Heartfield: "Millionen stehen hinter Hitler"

Rallye „Spurensuche Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945“

Ein Projekt der VVN/BdA NRW

 

07.11.09

Verbrechen der Wirtschaft: 

Dr. Oetker (Bielefeld)

Von Toni Kalverbenden (März 2009)

"Arisierung" des Eigentums von Juden

Die Rolle des 1891 gegründeten Bielefelder Backpulver- und Pudding-Konzerns Dr. Oetker in der Nazizeit ist eng mit dem Namen Richard Kaselowsky (1888-1944) verbunden. Der Bielefelder Unternehmer Kaselowsky stammte aus einer eingesessenen Industriellenfamilie: Sein Großonkel Ferdinand Kaselowsky hatte 1855 als Ingenieur die Ravensberger Spinnerei in Bielefeld gegründet. Seine Mutter stammte aus der Bielefelder Textildynastie Delius. Vor dem Ersten Weltkrieg hatte er Rudolf Oetker kennen gelernt, den Sohn des Firmengründers August Oetker. Rudolf Oetker kam als Soldat 1916 bei Verdun ums Leben. 1918 starb der Firmengründer und verfügte, dass sein Werk später an seinen zweijährigen Enkelsohn Rudolf-August übergehen solle. Kaselowsky, der zuvor ein unstetes Leben geführt hatte - zeitweise versuchte er sein Glück sogar als Hühnerzüchter - schloss sich der Familie seines toten Freundes an und heiratete im Sommer 1919 dessen Witwe Ida, wurde damit zum Stiefvater des Firmenerben Rudolf-August Oetker (1916-2007).

Indessen stand das Unternehmen 1920 plötzlich auf Messers Schneide. Im Krieg und auch noch in der Nachkriegszeit war das Geschäft mit Backpulver hervorragend gelaufen. Eines der Bestandteile war Weinstein. Diesen knappen Rohstoff bezog Oetker über die Chemische Fabrik Goldenberg aus den USA. Oetker hatte große Mengen davon bestellt, als plötzlich die Nachfrage nach Backpulver zusammenbrach. Die Lager waren voll, und der Lieferant forderte sein Geld, das Oetker nicht hatte.1 Goldenberg drohte, seine Kredite fällig zu stellen und Oetker in den Konkurs zu treiben, falls ihm nicht eine Mehrheitsbeteiligung an Oetker überschrieben werde. Kaselowsky, der soeben die Geschäftsführung übernommen hatte, handelte mit den Gläubigern einen Deal aus, der letztlich eine Wette war: Die Firmenleitung versprach, enorme Summen zu zahlen - und hoffte darauf, dass die galoppierende Inflation die Last mildern würde. Dieses Kalkül ging auf; die Inflation dauerte für diesen Zweck noch gerade lange genug an. Der Oetker-Clan gehörte also wie Stinnes, Flick und Otto Wolff zu den Gewinnern der großen Inflation von 1920-23. 1923 tauchte plötzlich ein Konkurrent des Lieferanten Goldenberg auf, die Chemische Fabrik Budenheim, gegründet vermutlich von früheren Goldenberg-Angestellten mit Hilfe des Oetker-Managements.

1941 stellte Kaselowsky auf einer Festveranstaltung unter Hakenkreuzfahnen dieser Episode nachträglich als antisemitischen Abwehrkampf dar: Man habe damals die Unabhängigkeit der Firma verteidigen müssen "gegenüber jüdischen Rohstofflieferanten, die es verstanden hatten, sich während des Krieges Einfluss zu verschaffen".2

Regelrechte "Arisierungen" gab es wohl im Umfeld des Bielefelder Druck- und Verlagshauses Gundlach AG, an dem die Familie Oetker 1925 die Mehrheit übernommen hatte.3 Gundlach produzierte für Oetker Verpackungen - unter anderem die berühmten "Backin"-Tüten -, verlegte Bücher und Fachzeitschriften und seit 1900 eine bürgerlich-liberale Tageszeitung, den Bielefelder General-Anzeiger, der seit 1918 "Westfälische Neueste Nachrichten (WNN)" hieß. Es war die größte Tageszeitung am Platze und behielt diese Rolle auch nach 1933 mitsamt einem florierenden Anzeigengeschäft, während sich das parteieigene "NS-Volksblatt für Westfalen" dagegen nicht durchsetzen konnte. Das war den lokalen Nazis ein Dorn im Auge. Die WNN schwenkte 1933 sofort auf Nazikurs und hetzte z. B. im April 1933 anlässlich des von den Nazis ausgerufenen Judenboykotts gegen einen Bielefelder Rechtsanwalt jüdischer Konfession. Die Nazipartei bis hin zu Gauleiter Alfred Meyer und Hitlers Stellvertreter Rudolf Hess verlangte von Gundlach eine Fusion der WNN mit dem "NS-Volksblatt". Der Gundlach-Aufsichtsrat sträubte sich zunächst dagegen, weil er das lukrative Anzeigengeschäft nicht aufgeben wollte. Der Aufsichtsratsvorsitzende Richard Kaselowsky indes, der am 1. Mai 1933 der Nazipartei beigetreten war, setzte im August 1935 durch, dass die WNN faktisch an die Nazipartei übergeben wurden. Sie fusionierten mit dem "NS-Volksblatt" und erschienen weiterhin unter dem alten Namen WNN. Gundlach behielt bis 1940 eine Minderheitsbeteiligung an der Zeitung. Wahrscheinlich wurde Gundlach eine Entschädigung durch "arisierte" Verlage aus vormals jüdischem Eigentum versprochen, und zu der dürfte es nach der Annexion Österreichs 1938 auch gekommen sein. Schon in der entscheidenden Aufsichtsratssitzung im August 1935 wurde darüber gesprochen.4 Das war nicht die einzige Entschädigung. Gundlach bekam seitdem zahlreiche Druckaufträge aus der Partei und von Staatsorganen.

Auch privat nahmen die Oetkers, was man kriegen konnte. Der junge Firmenerbe Rudolf-August lebte und arbeitete seit 1937 in Hamburg. Er wohnte in bester Lage an der Bellevue, einer vornehmen Straße an der Außenalster. Seine Nachbarn waren Carl und Elli Lipmann, wohlhabende Deutsche jüdischer Konfession. Durch die Naziverfolgung sah sich Elli Lipmann 1940 gezwungen, ihr großes Grundstück zu verkaufen. Ein Makler stellte den Kontakt zu Oetker her. Oetker bot 58.000 Reichsmark für das Grundstück, das Lipmann 1925 für 117.000 Reichsmark gekauft hatte. Der zuständige Nazi-Gauleiter drückte den Preis noch weiter herab auf 45.500 Reichsmark.5 Genutzt hat Oetker allerdings die Lipmannsche Villa kaum, denn schon kurze Zeit später wurde er nach Berlin zur Wehrmacht eingezogen, und im März 1942 meldete er sich vermutlich freiwillig zur Waffen-SS. Er nahm auch am Krieg in Russland teil.6

Eine Karriere im SS-Staat

Richard Kaselowsky, dem Gauleiter Meyer nach Übergabe der "Westfälischen Neuesten Nachrichten" ausdrücklich für seinen Einsatz für die Nazipartei dankte, wurde 1935 in den auf sechs Jahre ernannten Bielefelder Stadtrat aufgenommen und war ab 1935 Ehrengast der Nürnberger Reichsparteitage; im September 1935 war er dort vermutlich Zeuge der Verkündung der berüchtigten Nürnberger Rassegesetze, die allen Deutschen jüdischer Konfession die Staatsbürgerschaft aberkannten, ihnen verboten, andere Deutsche zu heiraten und sogar sexuelle Beziehungen zu anderen Deutschen unter strenge Strafe stellten. Wahrscheinlich im gleichen oder im folgenden Jahr wurde Kaselowsky Mitglied des exklusiven "Freundeskreises Reichsführer SS".

Diesen Kreis von Industriellen hatte der Nazi und mittelständische Industrielle Wilhelm Keppler im Dezember 1931 auf Geheiß Hitlers um sich geschart, um den Kontakt zwischen Hitler und führenden deutschen Bankiers und Industriellen zu pflegen.7 Anfangs gehörten ihm u. a. die Bankiers Hjalmar Schacht und Kurt von Schröder, der Vorstandschef der Vereinigten Stahlwerke, Albert Vögler, der Kali-Industrielle August Rosterg und der Siemens-Manager Rudolf Bingel an. Schröder und Vögler spielten eine wichtige Rolle, als Hitler im Januar 1933 - für die Öffentlichkeit überraschend - ins Reichskanzleramt gehievt wurde. Kepplers Nachfolger Fritz Kranefuß diente den "Freundeskreis" im Herbst 1933 dem SS-Führer Heinrich Himmler an. Himmler nutzte diesen Kreis, um Spendengelder für seine zahlreichen Projekte zu akquirieren. Der Kreis war als informeller Club organisiert und traf sich zunächst unregelmäßig, ab 1939 monatlich, meist im "Haus der Flieger" in Berlin. 1939 hatte er 36 Mitglieder, darunter Kaselowsky. 1936 besuchte der "Freundeskreis" das KZ-Lager Dachau, 1939 das KZ-Lager Sachsenhausen. 1937 war man zu Gast im Gestapo-Hauptquartier in der Prinz-Albrecht- Straße in Berlin, wo der berüchtigte Massenmörder Reinhard Heydrich über den Sicherheitsdienst (SD) und andere Nazi-Experten über die Verfolgung von Juden, Kommunisten, Schwulen und Frauen, die abgetrieben hatten, referierten. Im Dezember 1943 besuchte der "Freundeskreis" Himmler in seinem Feldquartier in Ostpreußen. Kaselowsky war immer mit dabei.

Von 1943 und 1944 haben sich Spendenlisten der Himmler-Freunde erhalten. Je 100.000 Reichsmark stifteten Flick, Siemens, Wintershall, Vereinigte Stahlwerke und IG Farben; je 50.000 Deutsche Bank und Dredner Bank; 40.000 kamen von Oetker. Himmler finanzierte mit diesem Geld unter anderem die SS-Forschungsgemeinschaft "Ahnenerbe", die Menschenzüchter vom "Lebensborn" und den Bau einer SS-Kultstätte in der Wewelsburg bei Paderborn.

Kaselowsky nutzte den "Freundeskreis", um die Interessen des Oetker-Konzerns immer wieder bei Regierungs- und Parteistellen platzieren zu können. Beispielsweise blieben Backpulver und Puddingpulver bis 1945 auf den Lebensmittelmarken, und Gundlach druckte diese Marken, Formulare für die Nazibürokratie, Verpackungen für die Soldatenverpflegung oder das berühmte Propagandaplakat "Feind hört mit!".8

Vermutlich ging auch der Einstieg Oetkers in das Reedereigeschäft und somit die später viel gelobte Diversifizierung des Konzerns auf Kaselowskys Kontakte im Freundeskreis Himmler zurück. Die Hamburg-Südamerikanische Dampfschiffahrts-Gesellschaft, kurz Hamburg-Süd, war ab 1930 durch die Weltwirtschaftskrise faktisch in Konkurs geraten, aber von der damaligen Regierung Brüning mit Staatsmitteln gerettet worden. Dadurch war sie in Staatsbesitz geraten. Im September 1936 wurde sie über die Hamburger Vereinsbank wieder privatisiert. Ende 1936 dürfte Kaselowsky die ersten Anteile an der Reederei erworben haben. Da zwei Manager der Reederei Hapag-Lloyd sowie der Hamburger Nazi-Oberbürgermeister Krogmann Mitglieder des Freundeskreises waren, vermutet der Chronist Rüdiger Jungbluth, dass Kaselowksy auf diesem Wege die entscheidenden Tipps bekam.9

Vorbereitung des Krieges

"Wenn auch unsere Waffe auf diesem Gebiet nur der Kochlöffel ist, so soll seine Durchschlagskraft nicht geringer sein als die anderer Waffen." So stimmte Reichsfrauenführerin Gertrud Scholtz-Klink 1937 die deutschen Hausfrauen auf ihre Aufgaben im bevorstehenden Krieg ein. Die Firma Oetker, die die Frauenführerin beizeiten mit einem Besuch ehrte, half schon vor dem Krieg kräftig dabei mit, die Hausfrauen zur sparsamen Verwendung von Lebensmitteln zu erzielen. 1936 veröffentlichte Oetker ein Rezeptheft mit dem Titel " Fett sparen und doch lecker backen", das eine Auflage von 700.000 Stück erreichte. 1937 folgten 3 Millionen Exemplare des Rezepthefts "Backen macht Freude auch mit wenig Fett und Eiern". Gleich nach Kriegsausbruch 1939 begann die Dr.-Oetker-Versuchsküche, ihre Rezepte so abzuwandeln, dass die Hausfrauen mit weniger Zutaten auskamen. Das Ergebnis erschien unter dem Titel "Zeitgemäße Rezepte" mit einer Auflage von 10 Millionen Exemplaren. 1936 und 1937 veranstalteten Oetker-Propagandisten etwa 50.000 Backkurse im gesamten Deutschen Reich, in denen die Spar-Rezepte praktisch eingeübt wurden.10

Für Oetker machte sich diese Werbung bezahlt. Die Produktion expandierte so stark, dass man 1936 in Bielefeld und 1941 in Hamburg jeweils eine neue Fabrik bauen konnte. Die hauswirtschaftlichen Verbände animierten die Frauen immer wieder, ihren Männern und Söhnen Feldpostpäckchen mit selbst gebackenem Kuchen zu schicken. Dafür war Dr. Oetker als Backpulver unentbehrlich. Bis 1943 stieg der Umsatz von Oetker Jahr für Jahr weiter an.11

Ein zusätzliches Motiv für den Bielefelder Neubau war der Wunsch, einen repräsentativen Festsaal zu errichten für die zahlreichen Betriebsversammlungen und Appelle, die in der Nazizeit üblich waren.12 Im April 1937 nahm Kaselowsky in Berlin aus den Händen Adolf Hitlers eine hohe Auszeichnung entgegen: Die Firma Dr. Oetker war aufgrund eines Wettbewerbs als eines von 30 deutschen Unternehmen zum "Nationalsozialistischen Musterbetrieb" ernannt worden.13 Entscheidender Maßstab war die Ausbildung einer militärisch organisierten "Betriebsgemeinschaft". Wie wichtig solche Bemühungen für die Erfolge deutscher Soldaten beim Erobern anderer Länder waren, betonte Gauleiter Alfred Meyer im Januar 1941 bei einer Feier zum 50jährigen Bestehen der Firma Dr. Oetker. Meyer rühmte den Bielefelder Betrieb als einen "Stützpunkt der Volksgemeinschaft" und fuhr fort: "Warum steht unsere Front im Inneren heute so fest? Weil wir diese Volksgemeinschaft [haben], diese Verbundenheit, dieses Gefühl, aufeinander angewiesen zu sein, Schicksals- und Notgemeinschaft zu sein, weil dieses alles nicht nur eine Idee, eine Fantasie ist, sondern Wirklichkeit geworden ist.

Deshalb kann der Führer sich heute so frei den großen Aufgaben widmen, weil die Heimatfront in Ordnung ist."14

Kriegsprofite

Bei der gleichen Jubiläumsfeier sprach "Betriebsführer" Richard Kaselowsky freimütig darüber, dass der Krieg dem Unternehmen gut bekommen sei. Vor allem die Tochterbetriebe in Danzig und Wien hätten erst durch die Besetzung Österreichs und Polens wirtschaftliche Erfolge erzielen können.15

Wahrscheinlich 1941 erwarb Caroline Oetker, die Witwe des Firmengründers und Seniorchefin der Firma, die Aktienmehrheit an Brenner's Park-Hotel in Baden-Baden, dem vornehmsten Hotel des vornehmsten deutschen Badeortes. Der Einstieg des Bielefelder Backpulverkonzerns ins Hotelgeschäft soll ursprünglich eher private Gründe gehabt haben. Möglich geworden war er erst durch die Folgen des Krieges: Beim Aufmarsch gegen Frankreich im Mai 1940 musste das Hotel geschlossen werden, und das hatte den Besitzern, den Gebrüdern Brenner, finanziell das Genick gebrochen. Sie brauchten einen Retter, der die Aktienmehrheit übernahm. Diesen fanden sie in der Familie Oetker, die, so Chronist Rüdiger Jungbluth, erst durch diesen, wirtschaftlich zunächst wenig bedeutsamen Akt in den "Hochadel" der führenden deutschen Familien aufstieg.16

Jungbluth resümmiert über Oetkers Kriegsjahre: "Die Familie wusste kaum, wohin mit ihrem Geld."17 Anfang 1941 übernahm Kaselowsky mit mehreren anderen Kaufleuten die Deutsche Levante-Linie, eine weitere Reederei. Doch das düsterste Kapitel in der Firmengeschichte ist die 1943 gegründete Hunsa-Forschungs-GmbH in Hamburg, ein gemeinsames Unternehmen von Oetker, den Hamburger Phrix-Werken und der SS. Dieses Unternehmen sollte künstliche Nahrungsmittel entwickeln, die man aus Industrieabfällen herstellen wollte.18 Benannt war es nach einem Gebirgsvolk in Pakistan, den Hunza, die sich einem 1942 erschienenen Buch von Ralph Bircher zufolge äußerst karg ernährten und sich dennoch - oder, wie Bircher glaubte, gerade deshalb - angeblich stets bester Gesundheit erfreuten. Die SS dagegen wollte verhindern, dass die KZ-Häftlinge in der Zwangsarbeit zu schnell den Hungertod starben, ohne sie aber deshalb mit mehr knappen Nahrungsmitteln versorgen zu müssen. Die Firma experimentierte mit einem Wurstersatz, der aus Abfällen der Zellstoffproduktion hergestellt wurde. Der SS-Arzt Ernst-Günther Schenck gab dieses Zeug an Häftlinge des Todeslagers Mauthausen bei Linz aus, das für grausame Menschenversuche bekannt war. Nach einem Bericht des Häftlings Ernst Martin sind viele davon elend an Darmerkrankungen gestorben.

Zwangsarbeit

Die Druckerei Gundlach beantragte im Krieg die Zuweisung von 185 Zwangsarbeitern aus den besetzten Ländern, sog. Fremdarbeitern. Die meisten stammten aus Osteuropa, und einige von ihnen wurden schwer misshandelt. Der Gundlach-Generaldirektor Friedrich Schaarschmidt beteiligte sich, wie eine deutsche Arbeiterin nach dem Krieg aussagte, persönlich am Verprügeln einer Russin, die angeblich gestohlen hatte.19

Die Kochs-Adlernähmaschinen-Werke in Bielefeld, die seit den 1920er Jahren mehrheitlich Oetker gehörten, waren im Krieg vollständig auf Rüstungsproduktion umgestellt. Dort waren 670 Zwangsarbeiter eingesetzt, überwiegend aus der Sowjetunion.

Propaganda nach dem Krieg

Richard und Ida Kaselowsky sowie zwei ihrer Töchter kamen im September 1944 bei einem britischen Bombenangriff auf Bielefeld im Keller ihrer Villa ums Leben. Dieser Umstand erleichterte es der Familie Oetker, namentlich dem Firmenerben und langjährigen Patriarchen Rudolf-August Oetker (1916-2007), den von ihm hoch verehrten Stiefvater vor allem als Opfer des Krieges darzustellen - wie schon den 1916 getöteten damaligen Firmenerben Rudolf Oetker, nach dem die 1930 errichtete Bielefelder Konzerthalle benannt ist.

Kaselowskys Stiefsohn finanzierte 1968 teilweise den Bau der Bielefelder Kunsthalle und bestimmte den Architekten Philip Johnson. Johnson hatte 1934 als Anhänger Hitlers in den USA eine faschistische Partei gegründet und 1939 auf Einladung des Reichspropagandaministeriums das von deutschen Soldaten besetzte Polen besucht. Von dort hatte er angeblich nach Hause berichtet: "Die grünen Uniformen der Deutschen sorgten dafür, dass der Ort fröhlich und glücklich wirkte. Juden waren nicht viele zu sehen. Wir sahen Warschau in Flammen und die Bombardierung von Modlin. Es war ein erregendes Schauspiel." (So zitiert 1998)20 Später distanzierte sich Johnson von seiner Hitlerei.

Oetker setzte durch, dass die Kunsthalle, ein wuchtiger, rötlich-brauner Kubus, nach Richard Kaselowsky benannt wurde. Da Kaselowskys aktive und führende Rolle in der Nazizeit in Bielefeld bekannt war, gab es bereits 1968 Proteste gegen diesen Namen, so dass die Leitung der Kunsthalle ihn meist vermied. 1998 setzte Oetker gegenüber der Kunsthalle erneut durch, dass sie künftig stets als Richard-Kaselowsky-Haus firmieren müsse. Das führte zu erregten Debatten in der Öffentlichkeit und im Bielefelder Stadtrat, der schließlich beschloss, diesen Namen wieder abzuschaffen. Zum Ausgleich wurde eine Straße nach Kaselowsky benannt. Verärgert kündigte Oetker die finanzielle Förderung der Kunsthalle auf, ließ seine privaten Kunstwerke aus der Kunsthalle entfernen und drohte sogar mit einer Verlegung des Firmensitzes nach Hamburg.

Familie Oetker verkehrte auch intensiv mit dem Hamburger Architekten und Schiffsdesigner Cäsar Pinnau (1906-1988), in der Nazizeit einer der wichtigsten Auftragnehmer von Albert Speer. 1938 entwarf er die Innenausstattung der Neuen Reichskanzlei, 1940 mehrere Gebäude für die in Berlin geplante gigantomanische Nord-Süd-Achse.21 In den 1950er Jahren entwarf er für die Oetker-Reederei Hamburg-Süd zahlreiche Schiffe und das Hochhaus Hamburg-Süd. Noch 1995 wurde das Cäcilie- Oetker-Stift, eine barockschlossartige Seniorenresidenz auf dem Bielefelder Johannisberg, nach seinen Plänen fertiggestellt.

  1. Rüdiger Jungbluth: Die Oetkers. Geschäfte und Geheimnisse der bekanntesten Wirtschaftsdynastie Deutschlands. Frankfurt/M. 2004 bzw. Berg. Gladbach 2006, S. 109-119
  2. R. Jungbluth: Die Oetkers, S. 118
  3. Dazu und zum Folgenden R. Jungbluth: Die Oetkers, S. 123, 139-142
  4. Ebenda, S. 142
  5. Ebenda, S. 169ff
  6. Ebenda, S. 171ff
  7. Reinhard Volgelsang: Der Freundeskreis Himmler, Göttingen 1972. Ausgewertet von R. Jungbluth: Die Oetkers, S. 133-152
  8. R. Jungbluth: Die Oetkers, S. 151
  9. Ebenda, S. 176ff
  10. Ebenda, S. 154f
  11. Ebenda, S. 162
  12. Ebenda, S. 158, 161
  13. Ebenda, S. 156
  14. Zitiert ebenda, S. 164
  15. Ebenda, S. 163
  16. Ebenda, S. 179-182
  17. Ebenda, S. 185
  18. Ebenda, S. 186ff
  19. Ebenda, S. 152
  20. Korrespondentenbericht aus Bielefeld in World Socialist Web Site 2.12.1998 (www.wsws.org/de/1998/dez1998/biel-d02.shtml)
  21. Wikipedia: Cäsar Pinnau (2009)