01.11.2010
»Denkwürdiges Datum«
Vor 75 Jahren hielt Adolf
Hitler in Düsseldorf eine programmatische Rede vor 600 führenden
Vertretern des Industrie- und Bankkapitals. Sie wurde beifällig
aufgenommen
Von Kurt Pätzold
Dani Levy, der Regisseur des Hitler-Klamauks, der gegenwärtig
hierzulande in Kinos zu sehen ist, hat in einem Interview sich
erinnert, daß ihm dereinst von dem Mann und seinen Beziehungen zur
Wirtschaft gesprochen wurde. Daran, so war seinen Worten zu
entnehmen, entsann er sich wie an eine Einladung auf einen geistigen
Abweg.
Seit langem schon gilt im Geschichtsbewußtsein hierzulande die
Erörterung der Beziehungen zwischen der deutschen Bourgeoisie,
namentlich der großen Herren der Banken und der Industrie, zur
Hitlerpartei und zur faschistischen Diktatur als ein zu
vernachlässigendes Thema. Eine Marotte der Marxisten. Es wurde
weitgehend verdrängt von der Aufhellung des Verhaltens der
Volksmassen zum Naziregime. Auch damit ist die Forschung nicht zu
einem Ende gekommen. Doch bleibt es dabei, daß der NSDAP-Führer
nicht durch ein Volksvotum in die Reichskanzlei gelangte, sondern
durch eine Intrige. In ihr haben Mächtige der deutschen Wirtschaft
eine entscheidende Rolle gespielt, und diese Tatsache bot 1945 kein
Thema für einen Streit.
Helfer Hitler
Einer der an der Zerschlagung der Republik führend Beteiligten,
der Bankier Kurt Freiherr von Schröder, das charakterisierte die
Situation, verlegte sich in Internierungshaft gegenüber den ihn
vernehmenden britischen und US-amerikanischen Fahndern, die im
Kölner Bankhaus einschlägige Dokumente gefunden hatten, die
später dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal vorgelegt wurden,
gar nicht aufs Leugnen. Er suchte den Männern zu erklären, wie er
und mit ihm andere seiner Kreise auf diesen Favoriten verfielen. Das
hätten Kommunisten bewirkt, deren Diktatur drohte. Und also sei zum
einzig verfügbaren Mittel gegriffen worden, daß Abhilfe schaffen
konnte. Müßten die Sieger aus dem mächtigsten unter den
kapitalistischen Staaten das nicht verstehen? Die Version war nicht
neu und nicht nachträglich erfunden. Im Oktober 1931 hatte in New
York vor einem Klub der Reichen der Großindustrielle Carl Friedrich
von Siemens bei einem Frühstück einen Vortrag gehalten, in dem er
Hitler als Schutz vor dem Kommunismus kennzeichnete und
Befürchtungen seiner Gastgeber im Hinblick auf die Politik des
NSDAP-Führers zu zerstreuen trachtete.
Verstanden hatte dieses ihm bezeugte Interesse vor allem Hitler
selbst. Nicht ein Putsch, das war die Lehre aus dem gescheiterten
Staatsstreich vom 8./9. November 1923, würde ihn an die Staatsmacht
bringen und auch nicht die Masse seiner Anhänger. Die stellten sein
politisches Kapital dar, mit dem sich wuchern ließ. Denn gesucht
wurde ein Ersatz für die schwindende Massenbasis der
kapitalistischen Gesellschaft. Hitler bot eine an. Das bewirkte die
»Neugier«, die Führer der deutschen Wirtschaft – der
herausragende war der Aufsichtsratsvorsitzende der Vereinigten
Stahlwerke Fritz Thyssen – bewegte, Hitler am 26. Januar 1932 in
ihren exklusiven Düsseldorfer Industriellen-Club im Parkhotel zu
laden, damit er ihnen seine politischen und Wirtschaftspläne
entwickelte, genauer als vor seiner Gefolgschaft, die mit Phrasen
vom Nationalsozialismus abgefüttert und aufgepulvert wurde.
Das bedeutete nicht, daß in der zweieinhalbstündigen Rede ein
Konzept entwickelt worden wäre, das geheimgehalten werden mußte.
Eine Veranstaltung mit Hunderten Teilnehmern war, anders als die
voraufgegangenen und nachfolgenden Beratungen Hitlers mit
einflußstarken Kapitalisten, ohnehin nicht zu verbergen. Die
Zusammenkunft war zudem bereits vorher bekanntgeworden und hatte vor
dem Hotel zu Protestdemonstrationen von Kommunisten und anderen
Gegnern geführt, gegen die Polizei einschritt und auch mit
Verhaftungen eingriff. Der Münchener Verlag der NSDAP druckte die
Rede Hitlers bald, wobei er darauf vertrauen konnte, daß die
Braununiformierten ohnehin zumeist nicht zu den Lesern
umfangreicherer Texte zählten. Doch selbst dann hätten sie nichts
entdecken können, was sie gegen ihr Idol aufgebracht haben würde.
Freilich: Vom Sozialismus der Deutschen war da nicht weiter geredet
worden. Doch davon, daß die Demokratie, und d.h. die
republikanische Staatsform, weg und ein anderer Staat her müsse,
der »Marxismus« auszurotten sei und Deutschland und seine
Wirtschaft wieder aufsteigen sollen. Auch Formulierungen wie die vom
Vorrecht der »weißen« Rasse (nicht der »germanischen« –
sicher ein verbales Zugeständnis an das traditionelle
Kolonialdenken seiner Zuhörer) und vom Lebensraum waren gefallen.
Kein seriöses Geschichtsbuch kann heute noch das Stattfinden
dieses Treffens ignorieren und über seine Inhalte hinweggehen.
Also: Alles geklärt? Mitnichten. Es wird, so etwa in der
verbreiteten dickleibigen Reihe »Die Deutschen und ihre Nation«,
beim Verweis auf die Übereinstimmung zwischen Hitler und seiner
betuchten Zuhörerschaft einzig auf den Beifall verwiesen, den der
Redner mit seiner Kampfansage gegen Gewerkschaften und »Marxisten«
erhielt. Wer wollte nicht verstehen, daß »Arbeitgeber« nicht
Freunde der Gewerkschaften sein konnten?
Doch ist das eine beschönigende Verkürzung. Hitler offerierte
den Herren die Zerschlagung der Demokratie, die Liquidierung der
Republik, die Errichtung eines »autoritären« Staates. Und sie
applaudierten. Das »denkwürdige Datum« – so der Pressechef der
NSDAP wenig später über die Bedeutung des Treffens für den
Aufstieg seiner Partei – demonstrierte, daß das Verhältnis der
wirtschaftlichen Elite zur Staatsform keine Frage von Überzeugung,
sondern von Tauglichkeit war. 1919 taugte die bürgerliche
Demokratie als Rettungsplattform, 1932 erschien die bürgerliche
Diktatur als die geeignete. Und obwohl Hitler sich zu Fragen der
Außenpolitik nicht konkret äußerte, aus Rücksicht auf die
momentanen Interessen der Herrschenden, denn diplomatisch wurde um
die weitere Demontage des Versailler Vertrages gekuhhandelt, war den
Anwesenden bekannt, daß das neue Regime auch eine neue Etappe in
der Revision der Ergebnisse des Ersten Weltkrieges eröffnen
sollte.
Keine Sühne
Jedoch 1945: Tätigkeit und Beihilfe zur Liquidierung einer
demokratischen Republik war nach den Grundsätzen der Siegermächte
strafrechtlich nicht zu ahnden. Es sei denn, sie wären von
vornherein in verschwörerischer Absicht geschehen, auf einen Krieg
Deutschlands zur Korrektur der Ergebnisse von 1918/19 hinzusteuern.
Das nachzuweisen, fiel dem Gerichtshof schon für »alte Kämpfer«
wie Hermann Göring nicht leicht. So kamen alle, abgesehen von mehr
oder weniger langer Internierung, glimpflich davon. Der Bankier
Hjalmar Schacht, aus der ersten Reihe der großbürgerlichen
Steigbügelhalter Hitlers, Angeklagter im
Hauptkriegsverbrecherprozeß, wurde freigesprochen. Der Bankier von
Schröder erhielt von einem Bielefelder Spruchgericht 1947 eine
Haftstrafe von drei Monaten und eine Geldbuße zugesprochen, um
deren Höhe danach lange gefeilscht wurde. Thyssen hatte sich mit
den Naziführern überworfen, floh 1939 ins Ausland, wurde in
Südfrankreich verhaftet, kam, die längste Zeit unter
Sonderbedingungen, in deutsche Konzentrationslager, von da in
Internierungshaft der Alliierten und wurde schließlich als
minderbelastet eingestuft. Und an Carl Friedrich von Siemens, der
als Gast am Hudson River für Hitler als verläßlichen Mann
gesprochen hatte, erinnert u. a. der Name einer Schule im Berliner
Westen. Und Robert Lehr, Oberbürgermeister Düsseldorfs, Politiker
der Deutschnationalen Volkspartei und Clubmitglied, der Hitler an
jenem Abend begrüßt hatte, ohne daß ihm das nach 1933 gelohnt
worden wäre – zeitweilig kam er in ein KZ –, wurde im Kabinett
Adenauer Bundesinnenminister.
Quellentext Das deutsche Großkapital – Hitlers
Steigbügelhalter
Am 10. Januar 1946 trug Leutnant Brady O. Bryson, Hilfsankläger
für die USA, im Nürnberger Justizpalast die Anklage gegen Hjalmar
Schacht, den einstigen Präsidenten der Reichsbank und
Reichswirtschaftsminister in der Hitlerregierung, vor. Zuerst
zitierte er aus einer Aussage Schachts während eines Verhörs am
20. Juli 1945 über dessen erstes Zusammentreffen mit Hitler Anfang
1931 im Hause Hermann Görings. »Frage: Welchen Eindruck hatten Sie
am Schluß des Abends? Antwort: Ich war der Ansicht, daß Hitler ein
Mann wäre, mit dem man zusammenarbeiten könnte.« Im weiteren
verwies Bryson auf einen Eintrag aus dem Tagebuch von Josef
Goebbels vom 21. November 1932: »In einer Unterredung mit Dr.
Schacht stelle ich fest, daß er absolut unseren Standpunkt
vertritt. Er ist einer der wenigen, die ganz konsequent zum Führer
stehen.« Dann wandte sich der Ankläger an Schacht: »Frage: Was
ich sagen wollte, um es kurz zu machen, haben Sie das Prestige Ihres
Namens hergegeben, um Hitler zur Machtübernahme zu verhelfen?
Antwort: Ich habe öffentlich bekanntgegeben, daß meiner Ansicht
nach Hitler zur Macht kommen würde, und zwar zum erstenmal, wenn
ich mich recht erinnere, im November 1932. Frage: Und Sie wissen,
oder Sie wissen es vielleicht nicht, daß Goebbels in seinem
Tagebuch mit großer Anteilnahme berichtet über ... Antwort: Ja.
Frage: Die Hilfe, die Sie ihm damals gewährt haben? Antwort: Ja,
ich weiß das. Frage: November 1932? Antwort: Vom Kaiserhof zur
Reichskanzlei und zurück. Frage: Das ist richtig, haben Sie das
gelesen? Antwort: Ja. Frage: Und Sie leugnen nicht ab, daß Goebbels
recht hatte? Antwort: Ich glaube, sein Eindruck war damals
richtig.«
Zitate aus: Der Nürnberger Prozeß, Bd. 5, S. 139/140 Mit
freundlicher Genehmigung der jungen
Welt vom 27.01.2007.
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