Heartfield: "Millionen stehen hinter Hitler"

Rallye „Spurensuche Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945“

Ein Projekt der VVN/BdA NRW

 

21.07.2015

Vor und nach 1945: Die unbekannten Verbrechen der Quandts 

Wirtschaftswunder als Resultat der Kriegswirtschaft

Wenn es darum geht, die Verbrechen der Wirtschaft 1933–1945 auf dem nordrhein-westfälischen Territorium zu dokumentieren, dann gibt es besonders in Südwestfalen noch großen Nachholbedarf. So müssen die Varta-Werke in Hagen und ihre Besitzer, die Quandt-Familie, endlich als Profiteure des Programms Vernichtung durch Arbeit benannt werden. Quandt-Betriebe gab es im ganzen Reich, und so auch in Lüdenscheid mit der Firma Busch-Jäger, die zum Quandt-Konzern gehört. Von dort aus zog noch nach 1945 der Goebbels-Nachfolger Werner Naumann die Fäden zu alten und neuen Nazigruppen. Der Experte Prof. Ulrich Herbert stellte fest: »Es gibt Analysen, die zeigen, dass ein erheblicher Teil unseres Wirtschaftswunders auf der Entwicklung in diesen Kriegsjahren beruht, auf der Ausbeutung Europas und der Zwangsarbeiter.«[1] Und auch die größten Quandt-Betriebe der Nachkriegszeit, die Bayerischen Motorenwerke BMW, wurden nur möglich durch die Kriegsgewinne und die Ausbeutung von Sklavenarbeit.

Es wurde daher von der VVN-BdA-Landesorganisation NRW beim Rat der Stadt Hagen beantragt:

An einem ehemaligen Verwaltungsgebäude der Fa. VARTA (früher AFA) in Hagen wird eine Mahntafel angebracht mit einem Text, der darauf hinweist, dass dort einst Günther Quandt residierte, ein enger Partner der Nazis, die er förderte und von denen er wiederum unterstützt wurde. Er hat durch »Arisierung« jüdische Kaufleute beraubt, einen der größten Rüstungskonzerne aufgebaut, die im Zweiten Weltkrieg systematisch Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter ausbeuteten, so dass viele von ihnen starben. Mit seinen Verbrechen hat er ein großes Vermögen angehäuft, und noch heute zählt daher die Familie Quandt zu den reichsten Europas. Die Tafel soll auf die verhängnisvolle Rolle von Wirtschaftskreisen in der NS-Zeit hinweisen. Sie soll der Mahnung dienen, solche Verbrechen nie wieder zuzulassen.

Die Behandlung des Antrages stand im Herbst 2011 noch aus.

Beantragt wurde auch – und zwar beim Stadtrat von Lüdenscheid: In der Nähe eines Verwaltungsgebäudes der Fa. Busch-Jäger in Lüdenscheid wird eine Mahntafel angebracht mit einem Text, der darauf hinweist, dass dort einst Vertreter der Unternehmer Quandt residierten, enger Partner der NS-Machthaber, die sie förderten und von denen sie wiederum unterstützt wurden. (…) Die Tafel soll auf die verhängnisvolle Rolle von Wirtschaftskreisen in der NS-Zeit hinweisen. Sie soll auch auf folgendes hinweisen: Von der zum Konzern des Kriegsverbrechers Quandt gehörenden Firma Busch-Jäger konnte der von den Quandts eingesetzte Firmenchef, der ehemalige Goebbels-Stellvertreter Dr. Werner Naumann, die Fäden zu alten und neuen Nazigruppen spinnen. Dabei spielte besonders die NRW-FDP eine Rolle, die Naumann für sich einschaltete. Sie sollte mit Hilfe von Ernst Achenbach zu einer Organisation in der NSDAP-Nachfolge umgestaltet werden. Dies misslang – nicht etwa, weil demokratische Kräfte in der FDP wachsam waren, sondern weil die britische Besatzungsmacht 1953 einschritt.

Die Tafel soll der Mahnung dienen, solche Verbrechen nie wieder zuzulassen.

Die Kriegsverbrechen der Quandts

Am 6. April 1945 trieben SS-Leute drei Kolonnen ausländischer Häftlinge auf den Seelhorster Friedhof in Hannover und ermordeten 155 von der Gestapo »zum Tode verurteilte« Lagerinsassen Auf dem Friedhof befanden sich etwa 400 weitere Opfer aus Lagern, darunter viele aus dem Außenlager des KZ Neuengamme in Hannover-Stöcken, dem sog. Firmen-KZ der Familie des Wehrwirtschaftsführers Quandt. Die Ermordung wurde von der Gestapo-Leitstelle in Hannover-Ahlem organisiert. Am 2. Mai wurden »belastete Nazis« von der US-Armee herangezogen, um das Massengrab freizulegen: Sie entdeckten 526 Leichen; 386 wurden in einem Trauerzug zum Maschsee gefahren und am Nordufer beigesetzt.

Ein weiterer Tatort: Gardelegen. Die Stadt in Sachsen-Anhalt war wenige Tage vor Ende des Zweiten Weltkriegs Ort eines der brutalsten Naziverbrechen. In der zweiten Aprilwoche 1945 wurden in einer Feldscheune in Isenschnibbe bei Gardelegen über eintausend Zwangsarbeiter von Faschisten verbrannt. Sie kamen aus einer 3.000 KZ-Häftlinge umfassenden Gruppe, die von ihren Bewachern aus dem Harz, aus Hamburg und Hannover auf einem der sogenannten Todesmärsche durchs Land getrieben wurde, um sie vor den herannahenden US-Panzertruppen zu verbergen. Über tausend nicht mehr gehfähige Männer, Frauen und Kinder wurden bei Gardelegen aus der Kolonne geholt, viele von ihnen totgeprügelt. Örtliche NSDAP-Aktivisten ermordeten die übrigen, indem sie sie in eine Scheune trieben und verbrannten oder auf der Flucht erschossen. Weitere Häftlinge – jene, die sich entfernt und versteckt hatten – wurden von Volkssturmtrupps in und um Gardelegen erschossen. Insgesamt 1.017 Menschen kamen an diesem 13. April 1945 als Opfer der Mordaktion in der Scheune von Isenschnibbe ums Leben.[2]  

Ein Film bringt es an den Tag

In der Dokumentation des NDR »Das Schweigen der Quandts« wurde recherchiert, dass ihr Reichtum vor allem auf der Ausbeutung der Zwangsarbeiter im Kriege und auf den Profiten aus der Hochrüstung fußt. Sie haben sich weder bei ihren Opfern entschuldigt noch Entschädigungen geleistet. Sie haben auch nie ein Wort des Bedauerns darüber gefunden, dass der Wehrwirtschaftsführer und Nazi-Funktionär Günther Quandt, dessen Erbe die Familie 1954 antrat, gemeinsam mit seinem Sohn Herbert als Schreibtischtäter am Mord von Gardelegen beteiligt war sowie an folgenden Verbrechen: Zwangsarbeiter mussten ohne Schutzkleidung im eigenen Batteriewerk arbeiten und wurden somit vorsätzlich den giftigen Gasen der Schwermetalle Blei und Kadmium ausgesetzt, was dazu führte, dass die meisten dies nicht überlebten. Die Autoren verweisen auf eine interne Berechnung von Quandt, die von einer »Fluktuation« von 80 Personen monatlich ausging – also 80 Toten. Nach Einschätzung von Benjamin Ferencz, der bei den Nürnberger Prozessen für die Anklagebehörde arbeitete, wären die Quandts ebenso wie Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, Friedrich Flick und die Verantwortlichen der I.G. Farben als Hauptkriegsverbrecher angeklagt worden, wenn die heute zugänglichen Dokumente den Anklägern damals vorgelegen hätten.

Auch einer späteren Strafverfolgung konnten sich die Verantwortlichen aus der Quandt-Familie (außer Günther Quandt auch die Söhne Hellmut Quandt 1908–1927 und Herbert Quandt 1910–1982 sowie Sohn Harald 1921–1967, letzterer ein Ziehkind von Joseph Goebbels) entziehen und große Teile ihrer Firmen und ihres Vermögens über das Ende der Naziherrschaft hinaus retten. Das heutige Vermögen der Familie wird auf 20 Milliarden Euro geschätzt.

Quandt sen. wurde nach 1945 als »Mitläufer« entnazifiziert. Bei seinem 60. Geburtstag im Juli 1941 hatte der Chef der Deutschen Bank Hermann Abs (Bonn) hervorgehoben: »Ihre hervorstechendste Eigenschaft ist Ihr Glaube an Deutschland und den Führer.« Daran hielt er fest. Den von Hitler zum Nachkriegsnachfolger des Propagandaministers Joseph Goebbels ernannten Staatssekretär Werner Naumann förderte er bei seinen Naziaktivitäten im Nachkriegsdeutschland.[3]

Werdegang des Günther Quandt

Günther Quandt (geb. 28.7.1881 Pritzwalk, gest. 30.12.1954 Kairo), der spätere Großindustrielle und Wehrwirtschaftsführer war Sohn eines Textilindustriellen. Er erhielt eine berufliche Ausbildung in der Textilindustrie, war anschließend Prokurist (1903–1908) und wurde ab 1909 Mitinhaber von Tuchfabriken in Wittstock/Dosse. Quandt legte während des Ersten Weltkrieges mit bedeutenden Kriegsgewinnen – er war einer der Hauptlieferanten für Heerestuche – sowie staatlichen Wirtschaftsfunktionen (Leiter der Reichswolle AG, Direktor des Kriegsgarn- und Tuchverbandes) den Grundstein zu seinem späteren bedeutenden Rüstungskonzernbesitz. Die Bekanntschaft mit dem Textilindustriellen Rechberg, mit dem er gemeinsam die Kriegsrohstoffgesellschaften auf dem Textilgebiet beherrschte, trug entscheidend zu seinem Erfolg bei. Später war er in der Kaliindustrie wirtschaftlich tätig, ferner in der Erdölförderung und baute dann den bedeutenden Wintershallkonzern auf. In der ersten Hälfte der 20er Jahre kaufte er die Mehrheit und im Laufe der Zeit alle Aktien der Accumulatoren-Fabrik AG Berlin-Hagen. Nachdem Quandt Ende der 20er Jahre die Mehrheit und 1932 die restlichen Aktien der Berlin-Karlsruher Industriewerke an sich gebracht hatte, die in beiden Weltkriegen als Rüstungsbetrieb unter dem Namen Deutsche Waffen- und Munitionsfabriken AG eine hervorragende Rolle spielten, macht er sich hier zum Vorsitzenden des Aufsichtsrats, später des Vorstandes. Auf den Gebieten der Kali-, Tuch-, Elektro- und unmittelbaren Rüstungsindustrie baute Quandt, seit den 30er Jahren auch in den Aufsichtsräten mehrerer Gesellschaften des Gerling-Versicherungskonzerns leitend tätig, seine Position durch Neuerwerb von Aktienpaketen weiterer Firmen aus. Quandt unterstützte lange vor 1933 die NSDAP. Im Jahre 1933 wurde er wegen Steuerbetrugs verhaftet, bald darauf durch Beziehungen zu Joseph Goebbels, dem Ehemann seiner geschiedenen Frau, , wieder freigelassen. In der NS-Zeit vermehrte und vergrößerte Quandt den Familienbesitz teils auf Kosten unrechtmäßig enteigneter, meist jüdischer Konkurrenten und wurde zu einem der größten Rüstungsproduzenten des Dritten Reichs. Als Inhaber, Betriebsführer, Vorsitzender von Vorständen und Aufsichtsräten wichtiger Firmen der Rüstungsindustrie war Quandt mitverantwortlich für die Aufrüstung, die unmenschliche Ausbeutung von KZ-Häftlingen, Kriegsgefangenen und ausländischen Zwangsarbeitern sowie für den Raub aus den okkupierten Gebieten während des Zweiten Weltkrieges.

1937 war Günther Quandt zum Wehrwirtschaftsführer ernannt worden. Die Akkumulatoren der AFA dienten unter anderem U-Booten und Raketen als Antrieb; die Textilbetriebe lieferten – wie schon im Kaiserreich und in der Weimarer Republik – die Uniformen und Decken der Wehrmacht; andere Quandt’sche Unternehmen stellten Waffen und Munition her.

Neuere historische Recherchen belegen, dass Quandt die Tätigkeiten seiner Firmen im Laufe des Krieges wissentlich durch den Einsatz von Zwangsarbeitern aufrechterhielt. Das geschah unter anderem durch die von der AFA betriebenen, firmeneigenen Konzentrations- und Arbeitslager, in denen die Zwangsarbeiter von SS-Mannschaften bewacht wurden.

Der Arisierungsgewinnler

Vom NS-Staat enteignete Konkurrenzunternehmen jüdischer Eigentümer konnten von Quandt günstig übernommen werden. Besonders bekannt ist in diesem Zusammenhang der Fall der Batteriefabrik des Luxemburger Unternehmers Léon Laval, dessen Unternehmen Quandt nach der Eroberung des Landes mit Unterstützung der Gestapo übernahm, die den Eigentümer durch Verhöre zu zwingen versuchte, seine Aktien an Quandt zu verkaufen. Nach seiner standhaften Weigerung wurde Laval in einem Konzentrationslager inhaftiert.

1945 floh Quandt, der bis dahin auf einem parkartigen Grundstück in der Villenkolonie Neubabelsberg am Ufer des Griebnitzsees wohnte, aus Berlin und ließ sich in Leutstetten am Starnberger See nieder. Seine Söhne bezogen Ausweichquartiere in Hannover in der britischen Zone, in der die wichtigsten Werke der Familie lagen. Schon wenige Wochen nach der Kapitulation im Mai 1945 hatte die AFA als eines der ersten Unternehmen eine Betriebsgenehmigung der britischen Besatzungsmacht bekommen. 1946 wurde Günther Quandt auf Anordnung der US-Militärregierung verhaftet und blieb zwei Jahre interniert.

Schutz durch britische Behörden

Belastende Dokumente über Günther Quandts Aktivitäten im Dritten Reich hielten die Briten allerdings zurück und leiteten sie nicht an die amerikanische Anklagebehörde weiter. Bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen wurde deshalb trotz anfänglicher Ermittlungen keine Anklage gegen ihn erhoben. Im Rahmen der Entnazifizierung wurde er 1948 trotz seiner Verstrickung in die Verbrechen des Dritten Reichs von einer Starnberger Spruchkammer, vor der er sich unter anderem wegen seiner Rolle bei der Enteignung Léon Lavals (der die Lagerhaft überlebt hatte und als Nebenkläger an dem Prozess teilnahm) verantworten musste, nur zum »Mitläufer« erklärt. Die Rolle von Quandts Rüstungsunternehmen während des Krieges und dem Einsatz von Zwangsarbeitern wurden nie Bestandteil des Verfahrens gegen ihn.

So gelang es Quandt und seiner Familie, sich mit Hilfe des durch die Kriegswirren geretteten und zu großen Teilen aufgrund der fragwürdigen Zusammenarbeit mit dem NS-Regime erlangten Vermögens einen wirtschaftlichen Vorsprung zu sichern, der den Quandts im Laufe des Wirtschaftswunders rasch eine führende Rolle in der deutschen Nachkriegswirtschaft einbrachte.[4]

Die Familie unbelehrbar und gierig

Herbert Quandts 1956 geborener Sohn Sven Quandt wurde vom Vater bereits mit 23 Jahren in den Aufsichtsrat der Firma Varta berufen. Von großer wirtschaftlicher Bedeutung sind heute vor allem die Beteiligungen, die von Herbert Quandts dritter Frau Johanna Quandt an führenden deutschen Unternehmen gehalten werden. Zusammen mit ihren beiden Kindern Susanne Klatten und Stefan Quandt hält sie unter anderem 46,6 Prozent der Anteile am bayerischen Automobilbauer BMW. Teile des Familienvermögens wurden in die Johanna-Quandt-Stiftung eingebracht, die sich der Wirtschafts- und Medienförderung widmet.

Trotz der Verbrechen der Quandts während der Zeit der Nationalsozialisten beteiligten sie sich nicht am so genannten »Zwangsarbeiter-Fonds« der deutschen Wirtschaft und lehnten auch schon vorher die Bitten überlebender Betroffener um Anerkennung und Hilfe stets ab.

Die heutige Familie ist sehr schweigsam. Eine Ausnahme macht Sven Quandt, ein Sohn Herbert Quandts, der während seines Interviews für die NDR-Dokumentation »Das Schweigen der Quandts« im Jahr 2007 die Vorwürfe gegen die Familie zurückweist und fordert, man müsse einen Schlussstrich unter die Vergangenheit ziehen, weil weiteres Nachbohren Deutschland schade. Eine Mitverantwortung lehne er ab, da er zur Zeit der Nazi-Diktatur noch nicht gelebt habe. Darauf angesprochen, dass aber das Vermögen der Familie durch die Verbrechen vermehrt wurde, schweigt auch Sven Quandt. Experten halten den Gedanken, Günther und Herbert Quandt hätten von der verbrecherischen Ausbeutung der Zwangsarbeiter zugunsten ihrer Unternehmen womöglich gar nichts gewusst, für abwegig.

Politik mit Parteispenden gekauft

Parteispenden der Familie Quandt: Seit dem Jahr 2002 spendete die Familie Quandt etwa zwei Millionen Euro an deutsche Parteien. Der größte Anteil der Spendensumme ging dabei an die CDU. Die Schwesterpartei CSU und die FDP erhielten ebenfalls Spenden. Zuletzt am 27. November 2009 erhielt die CDU jeweils 150.000 Euro von Johanna Quandt, von Stefan Quandt sowie von Susanne Klatten.

Betrachtet man heute die Parteispenden der Konzerne BMW (ca. 1,5 Mio. Euro) und Altana (ca. 1,1 Mio. Euro) ebenfalls als Spenden der Familie Quandt, so zählt die Familie zu den größten Einzelspendern deutscher Parteien.[5]

Zitate

»Wenn man es zusammenfasst, hat die Familie Quandt ihr Vermögen gemacht auf der Grundlage von Zwangsarbeit, verknüpft mit dem Zweiten Weltkrieg und den deutschen Kriegszielen und so weiter. Also das ist die Basis für ihr Vermögen.«           Prof. Herbert Schui in: »Das Schweigen der Quandts«

»Wir müssten endlich mal versuchen, das zu vergessen. Es gibt in anderen Ländern ganz ähnliche Dinge, die passiert sind, auf der ganzen Welt. Da redet keiner mehr drüber.«         Sven Quandt in: »Das Schweigen der Quandts«

Goebbels Erbe Werner Naumann (NSDAP) versuchte den Neuanfang – mit Quandts Hilfe

Werner Naumann (geb. 1909 in Guhrau, Schlesien; gest. 1982 in Lüdenscheid) war Dr. rer. nat., Volkswirt und Maurer, führender Nazi, Staatssekretär im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda und zuvor persönlicher Referent von Joseph Goebbels. In Hitlers Politischem Testament wurde Naumann zum Nachfolger Goebbels’ bestimmt. Faktisch war Naumann also letzter Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda. Naumann hielt sich bis zu Hitlers Tod im Führerbunker auf, den er erst am 2. Mai 1945 zusammen mit Martin Bormann und Arthur Axmann verließ. Unterstützt wurde Naumann von der Familie Quandt, deren Fa. Busch-Jaeger Metallwerk GmbH Lüdenscheid er lange Zeit als Direktor leitete.

Naumann war 1953 maßgeblich an einer Verschwörung beteiligt, bei der eine Gruppe ehemaliger NS-Funktionäre den nordrhein-westfälischen Landesverband der FDP zu unterwandern versuchte. Um Naumann formierte sich der so genannte Düsseldorfer Kreis, zu dem unter anderen Werner Best gezählt wurde, der früher Organisator der Einsatzgruppen und Vertreter Heydrichs gewesen war.

Am 15. Januar 1953 gab die britische Besatzungsmacht bekannt, eine Verschwörung ehemals führender NS-Funktionäre aufgedeckt und die Rädelsführer verhaftet zu haben. Die Gruppe um Naumann (»Gauleiter-Kreis« oder Naumann-Kreis) hatte den nordrhein-westfälischen Landesverband der FDP unterwandert und war in einflussreiche Positionen gelangt. Dem Historiker Ulrich Herbert zufolge ging es den beteiligten Personen dabei um eine »Rehabilitierung des Nationalsozialismus im allgemeinen« und »der eigenen Person im besonderen«. Zu den politischen Vorstellungen habe aber auch die Wiedererrichtung eines autoritären Machtstaates gehört. Zum Netzwerk um Naumann zählten zahlreiche ehemalige NS-Funktionäre, wie der ehemalige Leiter der Rundfunkabteilung im Reichspropagandaministerium, Hans Fritzsche, der frühere Leiter des Referats Antikomintern, Eberhard Taubert, der SS-Oberstgruppenführer Paul Hausser, der ehemalige HJ-Gebietsführer Horst Huisgen, zeitweilig Landesgeschäftsführer der FDP, der ehemalige Referatsleiter Rundfunk im Propagandaministerium, Wolfgang Diewerge, sowie Ernst Achenbach, der als Attaché der Botschaft in Paris in die Judendeportationen verstrickt war.

Bei diesem Unterfangen scheiterte Naumann ebenso wie bei seiner darauf folgenden Spitzenkandidatur für die rechtsgerichtete Deutsche Reichspartei in Niedersachsen.[6]

[1] Süddeutsche Zeitung, 29.12.1998

[2] Sander, „Mörderisches Finale“. NS-Verbrechen bei Kriegsende, Köln 2008, Kapitel I

[3] Ebenda und in der NDR-Dokumentation »Das Schweigen der Quandts«, Erstsendung am 30. September 2007

[4] NDR-Film »Das Schweigen der Quandts«. A.a.O., ferner: Hans Radandt, aus: Biographisches Lexikon zur deutschen Geschichte, Berlin 1970

[5] Im Bundestag notiert: Spenden – Bundestagsnachrichten Unterrichtung – 27. November 2009

[6] Material aus dem Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde (BAB), Bestand R-43 II

Zuerst erschienen in Ulrich Sander: "Von Arisierung bis Zwangsarbeit – Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr"

Siehe auch:

05.05.2015
Ungesühnten Verbrechen dem Vergessen entrissen - Sklavenschicksale neben uns
So könnte das Buch auch überschrieben werden. Wir nannten es: „Der Iwan kam bis Lüdenscheid“
Der Autor hatte das Glück, rund 7500 Personalien zu erkunden und damit vermutlich 1500 überlebenden Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern aus dem Raum Lüdenscheid zu einer Entschädigung verhelfen zu können, als Mitarbeiter des „Heimatvereins Lüdenscheid e.V.“ und mit Hilfe des Stadtarchivs. In der Provinz, in einer Industriestadt konnte der Autor pars pro toto - der Teil fürs Ganze - repräsentative Fakten über ein besonders schweres Verbrechen des deutschen Faschismus erarbeiten.
http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/1424_iwan.htm

21.07.2015
Werbung für ein anderes Gedenken
„Lüdenscheider Nachrichten“ über den Iwan, der als Zwangsarbeiter bis Lüdenscheid kam
Er habe den Stoff für mehrere Kriminalromane ausgebreitet, sagte Ulrich Sander (VVN-BdA) über sein Buch „Der Iwan kam bis Lüdenscheid“. Jedoch sei seine Wiedergabe seines Arbeitsjournals weder eine Fiktion noch Unterhaltungsstoff. „Allerdings spannend wie ein Krimi zu lesen,“ wurde ihm von Lesern bedeutet, die sich am 16. Juli 2015 in Lüdenscheids „Linkem Zentrum“ zu einer Lesung versammelt hatten. Die „Lüdenscheider Nachrichten“ fassen zusammen, Lüdenscheid sei durch das Zusammenspiel von Medien, Teilen der Bevölkerung und Heimatverein sowie Stadtarchivar Dieter Saal und Rechercheur Ulrich Sander besonders erfolgreich bei der Forschung zugunsten der Überlebenden der Zwangsarbeit gewesen. Ein Ziel von Sanders aktuellen Veröffentlichung sei es, für eine neue, weitere Erinnerungskultur zu werben  und zwar dort, wo sich Täter befanden. „Mahntafeln an Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigten, sind eine Idee, in Lüdenscheid zum Beispiel bei Busch-Jaeger, damals mit dem Quandt-Konzern verwoben.“ Hier der Wortlaut des Artikels von Bettina Görlitzer unter der Überschrift „Werbung für ein anderes Gedenken“: 
http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/1452_iwan_lr.htm

03.07.2015
Echo aus der Stadt des Schauplatzes: „Der Iwan kam bis Lüdenscheid" - Tagebuch einer Forschungsarbeit
Geschichte der Zwangsarbeiter: Rund 15 Jahre nach seiner Tätigkeit in der Bergstadt legt Ulrich Sander ein Protokoll seiner bisweilen mühsamen Spurensuche vor. » Iwan war ein zwölfjähriger russischer Zwangsarbeiter, der nach Lüdenscheid kam, ob er das Nazi-Regime überlebt hat und später eine Entschädigung einfordern konnte, weiß Ulrich Sander nicht, aber diesen Iwan hat er stellvertretend für alle Zwangsarbeiter für den Titel seines aktuellen Buches gewählt: „Der Iwan kam bis Lüdenscheid. Protokoll einer Recherche zur Zwangsarbeit“.
So beginnt Bettina Görlitzer in den Lüdenscheider Nachrichten 27.6.2015 ihren Bericht. Ein erstes Echo auf das Buch aus Lüdenscheid. Sie schreibt weiter:
http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/1446_iwan_lr.htm

03.07.2015
Ein enthüllendes Arbeitsjournal: Manfred Weißbeckers Besprechung von „Der Iwan kam bis Lüdenscheid“
Ein Buch von höchster Aktualität und zugleich besonderer Art nennt der marxistische Historiker Prof. Manfred Weißbecker (Jena) das Buch von Ulrich Sander „Der Iwan kam bis Lüdenscheid“. Der Autor verstehe seine Recherchen zur NS-Zwangsarbeit als „kleinen Ausschnitt aus einer leider noch nicht geschriebenen Anklageschrift gegen die Täter“, die Sklavenhalter aus der deutschen Wirtschaft. Die Buchrezension Weißbeckers erscheint in den Marxistischen Blättern und in der UZ (Unsere Zeit) vom 3. Juli 2015. Hier der Wortlaut:
http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/1447_iwan_uz.htm