Heartfield: "Millionen stehen hinter Hitler"

Rallye „Spurensuche Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945“

Ein Projekt der VVN/BdA NRW

 

24.03.2013

»Die Diktatur, hinter der sich diese Menschen zu verschanzen suchten, war ihre eigene Schöpfung«

Das Geheimtreffen vom 20. Februar 1933

Zur Entlastung des Großkapitals wird heute gern angeführt: Die Industrielleneingabe von 1932 an Reichspräsident Hindenburg zugunsten Hitlers sei ohne Wirkung geblieben, erst nach dem 30. Januar 1933 seien die Industriellen auf die Gegebenheiten eingeschwenkt, vorher hätten sie die Zusammenarbeit mit der NSDAP verweigert. Tatsächlich aber standen für die Nazipartei wie für einzelne Nazis schon Jahre vor 1933 unzählige Finanztöpfe bereit. Der 20. Februar 1933 war dann der Tag des entscheidenden (Geheim-)Treffens.

Der Nürnberger Prozess 1945/1946 beurteilte die Rolle der angeklagten Großindustriellen:

»Die Diktatur, hinter der sich diese Menschen zu verschanzen suchten, war ihre eigene Schöpfung. Von dem Wunsche getrieben, sich selbst eine Machtstellung zu schaffen, haben sie das System aufgebaut, von dem sie ihre Befehle empfingen. Der Fortbestand dieses Systems hängt von ihrer dauernden Unterstützung ab.« [Internationales Militärtribunal (IMT), Bd. XIX, S. 515, zit. Nach Norbert Podewin (Hg.): Braunbuch, Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik und Berlin (West), Reprint der Ausgabe 1968, S. 27

Hitler war kein Zufall der Geschichte. Er kam auch nicht aus dem Gully, wie das einmal der Chefredakteur einer westdeutschen Zeitung schrieb. Nicht erst seit 1933 interessierten sich große Konzerne für Hitler. Sie versprachen sich von seiner Nazipartei die Verwirklichung ihrer Pläne für eine Neuordnung Europas und lukrative Rüstungsgeschäfte.

Einige Historiker legen Wert auf die Feststellung, dass maßgebende Kreise der Großindustrie wie etwa Krupp die Hitlerpartei relativ spät unterstützten. Sie berufen sich dabei auf den Amerikaner H. A. Turner jr. Dabei verkennen sie aber, dass die Faschisierung zu jenem Zeitpunkt noch nicht ausgereift war. Darum hielten die Industriellen sich verschiedene Varianten offen. Die anfängliche Zurückhaltung ist also keinesfalls als Gegnerschaft zum Faschismus auszulegen. Krupp von Bohlen und Halbach z.B. war Monarchist und zweifelte zunächst an der Kompetenz des Gefreiten des Ersten Weltkrieges, und er war verunsichert wegen der antikapitalistischen Demagogie der NSDAP. Als aber die Entwicklung geklärt war, hat Krupp mit der »Adolf-Hitler-Spende der deutschen Wirtschaft« sofort die Initiative für die Hitler-Finanzierung ergriffen. Es profitierten auch die, die zunächst auf die Reichswehr oder die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) des ehemaligen Krupp-Direktors Hugenberg setzten.  

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Der Weg zum 30. Januar und 20. Februar

Zur Entlastung des Großkapitals wird heute gern angeführt: Die Industrielleneingabe von 1932 an Reichspräsident Hindenburg zugunsten Hitlers sei ohne Wirkung geblieben, erst nach dem 30. Januar 1933 seien die Industriellen auf die Gegebenheiten eingeschwenkt, vorher hätten sie die Zusammenarbeit mit der NSDAP verweigert. Tatsächlich aber standen für die Nazipartei wie für einzelne Nazis schon Jahre vor 1933 unzählige Finanztöpfe bereit.

Von der Eingabe an Hindenburg veröffentlichte Prof. Gustav Luntowski in einer Ausstellung des Dortmunder Stadtarchivs ein Begleitschreiben, mit dem die Herren Albert Vögler, Paul Reusch und Fritz Springorum unter dem Eingangsstempeldatum des Büros des Reichspräsidenten vom 22.11.1932 mitteilen, dass sie »voll und ganz auf dem Boden der Eingabe stehen«. Durch Otto Köhlers Recherche wissen wir von den gegenseitigen Hilfen von IG Farben und NSDAP im Sommer 1932, und Luntowski benennt einen wichtigen Deal aus dem Bereich der Schwerindustrie. Als Friedrich Flick – kein Mitglied der »Ruhrlade« – seine wertlos gewordenen Gelsenbergaktien weit überteuert an das Reich verkaufte und die Ruhrlade darin eine Bevorzugung Flicks durch die Regierung Brüning und ein Stück »Sozialisierung« sah, da konnte Flick auf die Zustimmung Görings und dann auch Hitlers verweisen, weil sonst ein deutsches Werk unter Umständen in polnische Hände geraten wäre.

Es wird bei Luntowski erkennbar, dass die Harzburger Front vom Oktober 1931, bestehend aus Nazis und Nationalisten aller Schattierungen, von Reusch und Co. begeistert aufgenommen wurde und die Rede des Reichsbankpräsidenten a.D. Hjalmar Schacht (»Möge der nationale Sturmwind, der durch Deutschland geht, nicht ermatten«) auch die Rede der Ruhrindustriellen war.

Die Ruhrlade vor dem 20. Februar 1933

Auf die »nationalsozialistischen Wirtschaftsideen« mit all ihrer antikapitalistischen Demagogie mussten sie jedoch noch mit »Vernunft« Einfluss nehmen. Reusch, Schacht und Vögler vereinbarten 1932, »erprobte Herren« einzustellen und zu bezahlen, um die Wirtschaftspolitik der Nazis »zu formen«. Dabei wussten die drei Herren nicht, dass Hitler bereits ein Jahr zuvor den badischen Chemiefabrikanten Wilhelm Keppler und dessen zahlungskräftige Freunde gewonnen hatte, ihre »wirtschaftspolitischen Anschauungen« auf die NSDAP wirken zu lassen. »Sie sollten zur Verfügung der Partei stehen, ›wenn wir zur Macht kommen‹.« Und sie standen alle zur Verfügung: 1932 beim Treffen im Düsseldorfer Industrieklub, am 4. Januar 1933 beim Bankier von Schröder in Köln und dann am 20. Februar 1933 in Berlin. Bereits im Dezember 1932 war in einem vertraulichen Bericht aus dem »Verein zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen in Rheinland und Westfalen« (Langnamverein) konstatiert worden, »dass fast die gesamte Industrie die Berufung Hitlers, gleichgültig unter welchen Umständen, wünscht«. [Gustav Luntowski, Hitler und die Herren an der Ruhr – Wirtschaftsmacht und Staatsmacht im Dritten Reich, Frankfurt am Main/Bern, 2000, S. 80]

Das wirtschaftspolitische und allgemeinpolitische Programm der »Ruhrlade« schrie geradezu nach einem Mann wie Hitler: Tarifverträge allenfalls im Betrieb, also nicht überbetrieblich, Beschränkung aller sozialen Ausgaben, Verringerung der Arbeitslosenunterstützung und »Kampf mit den Gewerkschaften mit aller Schärfe«, so Paul Reusch (Gutehoffnungshütte), der zusammen mit Albert Vögler (Vereinigte Stahlwerke) als Scharfmacher wirkte. Reusch wies im Jahre 1932 als Mitbesitzer die »Münchner Neusten Nachrichten« an, hinter dem NSDAP-Organ »Völkischer Beobachter« nicht sehr zurückzustehen, und erklärte namens des Aufsichtsrates die Pflege des »nationalen Gedankens« zur »vornehmsten Aufgabe des Blattes«. Seine Weisungen enthielten »die damals in konservativen Kreisen allgemein vertretenen Positionen« - so Luntowski -, als da waren: »Ein ›großdeutsches Reich‹ (Zusammenfassung aller geschlossen siedelnden Deutschen und Anschluss Deutsch-Österreichs), Bekämpfung des ›Systems von Versailles‹ und der ›Kriegsschuldlüge‹, Wiederherstellung der deutschen Wehrhoheit, Revision der Ostgrenzen (Korridorfrage), Ablehnung des demokratisch-parlamentarischen Systems von Weimar, schärfste Bekämpfung des Marxismus, Unantastbarkeit des Privateigentums usf.«.

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Zur Rolle der IG Farben

Aus einem Referat des viel zu früh verstorbene Manfred Demmer:

Die I.G. Farbenindustrie AG, kurz I.G. Farben, war das seinerzeit größte Chemieunternehmen der Welt mit Sitz in Frankfurt am Main, das 1926 aus einer Vielzahl von Chemieunternehmen gebildet wurde. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die I.G. Farben wegen der Verstrickungen mit dem NS-Regime aufgelöst. Dazu wurde die I.G. Farben wieder in eigenständige Firmen zerschlagen und der verbleibende Rest als Rechtsnachfolgerin in I.G. Farbenindustrie AG i. A. (I.G. Farben i.A; das i. A. steht für »in Abwicklung«) umbenannt. Trotz einer Insolvenz Ende des Jahres 2003 sind die Aktien der I.G. Farben i.A. auch im Jahr 2008 noch börsennotiert. Die Farbenfabrik Fried. Bayer, Leverkusen, deren Generaldirektor Carl Duisberg entscheidenden Anteil an der Gründung und der Expansionspolitik der I.G. hatte, fungierte als Hauptsitz der Betriebsgemeinschaft Niederrhein der I.G. Farben. 1926 war in Leuna mit der Herstellung von synthetischem Benzin begonnen worden. Es bestand die Gefahr, dass dies eine der größten Fehlinvestitionen werden würde, weil die Herstellungskosten immer höher waren als bei dem durch Erdöldestillation gewonnenen Benzin. Deshalb suchte im Sommer 1932 der I.G.-Direktor Heinrich Bütefisch den Kontakt zu den Nazis. Es kam zu einem Treffen mit Adolf Hitler in München. Hitler, der einige Monate zuvor im Industrieclub in Düsseldorf die Herren der Banken und der Industrie mit seinem Programm der Vernichtung der Arbeiterbewegung und des Strebens »nach Raum im Osten« begeistert hatte, machte ihm klar, dass er deutschen Treibstoff für ein politisch unabhängiges Deutschland und seine Kriegspläne für zwingend notwendig erachtete. Für Carl Bosch, Vorstandsvorsitzender der I.G., waren dies »vernünftige Ansichten«, die 1932 mit der höchsten Einzelspende der deutschen Industrie in Höhe von 400.000 Reichsmark für den Wahlkampf der Nazis honoriert wurden. Auf der I.G.-Farben-Generalversammlung Anfang Dezember 1932 stimmten die I.G.-Bosse dem Programm der »Agrarkartellierung« zu, einem Interessenkompromiss von Industrie und Großagrariern.

Auch dieser Entschluss des damals größten Konzerns Europas bereitete den Weg zur NS-Diktatur. Bei einem geheimen Treffen von Industriellen am 20. Februar 1933, eine Woche vor dem von den Nazis inszenierten Reichstagsbrand, der den brutalen, offenen Terror gegen die Arbeiterbewegung und kritische bürgerliche Demokraten einläutete, wurden insgesamt drei Millionen Reichsmark der NSDAP zur Verfügung gestellt, 400.000 Reichsmark stammten von den I.G. Farben. Als Dank schloss die »Regierung der nationalen Konzentration« mit der I.G. Farben einen Vertrag über Absatz und Mindestpreisgarantie für 350.000 Tonnen synthetisches Benzin und bewahrte so das Unternehmen vor insgesamt 300 Millionen Reichsmark Verlust.

Nahezu alle Direktoren der I.G. waren Mitglieder der Nazi-Partei. Die enge Beziehung zwischen Nazistaat und I.G. wurde auch in der Person des Aufsichtsratsvorsitzenden Carl Krauch deutlich, dem Direktor der rüstungswirtschaftlichen Kommandozentrale und Bevollmächtigten für Sonderfragen der chemischen Produktion. Die Aufsichtsratsmitglieder der I.G. nannten sich im internen Kreis »Der Rat der Götter«. Dieser nahm mit Freude zur Kenntnis, dass die I.G. zu einem der größten Unternehmen Europas wurde (rund 200 Werke in Deutschland, etwa 400 deutsche und 500 ausländische Beteiligungen.) Die I.G. riss sich auch »entjudete« (so der Düsseldorfer Nazi-Gauleiter Friedrich Karl Florian) Betriebe, wie z.B. des vormaligen Konkurrenten Aussiger Verein unter den Nagel. Während des von den Nazis begonnenen und von Industrie- und Bankbossen gewollten Krieges raubte  die I.G. Farben eine Reihe von Chemiewerken in den von der deutschen Wehrmacht überfallenen Ländern, wie die in jüdischem Besitz befindlichen Skoda-Werke Wetzler. Von den 43 Hauptprodukten der I.G. während des Krieges waren 28 Produkte von »rüstungswirtschaftlicher« Bedeutung.

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Krupp von Bohlen und Halbach

Am 20. Februar 1933 gab es ein Treffen von Hitler und Göring in Berlin mit der Spitze des Reichsverbandes der Deutschen Industrie (RDI). RDI-Vorsitzender war Krupp von Bohlen und Halbach. Hitler sagte u.a.: »Wir stehen jetzt vor der letzten Wahl. Sie mag ausgehen wie sie will ... Wenn die Wahl nicht entscheidet, muss die Entscheidung eben auf einem anderen Wege fallen ... oder es wird ein Kampf mit anderen Waffen geführt werden, der vielleicht größere Opfer fordert ...« Nach dieser offenen Darlegung seiner Putschpläne für den Fall einer Wahlniederlage spenden die 20 geladenen Industriellen für den Wahlkampf der Nationalsozialisten drei Mio. RM.

Gustav Krupp von Bohlen und Halbach fertigt abends eine Notiz über die Begegnung an: »Ruhe in der inneren Politik: keine weiteren Wahlen. ... Ermöglichung der Kapitalbildung. ... Dementsprechend Entlastung von Steuern und öffentlichen Lasten.« [Gustav Luntowski , a.a.O., S. 93]

Die Naziideologie enthält so gut wie keine konzeptionellen Gedanken, die nicht schon vorher in konservativen und deutschnationalen Ideologien der bürgerlichen Rechtsparteien enthalten gewesen wären. Rassismus, Antisemitismus, Antikommunismus gab es schon vorher. Mit Rosenbergs »Neuordnung des Ostraumes« und Hitlers »Lebensraum im Osten« sollte ein uralter Traum der Herrschenden in Deutschland verwirklicht werden. Dazu gehörte unbedingt die Vernichtung von Millionen »Untermenschen« durch die »Herrenrasse«.

Ob Kaiser-Wilhelm-Monarchie oder Hitler-Diktatur, die Krupps waren Förderer und Nutznießer und mitverantwortlich am Massenmord in zwei Weltkriegen. Inzwischen sind vielen Deutschen die Begriffe »Holocaust« und »Auschwitz« vertraut. Aber Auschwitz war nur durch Krieg möglich, d. h. der Weg nach Auschwitz musste erst durch die Naziwehrmacht mit Kruppschen Waffen bereitet werden, damit der Großkonzern seine Zünder-Fabrik von Häftlingen bauen und mit »Vernichtung durch Arbeit« bedienen konnte.

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Hugo Stinnes

Am 20. Februar 1933 nahm Hugo Stinnes teil – auch als Vorstandsmitglied des Reichsverbandes der Deutschen Industrie – am Geheimtreffen von 27 Industriellen mit Adolf Hitler und Hermann Göring in Berlin. Bei diesem Treffen wurden für den laufenden Wahlkampf zur Reichstagswahl am 5. März 1933 von der Creme der deutschen Industrie noch schnell mehr als drei Millionen Reichsmark für die NSDAP locker gemacht. Obwohl nach außen hin die Fassade des unpolitischen, nur an Wirtschaftsfragen interessierten Unternehmers aufrecht erhalten wurde, ist bekannt, dass Stinnes jun. sich nicht scheute, während der Besetzung Dänemarks mit dem Nazi-Statthalter Werner Best Geschäfte zu machen. Best war ein promovierter deutscher Jurist, Nazi, Polizeichef, SS-Obergruppenführer und ab 1942 deutscher Statthalter im besetzten Dänemark, wo er vehement für die »Endlösung der Judenfrage« eintrat.

Der nach der Befreiung in Dänemark zum Tode verurteilte Nazi-Verbrecher kam – nach deutscher Intervention zu seinen Gunsten – in die Bundesrepublik, wo er sofort aktiv an der Kampagne für eine Generalamnestie zugunsten von NS-Tätern mitwirkt. 1953 wurde er Direktoriumsmitglied und Justitiar bei der Hugo Stinnes Industrie- und Handels GmbH in Mülheim an der Ruhr. Als im Juli 1989 die Staatsanwaltschaft Düsseldorf endlich einen Antrag auf die Eröffnung eines Verfahrens gegen Best wegen Mordes an 8.723 Menschen stellte, war Best einige Wochen zuvor gestorben.

Dank des Mannes im Hintergrund mit Namen Hugo Stinnes jun. – dem auch Unterstützung anderer ehemaliger NS-Funktionäre nachgesagt wird – konnte Best unbehelligt als »Demokrat« in Erscheinung treten. Stinnes sei Dank!


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Zusammenfassung

Die VVN-BdA hat sich nun ans Werk gemacht, die Lücke zu schließen, die besteht, was die Rolle der Industrie in der Geschichtsschreibung zu 1933-1945 anbelangt.

Es wäre sehr fair, wenn die Medien über unser Buch »Von Arisierung bis Zwangsarbeit. Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr 1933-1945«, PapyRossa Verlag Köln 2012, berichteten.

Denn die Einflussnahme der Wirtschaft auf Wissenschaft und Publizistik mit dem Ziel, die Verbreitung von Tatsachen über den NS und die Wirtschaft zu verhindern, ist beträchtlich. Das geschieht einerseits durch Beharren auf die alleinseligmachende Darstellungsweise eines Henry A. Turner aus dem Jahr 1985, die aber durch andere Schriften aufgehoben ist, nicht nur durch unsere, sondern auch durch Luntowski „Hitler und die Herren von der Ruhr“, 2000, und Adam Tooze „Ökonomie der Zerstörung“, 2006. Wenn Turner schrieb: „Entspricht die weit verbreitete Ansicht, dass der Faschismus ein Produkt des modernen Kapitalismus ist, den Tatsachen, dann ist dieses System kaum zu verteidigen,“ so ist dies bezeichnend. Und so wird andererseits von den Verteidigern der konservativen Kräfte sogar der Verfassungsschutz bemüht, um antifaschistische Kapitalismuskritik auszuschalten.

Im Ruhrgebiet ist man sogar dazu übergegangen, aus Gedenkstätten die Aussagen über die Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945 herauszunehmen.

Die Hauptthese der Geschichtsschreibung a la Turner ist die, dass „die Wirtschaft“ erst nach dem 30. Januar 1933 sich notgedrungen mit dem NS und Hitler arrangierte und dass vorher keine wirklich bedeutenden Beziehungen, die dann zur „Machtergreifung“ führten, zwischen ihnen bestanden. Das wird durch Luntowski und Tooze widerlegt. Tooze lässt zudem deutlich werden, dass auch die neuaufgenommenen Beziehungen von Industrie und Kapital zum deutschen Faschismus aus der Zeit Januar 33 bis Juni 34 geeignet waren, das Regime entscheidend zu stärken, ja seine Existenz zu sichern. Industrie und Kapital hätten es auch nach dem 30. Januar 33 noch in der Hand gehabt, den Faschismus auszuschalten, wenn sie nur gewollt hätten. Sie wollten nicht, denn ihr politisches und ökonomisches Programm glich viel zu sehr dem der Nazis.

Es wird bei Turner gesagt, das Engagement der Großunternehmen beim Aufstieg des NS werde von der Geschichtswissenschaft der letzten Jahre als gering eingestuft. In den allerletzten Jahren ist das nicht mehr so. Ich verweise auf Adam Tooze. Dieser britische Historiker schrieb das Buch »Ökonomie der Zerstörung« über die enge Kooperation der deutschen Industrie mit Hitler. Das entlockte dem Bielefelder Historiker Hans-Ulrich Wehler eine begeisterte Rezension (»außergewöhnliche Forschungs- und Interpretationsleistung«, über Adam Tooze: Ökonomie der Zerstörung. Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus, Siedler Verlag, München 2007, 927 S., 44 Euro) Wehler: »Die westdeutsche Zeitgeschichte hatte bisher ebenso wenig wie die westeuropäische oder amerikanische Forschung ein solches Werk hervorgebracht, das sich auf der Höhe des gegenwärtigen Kenntnisstandes und Reflexionsniveaus bewegt.«

Die Schwerindustrie wollte die Abschaffung der Demokratie und der Linken

Ich verweise auf Seite 129 bei Tooze über das wenig bekannte „Spenden-Rendezvous“ Hitlers mit der Schwerindustrie drei Wochen nach der Machtübergabe in Görings Reichtagspräsidentenpalais: »Einmal ganz abgesehen von den Folgen, zählt dieses Treffen vom 20. Februar [1933] zu den berüchtigtsten Beispielen für die Bereitschaft des deutschen Großunternehmertums, Hitler bei der Aufstellung seines diktatorischen Regimes beizustehen.“ ... „Krupp und Konsorten (wurden) von Hitler nie gezwungen, sich seinem gewalttätigen Antisemitismus oder sich seinen Eroberungsplänen anzuschließen.« Entscheidend war das, was Hitler den Industriellen versprochen und schließlich auch durchgesetzt hatte: »das Ende der parlamentarischen Demokratie und die Vernichtung der deutschen Linken« (S. 129).

Tooze eindeutig: »Und für genau dieses Versprechen leistete ein hoher Prozentsatz der deutschen Großindustrie gerne eine gehörige Anzahlung« (ebd.). Allein bei diesem Treffen waren es drei Millionen Reichsmark für den Fonds zur Wahl im März, die – das war korrekt versprochen – nun wirklich die letzte sein sollte. Der britische Historiker: »Krupp und Konsorten waren willige Partner bei der Vernichtung des politischen Pluralismus in Deutschland« (ebd.). Tooze: »Faktisch aber waren es die Spenden vom Februar und März 1933 gewesen, die einen wirklich entscheidenden Beitrag leisteten. Denn sie waren für die Partei just in dem Moment eine kräftige Finanzspritze, als die ungemein knapp bei Kasse war und, wie Göring so richtig vorausgesagt hatte, vor der letzten Wahl ihrer Geschichte stand.«

Am Ende seines Buches stellte Tooze die Frage, warum die Lobby der deutschen »Privatwirtschaft« dann den »drastischen Eingriff der Staatsmacht nach 1933« überhaupt tolerierte, immerhin habe doch das Großunternehmertum zuvor das »Reformstreben« der Weimarer Republik noch massiv behindert (S. 757). Tooze: Zwar widersprach die »autokratische nationalsozialistische Wende« deutlich der »internationalen Agenda« – den Exportinteressen –, die die deutsche Privatwirtschaft pflegte, doch der »autoritäre Stil«, den Hitlers Koalition in der Innenpolitik pflegte, »gefiel ihr dafür ausnehmend gut, nicht weniger gut als die gesunden Profite, die seit Mitte der dreißiger Jahre auf sie zurollten« (ebd.).

Wer an das Dogma glaubt, daß die Unterstützung der Großindustrie für Hitler ein »Mythos« sei, dem macht Tooze deutlich, daß sie sich 1933 »dem politischen Wandel nicht entgegen [stellte], wie während der ersten Revolution in Deutschland 1918/19, sondern sich Hitlers ›Nationaler Revolution‹ in vielen entscheidenden Punkten als willfähriger Partner« anbot (S. 166). Selbst an privatwirtschaftlichen Schauplätzen, wo man eigentlich »etwas Widerstand« erwartet hätte, stießen die Vertreter der Nazipolitik, schreibt der Autor in seiner »Ökonomie der Zerstörung«, auf  »bereitwillige Kollaborateure«. Ob Autarkieprogramm, die Aufrüstung oder sogar die große Zahl neuer Überwachungsbehörden – »alles fand den Beifall und die tatkräftige Unterstützung von erfahrenen Firmenchefs, deren Fachwissen dem Regime mit freundlicher Genehmigung der gesamten deutschen Industrie zur Verfügung gestellt wurde« (ebd.).

Es trifft zu, dass in der historischen Literatur die Treffen Hitlers und seiner Leute, wozu ab Dezember 1932 zweifellos auch Papen gehörte, mit der Großindustrie, vernachlässigt werden. Das Treffen am 20. Februar 1933 weniger, das Treffen am 7. Januar in Dortmund mehr. Die Teilnehmer dieser Treffen waren zumeist nach 1945 wieder aufgestiegen und es war nicht üblich, ihnen Vorhaltungen zu machen. Aber das ändert nichts an den Tatsachen.

Ulrich Sander