25.05.2010
Vom Staubsauger zur Flak - Steigerung des Profits
mit allen Mitteln
Vorwerk & Co. Wuppertal
von Sebastian Schröder (27.4.2009)
"Vorwerk ist seit seiner Gründung 1883 ein Unternehmen in
Familienbesitz. Denken und Handeln in langfristigen Zusammenhängen
hat bei uns Tradition. So treffen wir unsere Entscheidungen und
tätigen Investitionen. Unsere Verantwortung umfasst auch das
Engagement für unsere MitarbeiterInnen und im gesellschaftlichen
Umfeld." Zitat Firmenseite
30.4.1945 - (...) Wäre das Ausländerpack nur endlich
weg.(...)
9.5.1945 - Unsere Russen werden heute oder morgen von den
Amerikanern abtransportiert in ein großes Auffanglager in der
Kolmar-Kaserne am Lichtscheid. Man hat ihnen erzählt, dort würden
sie besser verpflegt - das hat bei den Männern sofort gezogen, die
Frauen aber seien skeptisch geblieben, was nicht gegen ihre
Intelligenz spricht. Aber wir sind sie wenigstens los, und damit
eine der größten Sorgen.
26.5.1945 - (...) Wir möchten sie nur noch von hinten sehen,
es sei denn, dass unsere Autorität über sie wieder hergestellt
wird.
Zitate aus dem Tagebuch von Erich Mittelsten Scheid zur Lage der
von Vorwerk in Wuppertal.
Die Firma Vorwerk & Co. mit Sitz in Wuppertal ist heute ein
multinationaler Konzern, der auf den Gebieten Haushaltsgeräte,
Kosmetika, Teppichproduktion, Banktätigkeit (mit eigener
Bankengruppe) und Gebäudedienste tätig ist. Hat auch diese
deutsche Firma - wie unzählige andere- von Faschismus und Krieg
profitiert? Die Eigentümer von Vorwerk -August Mittelsten Scheid
und seine Söhne Erich und Werner- waren und davor keine Wegbereiter
des Faschismus. Beide Brüder sind aber 1933 in die NSDAP
eingetreten, während sich gleichzeitig der Vater aus Funktionen in
Wirtschaftsverbänden zurück gezogen hat. Erich war ein
Studienbekannter von Albert Speer. Persönliche Verstrickungen der
Familie Mittelsten Scheid sind nicht weiter bekannt. Über den
politischen und gewerkschaftlichen Organisationsgrad der
Arbeiterschaft vor und nach 1933 gibt es keine Aussagen, auch nicht
über ihr Verhältnis zur Firmenleitung.
Es gilt festzustellen: Hier ist ein typisches mittelständisches
Unternehmen, das sich in die Rüstungsproduktion integrieren ließ
ohne jede moralische Bedenken.
Vorwerk war vor 1939 eine Firma mittlerer Größe, die
ausschließlich Konsumgüter herstellte (elektronische
Haushaltsgeräte, Teppiche, Textilien für Möbel). Das bekannteste
Produkt war der Staubsauger Kobold, der auch heute noch u.a. per
Direktvertrieb verkauft wird.
Mit Kriegsbeginn wurde die Konsumgüterproduktion komplett auf
Rüstung umgestellt und der Einsatz von ZwangsarbeiterInnen
permanent gesteigert. Die Rüstungsgüterpalette bestand aus der
Getriebeproduktion für Scheinwerfer und Geschütze, der Produktion
elektrischer feinmechanischer Bauteile für Siemens und Lorenz, der
Herstellung von Munitionshülsen und Bombenkörpern und der
Reparatur von Panzerketten. Herausragende Bedeutung hatte das
Flak-Instrument "Re 1" (Ringfeld Empfängersystem), hier
war Vorwerk der größte Hersteller in Deutschland. Die Firma
errichtete zudem ein Zweigwerk im "Mustergau
Litzmannstadt" (Lodz) im "Warthegau" zur Steigerung
der Produktion des Re 1. Dort wurde nur das Flak-Instrument
hergestellt.
1944 wurde die Verlagerung des Werkes nach Wipperfürth
veranlasst, so dass dieses notwendige Bauteil bis kurz vor
Kriegsende von Vorwerk geliefert werden konnte. Hilfreich waren bei
der Verlagerung der gesamten Fabrik die hervorragenden Beziehungen
zu Rüstungsminister Albert Speer.
Die Ausweitung der Produktion war nur möglich durch den massiven
Einsatz von ZwangsarbeiterInnen aus der SU und aus Polen (ein
geringer Teil kam aus Frankreich, Holland, Italien und Belgien). Im
Juli 1944 wurde mit 638 ZwangsarbeiterInnen (173 Männer und 465
Frauen) der Höchststand erreicht. Da aber Zahlen zur Gruppe
deutscher Beschäftigter fehlen, kann der Anteil der
ZwangsarbeiterInnen an der Gesamtbelegschaft nicht ermittelt werden.
Es ist davon auszugehen, dass der Anteil ausländischer
ZwangsarbeiterInnen mindestens 60 Prozent betrug, was sogar
innerhalb der Rüstungsindustrie einen Spitzenwert darstellte.
In Wuppertal waren die meisten ZwangsarbeiterInnen im
firmeneigenen Lager von Vorwerk "Am Diek" untergebracht.
Daneben wurden Häftlingsarbeiter aus dem Zuchthaus
Lüttringhausen zur Arbeit für Vorwerk gezwungen.
Walter Kuchta, VVN-Kreisvorsitzender von Köln, saß wegen
"Hochverrat" in der Haftanstalt Remscheid-Lüttringhausen.
"Von Oktober 1942 bis April 1943 war ich bei einem Kommando des
Zuchthauses Remscheid-Lüttringhausen zum Arbeitseinsatz bei der
"Bergischen Stahlindustrie" B.S.I. in Remscheid
eingesetzt.(1)
Wir hatten 12 Stunden Arbeitszeit in Morgen und Nachtschicht.
(...) Die Produktion bestand in der Endfertigstellung von leichten
und schweren Rädern für Panzer-Abwehrgeschütze. Die Radfelgen mit
Gummilaufflächen lieferte die Firma Vorwerk aus Wuppertal" (Es
handelt sich wahrscheinlich um Vorwerk und Sohn, gegründet vom
Bruder des Firmengründers von Vorwerk & Co, Anmerkung des
Autors). "(...) 90-95 % der Arbeitskräfte stellte unser
Zuchthaus-Kommando, der größere Teil waren Deutsche, mehrfach
Vorbestrafte, kleine Diebe und Betrüger. Fünf deutsche Kommunisten
und zehn holländische Widerstandskämpfer (...) gehörten ebenfalls
zum Kommando. (...) Von einigen wenigen Häftlingen wurde
unauffällige Sabotage verübt" (Bericht Walter Kuchta:
Sabotage in der Rüstungs-Industrie). Dabei handelte es sich sowohl
um den übermäßigen Verschleiß von Hilfsmitteln und Komponenten
als auch um die Zerstörung von Werkzeug und Maschinen bis hin zu
einer kompletten Drehbank.
Die Verschleppung der Polin Jadwiga B. aus Lodz ist dokumentiert.
Sie wurde im Mai 1942 auf der Straße angehalten, zum Arbeitsamt
gebracht und zwei Wochen in einer Fabrik inhaftiert. Auf Anweisung
einer Vorwerk-Mitarbeiterin wurde sie dann zusammen mit etwa 20
anderen Polinnen ins Vorwerk-Werk Wuppertal gebracht, wo sie bis
Mitte Oktober 1942 Zwangsarbeit leisten musste.
Eine Anekdote: um die Organisation des Direktvertriebs aufrecht
zu erhalten wurden durch die vormaligen Staubsaugervertreter die
Bilderserien "Der Führer", "Der
Reichsmarschall" und "Friedrich der Große" an
Haustüren verkauft. Nach einem Streit mit NS-Kulturbehörden musste
der Verkauf zwar 1943 eingestellt werden, dieses Detail ist aber
trotzdem bezeichnend für die konkrete Nähe zum Faschismus.
Letztlich kam das Unternehmen mit einem vergrößerten und
modernisierten Maschinenpark aus dem Krieg, der durch die
ZwangsarbeiterInnen geschaffen wurde. Die Sachinvestitionen in
Maschinen (sichtbar als Abschreibungen) lagen 1940-45 signifikant
über den angegebenen Gewinnen.
Als im Rahmen der Debatte um die Entschädigung der
ZwangsarbeiterInnen die Verwicklungen deutscher Firmen erforscht
wurden, hat Vorwerk eine umfangreiche Untersuchung erstellen lassen
mit der Intention, sich von jeder Schuld rein zu waschen.(2)
Der Zwangsarbeitereinsatz bei Vorwerk wird in der Studie an
verschiedenen Stellen schön gefärbt, obwohl zugegeben werden muss:
"Letztlich kann man aufgrund der spärlichen Überlieferung
keine sichere Bewertung über die Behandlung ausländischer
Arbeitskräfte bei Vorwerk & Co. vornehmen" (B/S 158).(3)
Die allgemeine Situation der insgesamt etwa 30.000
ZwangsarbeiterInnen in Wuppertal war für die übergroße Mehrheit
gekennzeichnet durch unzureichende Ernährung, überlange
Arbeitszeiten, gesundheitsgefährdende Tätigkeiten,
Zusammenpferchung in unhygienischen Lagern mit grausamer Bewachung,
ständige Strafandrohungen bis hin zur Todesstrafe
("Sonderbehandlung"), Gefahr der Einlieferung in ein KZ
oder ein "Arbeitserziehungslager" der Gestapo. Schwangere
Frauen wurden zur Abtreibung gezwungen oder es wurden ihnen die
Neugeborenen weggenommen und in "Säuglingsheime"
gebracht, wo sie häufig starben.
Vorwerk hat selbst in hohem Maße vom Einsatz der
ZwangsarbeiterInnen profitiert und war somit Teil dieses
menschenverachtenden Systems der Ausbeutung, das auch in Wuppertal
geherrscht hat.
Eine Voraussetzung für den Aufstieg zum multinationalen Konzern
war die Akkumulation durch die Produktion von Rüstungsgütern,
basierend auf dem Einsatz von ZwangsarbeiterInnen.
"Nur dieser Markt, den Vorwerk so geschickt bediente, war
der Markt für die Erfordernisse des Raubkrieges. Das Geschäft mit
den Rüstungsgütern, die "Beschäftigung von
Fremdarbeitern" und die daraus resultierenden
"unternehmerischen Gewinne" waren eng verbunden mit den
Vernichtungskriegen der deutschen Wehrmacht, mit dem Wüten der
Einsatzgruppen, mit der Versklavung von Millionen Zwangsarbeitern
und Kriegsgefangenen und mit den Ermordeten in den Gaskammern von
Auschwitz, Belzec und Treblinka" (N/S 18).
Sich seiner Geschichte nicht zu stellen, ist ein weiteres
Verbrechen von Vorwerk & Co. an den ZwangsarbeiterInnen, das in
die Gegenwart reicht.
Literatur:
Bericht Walter Kuchta, Köln: Sabotage in der
Rüstungs-Industrie, Archiv der VVN/BdA NRW
Battenfeld, Beate / Speer, Florian: Vorwerk & Co. und seine
Arbeiter im Zweiten Weltkrieg. Herausgegeben von Vorwerk & Co,
Wuppertal 2000
Meyer-Kahrweg, Ruth: Fremdarbeiter und Kriegsgefangene in
Wuppertal 1939 bis 1945, in: Goebel, Klaus (Hg.): Wuppertal in der
Zeit des Nationalsozialismus, Wuppertal 1984
Nelles, Dieter / Stracke, Stephan: Zwangsarbeit in Wuppertal; in:
Albel, Ulla / Bhatia, Lieselotte / Nelles, Dieter / Stracke,
Stephan: "Wir haben dort unsere besten Jahre verbracht".
Aspekte der Zwangsarbeit in Wuppertal, Bocholt 2001
Podewin, Norbert (Hrsg.): Braunbuch, Kriegs- und Naziverbrecher
in der Bundesrepublik und in Berlin (West), Reprint der Ausgabe 1968
(3.Auflage), Berlin
(1) Mittlerweile gehört diese Firma zum französischen Konzern
Faiveley und hat 2007 den Standort Remscheid aufgegeben. In der
Nachkriegszeit wurde dort ein Kriegsverbrecher ins Management
geholt: "Rohland, Walter, Dr.-Ing.;vor 1945:
Wehrwirtschaftsführer; Leiter des Hauptausschusses Panzerwagen beim
Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion; Geschäftsführer
des Industrierates des Oberkommando des Heeres; Vorstand der
Vereinigten Stahlwerke AG, Düsseldorf; nach 1945: Stand auf der
amerikanischen Kriegsverbrecherliste; Mitinhaber der Stahlwerk
Mannheim AG, Mannheim-Rheinau, und weitere Aufsichtsratsitze im
Thyssen-Konzern; Beirat der Bergischen Stahl-Industrie,
Remscheid" (Podewin 59).
(2) Dort wird behauptet, dass der Großteil der Profite durch den
NS-Staat abgeschöpft wurden. Außerdem seien die Firmen in der
Frage der Behandlung der ZwangsarbeiterInnen sehr stark an die
Vorgaben des Staates gebunden gewesen, so dass kaum Schuld bei den
Unternehmen liege. Siehe dazu die Erwiderung von D. Nelles und S.
Stracke (2001). Sie weisen in ihrer fundierten Kritik auf
historische und methodische Auslassungen und Fehler in diesen
Argumenten hin.
(3) Trotz der vermeidlichen Unschuld hat Vorwerk im Jahr 2000
zwei Millionen DM an die Stiftungsinitiative der deutschen
Wirtschaft zur Entschädigung der Zwangsarbeiter überwiesen.
|