassen, scheiterte am entschiedenen Widerstand in vielen der besetzten
Gebieten. Auch daraus ergab sich sicher der Plan nach schneller
Vernichtung der „Feindbevölkerung“
(Wannseekonferenz am 20. Januar 1942, Generalplan Ost - Entwicklung
zwischen 1940 und 1942). Aber das war in der faschistischen Ideologie
bereits angelegt.
„Das Kriegsgeschehen machte ihn
möglich, schuf seine allgemeinen Bedingungen und
führte den deutschen Imperialismus gerade an jenen Punkt
seiner Machtausdehnung, wo sich abenteuerlichste
Weltherrschaftserwartungen, realpolitische Überlegungen und
rassistischer Fanatismus kreuzten und potenzierten.“ (Kurt
Pätzold, 1983).
Aus dem Genannten ergibt sich, dass heute von
Nationalsozialismus zu sprechen (durch bürgerliche Politiker,
durch Historiker, Medien) nicht nur einfach falsch ist, sondern
politisch genau das Gegenteil von dem bedeutet, was der Faschismus war:
Eine Herrschaftsform des Kapitals - Kapital verstanden als
gesellschaftliches Verhältnis.
„Rationalität"
der Vernichtungspolitik
In vielen Diskussionen - selbst unter Linken,
Antifaschisten - ist die Frage der Rationalität dieser Politik
ungeklärt oder wird bestritten. Oft wird allein die
Vernichtungspolitik gegen die Juden als eigentliches Kriegsziel gesehen.
Das ist falsch: Es ging um die Revision des
Versailler Vertrages, um die Erringung der Vormachtstellung
Deutschlands in der Welt, die Besetzung und Unterwerfung anderer
Länder, die Auslöschung von Staaten in West und Ost,
die Ausbeutung ihrer Ressourcen, die Versklavung der dort lebenden
Menschen, die Verdrängung und Aussiedlung von großen
Teilen ihrer Bevölkerung, um Rassenkrieg („Germanen
gegen Slawen“).
Ihre ersten Ziele - die Vereinnahmung
Österreichs und die Zerschlagung der Tschechoslowakei -
erreichte Hitlerdeutschland ohne Krieg, ohne Gegenwehr.

Im Sommer 1941
begann der Bau des dritten Werkskomplexes Montan-Anlage, die
Vorprodukte für chemische Waffen wie Nervengas Tabun für das
I. G.-Farben-Werk Dyhernfurth bei Breslau liefern sollte.
Auch die Opferzahlen sprechen gegen die
Behauptung, die Vernichtungspolitik gegen die Juden sei das eigentliche
Kriegsziel gewesen: Euthanasiemaßnahmen gegen geistig und
körperlich Behinderte führten zu ca. 200 000 Toten,
zwischen 200 000 und 500 000 Sinti und Roma wurden umgebracht, von den
sowjetischen Kriegsgefangenen (Gesamtzahl der Gefangenen 5,3 Millionen)
drei Millionen. Von der slawischen Zivilbevölkerung kamen
durch „Strafaktionen“, Kampfhandlungen, gezielte
Vernichtung in der Sowjetunion ca. 20 Millionen, in Polen 6 Millionen,
in Jugoslawien eine Million um. Die genaue Zahl der Opfer unter den im
Deutschen Reich verfolgten politischen Gegnern ist unklar (laut
Reinhard Kühnl gab es 800 000 politisch Verfolgte im Deutschen
Reich).
I. G.
Farbenindustrie AG
Welche Rolle spielten in diesem Zusammenhang die
I. G. Farben?
Zunächst einige Fakten: Die I. G.
Farbenindustrie AG - kurz I. G. Farben oder IG Farben - entstand am
2.12.1925 aus einer Vielzahl von Chemieunternehmen. Sie war Ende des
zweiten Weltkrieges das größte Chemieunternehmen der
Welt mit Sitz mit Frankfurt am Main. 1945 betrug das
Inlandsvermögen der I. G. Farben 6 Milliarden RM, das
Auslandsvermögen eine Milliarde RM. 87 Prozent des
Maschinenparks, den die I. G. Farben 1943 genutzt hatte, waren bei
Kriegsende noch uneingeschränkt verwendbar.
*
Die Autarkiepolitik (Schaffung der
wirtschaftlichen Unabhängigkeit) war Teil der 1933 beginnenden
Aufrüstungspolitik des deutschen Faschismus. Das bedeutete
zunächst die Abschottung vom Handel mit den
„Westmächten“, Aufbau von
Ersatzstoffindustrien. Riesige Industrieneubauten mussten errichtet
werden. Produktionslinien wie synthetischer Kautschuk und Benzin wurden
erst durch Subventionen der faschistischen Regierung rentabel.
Das ermöglichte den I. G. Farben riesige
Extraprofite.
Der Konzern lieferte - bezogen auf das Deutsche
Reich - letztlich 100 Prozent des Giftgases, des Nickels, des
Magnesiums, 95 Prozent des Sprengstoffes, 90 Prozent organischer
Zwischenprodukte, 84 Prozent des synthetischen Kautschuks, 80 Prozent
der Plastizierungsmittel, 75 Prozent des Methanols (davon Monowitz 15
Prozent), 60 Prozent der benötigten Schmiermittel, 53 Prozent
des synthetischen Benzins, war also an der Kriegs- und
Vernichtungspolitik des faschistischen Deutschlands führend
beteiligt.
Der Netto-Gewinn des I.G.-Farben-Konzerns betrug
- 1935 66,8 Millionen Reichsmark (RM),
- 1941 311,5 Millionen RM,
- 1945 145,4 Millionen RM.
Im Jahr 1943 wurde mit 3,1 Milliarden RM der
höchste Umsatz der Firmengeschichte erreicht. Die
Gewinnsteigerung betrug 1941-1943 (gegenüber 1935) 366
Prozent. 1936 bis 1944 standen 2 Milliarden RM für
Dividendenzahlungen und Rückstellungen zur Verfügung
- auch für Planungen für die Nachkriegszeit und
Rückstellungen (Beispiel für „Keine Stunde
Null nach 1945“).
Nach dem Überfall auf die Sowjetunion
1941 investierten die I. G. Farben zusätzlich 2,1 Milliarden
RM.
Am Ende des zweiten Weltkrieges war die
Produktionskapazität größer als im
September 1939, die I. G. Farben waren zum größten
Chemiekonzern der Welt geworden.
*
Die Gewinne der I. G. Farben und ihre anhaltende
wirtschaftliche Stärke resultierten nicht nur aus der
Produktion kriegswichtiger Stoffe, sondern in nicht unerheblichen
Maße aus der Ausbeutung von Zwangsarbeitern bis hin zu deren
Ermordung, aus der „Arisierung“ des Eigentums
jüdischer Menschen sowie der Übernahme und
Plünderung der chemischen Industrie besetzter Länder.
Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges sollten die
I. G. Farben auf Beschluss des Alliierten Kontrollrates
aufgelöst werden. Dazu wurde die I. G. Farben wieder in
eigenständige Unternehmen aufgeteilt und der verbleibende Rest
in I. G. Farbenindustrie Aktiengesellschaft i. L. umbenannt.
Interessanterweise dauerte das
Abwicklungsverfahren rund 60 Jahre und endete erst 2012: Erst Ende 2003
wurde Insolvenz erklärt, doch das Unternehmen blieb
börsennotiert bis zum 9. März 2012 und wurde erst am
31. Oktober 2012 aus dem Handelsregister gelöscht.
Der KZ-Komplex
Auschwitz
Auschwitz, das war nicht nur das am 27.4.1940 als
Stammlager gegründete Konzentrationslager Auschwitz (Auschwitz
I), an dessen Tor die Losung stand „Arbeit macht
frei“.
Am 26.9.1941 wurde Auschwitz-Birkenau (Auschwitz
II) eröffnet, das als Arbeitslager für 100 000
sowjetische Kriegsgefangene geplant worden war, ab 1942
Vernichtungslager war, in dem ca. eine Million Menschen ermordet wurden
(überwiegend polnische Staatsbürger, Juden, Sinti,
Roma).
Im April 1940 wurde das Werk Buna IV (es lag etwa
60 km westlich von Krakow und sechs Kilometer östlich vom
Stammlager Auschwitz I entfernt angrenzend an das Gelände der
Buna-Werke) eine komplexe chemische Fabrik für
Hochleistungstreibstoff - Flugbenzin, Heizöl für die
Marine - bzw. Kunststoffe, Kunstfaser, Stabilisatoren, Harze, Methanol,
Stickstoff, Pharmazeutika) eröffnet. Im Sommer 1941 begann der
Bau des dritten Werkskomplexes Montan-Anlage, die Vorprodukte
für chemische Waffen wie Nervengas Tabun für das I.
G.-Farben-Werk Dyhernfurth bei Breslau liefern sollte.
Das Arbeitslager Monowitz (Auschwitz III) wurde am
28.10.1942 „in Betrieb“ genommen, ab
November 1943 war Monowitz (Monowice) auch Stammlager.
Der Bau von Monowitz kostete die I. G. Farben
insgesamt 900 Millionen Reichsmark - über 50 Prozent der
Kosten kamen vom Deutschen Reich als Subventionen zurück.

Zyklon-B-Behälter
Monowitz war für die I. G. Farben
besonders interessant, denn es gab hier nicht nur ein gute
Eisenbahnanbindung, ausreichend Wasser und drei nahe gelegene
Kohlegruben. Es gab vor allem Schutz vor alliierten Bombenangriffen
(„luftsicheres“ Gebiet). Problematisch war allein
die Beschaffung geeigneter Arbeitskräfte.
Doch dieses Problem
„löste“ ein „Deal“
zwischen den I. G. Farben und der SS. Am 26.2.1941 verfügte
Heinrich Himmler, das Bauvorhaben der Buna-Werke durch Gefangene aus
dem Konzentrationslager Auschwitz in jedem nur möglichen
Umfang zu unterstützen. Die I. G. Farben lieferte Baumaterial
(Zement, Eisen, Holz) zum Ausbau des Stammlagers Auschwitz I. Im
Gegenzug wurden von der SS zunächst 1 000 Häftlinge
zugesagt, zum folgenden Jahr 3 000, für die die I. G. Farben
an die SS zahlten: 4 RM für Facharbeiter, 3 RM für
Hilfsarbeiter.
Die Arbeitszeit betrug im Sommer zehn Stunden, im
Winter neun Stunden. Alle Kosten für Verpflegung und Transport
zur Baustelle übernahm die SS.
Anfang 1942 bauten die I. G. Farben für 5
Millionen RM ein eigenes Lager für Häftlinge im
Bereich von Auschwitz III. Das Lager „Buna“ wurde
am 28. Oktober 1942 fertiggestellt. Dort kamen zwischen 20 000 und 25
000 Menschen um.
*
Trotz der zentralen Bedeutung des I.
G.-Farben-Konzerns für den Raub- und Vernichtungskrieg des
deutschen Faschismus kamen die Manager des Konzerns nach 1945
glimpflich davon.
Zwar wurden 24 I. G.-Farben-Verantwortliche im Mai
1947 in einem gesonderten „Chemieprozess“ von
US-amerikanischen Ermittlungsbehörden vor dem
US-Militärgericht in Nürnberg angeklagt. Im Juli
1948, am Ende des Prozesses, wurden jedoch nur noch 13 Angeklagte zu
Haftstrafen von bis zu acht Jahren verurteilt.
Bereits 1951 wurden die letzten Verurteilten vom
US-amerikanischen Hohen Kommissar John McCloy begnadigt.
Alle konnten ungehindert ihre Karrieren in der
westdeutschen Chemieindustrie fortsetzen.
Aus
dem Vortrag von Henning Mächerle am 27.1.2015, VEB Politik,
Kunst und Unterhaltung, AStA der Uni Siegen
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