07.11.09
Verbrechen der Wirtschaft:
Dr. Oetker (Bielefeld)
Von Toni Kalverbenden (März 2009)
"Arisierung" des Eigentums
von Juden
Die Rolle des 1891 gegründeten Bielefelder Backpulver- und
Pudding-Konzerns Dr. Oetker in der Nazizeit ist eng mit dem Namen
Richard Kaselowsky (1888-1944) verbunden. Der Bielefelder
Unternehmer Kaselowsky stammte aus einer eingesessenen
Industriellenfamilie: Sein Großonkel Ferdinand Kaselowsky hatte
1855 als Ingenieur die Ravensberger Spinnerei in Bielefeld
gegründet. Seine Mutter stammte aus der Bielefelder Textildynastie
Delius. Vor dem Ersten Weltkrieg hatte er Rudolf Oetker kennen
gelernt, den Sohn des Firmengründers August Oetker. Rudolf Oetker
kam als Soldat 1916 bei Verdun ums Leben. 1918 starb der
Firmengründer und verfügte, dass sein Werk später an seinen
zweijährigen Enkelsohn Rudolf-August übergehen solle. Kaselowsky,
der zuvor ein unstetes Leben geführt hatte - zeitweise versuchte er
sein Glück sogar als Hühnerzüchter - schloss sich der Familie
seines toten Freundes an und heiratete im Sommer 1919 dessen Witwe
Ida, wurde damit zum Stiefvater des Firmenerben Rudolf-August Oetker
(1916-2007).
Indessen stand das Unternehmen 1920 plötzlich auf Messers
Schneide. Im Krieg und auch noch in der Nachkriegszeit war das
Geschäft mit Backpulver hervorragend gelaufen. Eines der
Bestandteile war Weinstein. Diesen knappen Rohstoff bezog Oetker
über die Chemische Fabrik Goldenberg aus den USA. Oetker hatte
große Mengen davon bestellt, als plötzlich die Nachfrage nach
Backpulver zusammenbrach. Die Lager waren voll, und der Lieferant
forderte sein Geld, das Oetker nicht hatte.1 Goldenberg
drohte, seine Kredite fällig zu stellen und Oetker in den Konkurs
zu treiben, falls ihm nicht eine Mehrheitsbeteiligung an Oetker
überschrieben werde. Kaselowsky, der soeben die Geschäftsführung
übernommen hatte, handelte mit den Gläubigern einen Deal aus, der
letztlich eine Wette war: Die Firmenleitung versprach, enorme Summen
zu zahlen - und hoffte darauf, dass die galoppierende Inflation die
Last mildern würde. Dieses Kalkül ging auf; die Inflation dauerte
für diesen Zweck noch gerade lange genug an. Der Oetker-Clan
gehörte also wie Stinnes, Flick und Otto Wolff zu den Gewinnern der
großen Inflation von 1920-23. 1923 tauchte plötzlich ein
Konkurrent des Lieferanten Goldenberg auf, die Chemische Fabrik
Budenheim, gegründet vermutlich von früheren
Goldenberg-Angestellten mit Hilfe des Oetker-Managements.
1941 stellte Kaselowsky auf einer Festveranstaltung unter
Hakenkreuzfahnen dieser Episode nachträglich als antisemitischen
Abwehrkampf dar: Man habe damals die Unabhängigkeit der Firma
verteidigen müssen "gegenüber jüdischen Rohstofflieferanten,
die es verstanden hatten, sich während des Krieges Einfluss zu
verschaffen".2
Regelrechte "Arisierungen" gab es wohl im Umfeld des
Bielefelder Druck- und Verlagshauses Gundlach AG, an dem die Familie
Oetker 1925 die Mehrheit übernommen hatte.3 Gundlach
produzierte für Oetker Verpackungen - unter anderem die berühmten
"Backin"-Tüten -, verlegte Bücher und Fachzeitschriften
und seit 1900 eine bürgerlich-liberale Tageszeitung, den
Bielefelder General-Anzeiger, der seit 1918 "Westfälische
Neueste Nachrichten (WNN)" hieß. Es war die größte
Tageszeitung am Platze und behielt diese Rolle auch nach 1933
mitsamt einem florierenden Anzeigengeschäft, während sich das
parteieigene "NS-Volksblatt für Westfalen" dagegen nicht
durchsetzen konnte. Das war den lokalen Nazis ein Dorn im Auge. Die
WNN schwenkte 1933 sofort auf Nazikurs und hetzte z. B. im April
1933 anlässlich des von den Nazis ausgerufenen Judenboykotts gegen
einen Bielefelder Rechtsanwalt jüdischer Konfession. Die Nazipartei
bis hin zu Gauleiter Alfred Meyer und Hitlers Stellvertreter Rudolf
Hess verlangte von Gundlach eine Fusion der WNN mit dem
"NS-Volksblatt". Der Gundlach-Aufsichtsrat sträubte sich
zunächst dagegen, weil er das lukrative Anzeigengeschäft nicht
aufgeben wollte. Der Aufsichtsratsvorsitzende Richard Kaselowsky
indes, der am 1. Mai 1933 der Nazipartei beigetreten war, setzte im
August 1935 durch, dass die WNN faktisch an die Nazipartei
übergeben wurden. Sie fusionierten mit dem
"NS-Volksblatt" und erschienen weiterhin unter dem alten
Namen WNN. Gundlach behielt bis 1940 eine Minderheitsbeteiligung an
der Zeitung. Wahrscheinlich wurde Gundlach eine Entschädigung durch
"arisierte" Verlage aus vormals jüdischem Eigentum
versprochen, und zu der dürfte es nach der Annexion Österreichs
1938 auch gekommen sein. Schon in der entscheidenden
Aufsichtsratssitzung im August 1935 wurde darüber gesprochen.4
Das war nicht die einzige Entschädigung. Gundlach bekam seitdem
zahlreiche Druckaufträge aus der Partei und von Staatsorganen.
Auch privat nahmen die Oetkers, was man kriegen konnte. Der junge
Firmenerbe Rudolf-August lebte und arbeitete seit 1937 in Hamburg.
Er wohnte in bester Lage an der Bellevue, einer vornehmen Straße an
der Außenalster. Seine Nachbarn waren Carl und Elli Lipmann,
wohlhabende Deutsche jüdischer Konfession. Durch die Naziverfolgung
sah sich Elli Lipmann 1940 gezwungen, ihr großes Grundstück zu
verkaufen. Ein Makler stellte den Kontakt zu Oetker her. Oetker bot
58.000 Reichsmark für das Grundstück, das Lipmann 1925 für
117.000 Reichsmark gekauft hatte. Der zuständige Nazi-Gauleiter
drückte den Preis noch weiter herab auf 45.500 Reichsmark.5
Genutzt hat Oetker allerdings die Lipmannsche Villa kaum, denn schon
kurze Zeit später wurde er nach Berlin zur Wehrmacht eingezogen,
und im März 1942 meldete er sich vermutlich freiwillig zur
Waffen-SS. Er nahm auch am Krieg in Russland teil.6
Eine Karriere im SS-Staat
Richard Kaselowsky, dem Gauleiter Meyer nach Übergabe der
"Westfälischen Neuesten Nachrichten" ausdrücklich für
seinen Einsatz für die Nazipartei dankte, wurde 1935 in den auf
sechs Jahre ernannten Bielefelder Stadtrat aufgenommen und war ab
1935 Ehrengast der Nürnberger Reichsparteitage; im September 1935
war er dort vermutlich Zeuge der Verkündung der berüchtigten
Nürnberger Rassegesetze, die allen Deutschen jüdischer Konfession
die Staatsbürgerschaft aberkannten, ihnen verboten, andere Deutsche
zu heiraten und sogar sexuelle Beziehungen zu anderen Deutschen
unter strenge Strafe stellten. Wahrscheinlich im gleichen oder im
folgenden Jahr wurde Kaselowsky Mitglied des exklusiven
"Freundeskreises Reichsführer SS".
Diesen Kreis von Industriellen hatte der Nazi und
mittelständische Industrielle Wilhelm Keppler im Dezember 1931 auf
Geheiß Hitlers um sich geschart, um den Kontakt zwischen Hitler und
führenden deutschen Bankiers und Industriellen zu pflegen.7
Anfangs gehörten ihm u. a. die Bankiers Hjalmar Schacht und Kurt
von Schröder, der Vorstandschef der Vereinigten Stahlwerke, Albert
Vögler, der Kali-Industrielle August Rosterg und der
Siemens-Manager Rudolf Bingel an. Schröder und Vögler spielten
eine wichtige Rolle, als Hitler im Januar 1933 - für die
Öffentlichkeit überraschend - ins Reichskanzleramt gehievt wurde.
Kepplers Nachfolger Fritz Kranefuß diente den
"Freundeskreis" im Herbst 1933 dem SS-Führer Heinrich
Himmler an. Himmler nutzte diesen Kreis, um Spendengelder für seine
zahlreichen Projekte zu akquirieren. Der Kreis war als informeller
Club organisiert und traf sich zunächst unregelmäßig, ab 1939
monatlich, meist im "Haus der Flieger" in Berlin. 1939
hatte er 36 Mitglieder, darunter Kaselowsky. 1936 besuchte der
"Freundeskreis" das KZ-Lager Dachau, 1939 das KZ-Lager
Sachsenhausen. 1937 war man zu Gast im Gestapo-Hauptquartier in der
Prinz-Albrecht- Straße in Berlin, wo der berüchtigte Massenmörder
Reinhard Heydrich über den Sicherheitsdienst (SD) und andere
Nazi-Experten über die Verfolgung von Juden, Kommunisten, Schwulen
und Frauen, die abgetrieben hatten, referierten. Im Dezember 1943
besuchte der "Freundeskreis" Himmler in seinem
Feldquartier in Ostpreußen. Kaselowsky war immer mit dabei.
Von 1943 und 1944 haben sich Spendenlisten der Himmler-Freunde
erhalten. Je 100.000 Reichsmark stifteten Flick, Siemens,
Wintershall, Vereinigte Stahlwerke und IG Farben; je 50.000 Deutsche
Bank und Dredner Bank; 40.000 kamen von Oetker. Himmler finanzierte
mit diesem Geld unter anderem die SS-Forschungsgemeinschaft
"Ahnenerbe", die Menschenzüchter vom
"Lebensborn" und den Bau einer SS-Kultstätte in der
Wewelsburg bei Paderborn.
Kaselowsky nutzte den "Freundeskreis", um die
Interessen des Oetker-Konzerns immer wieder bei Regierungs- und
Parteistellen platzieren zu können. Beispielsweise blieben
Backpulver und Puddingpulver bis 1945 auf den Lebensmittelmarken,
und Gundlach druckte diese Marken, Formulare für die
Nazibürokratie, Verpackungen für die Soldatenverpflegung oder das
berühmte Propagandaplakat "Feind hört mit!".8
Vermutlich ging auch der Einstieg Oetkers in das
Reedereigeschäft und somit die später viel gelobte
Diversifizierung des Konzerns auf Kaselowskys Kontakte im
Freundeskreis Himmler zurück. Die Hamburg-Südamerikanische
Dampfschiffahrts-Gesellschaft, kurz Hamburg-Süd, war ab 1930 durch
die Weltwirtschaftskrise faktisch in Konkurs geraten, aber von der
damaligen Regierung Brüning mit Staatsmitteln gerettet worden.
Dadurch war sie in Staatsbesitz geraten. Im September 1936 wurde sie
über die Hamburger Vereinsbank wieder privatisiert. Ende 1936
dürfte Kaselowsky die ersten Anteile an der Reederei erworben
haben. Da zwei Manager der Reederei Hapag-Lloyd sowie der Hamburger
Nazi-Oberbürgermeister Krogmann Mitglieder des Freundeskreises
waren, vermutet der Chronist Rüdiger Jungbluth, dass Kaselowksy auf
diesem Wege die entscheidenden Tipps bekam.9
Vorbereitung des Krieges
"Wenn auch unsere Waffe auf diesem Gebiet nur der
Kochlöffel ist, so soll seine Durchschlagskraft nicht geringer sein
als die anderer Waffen." So stimmte Reichsfrauenführerin
Gertrud Scholtz-Klink 1937 die deutschen Hausfrauen auf ihre
Aufgaben im bevorstehenden Krieg ein. Die Firma Oetker, die die
Frauenführerin beizeiten mit einem Besuch ehrte, half schon vor dem
Krieg kräftig dabei mit, die Hausfrauen zur sparsamen Verwendung
von Lebensmitteln zu erzielen. 1936 veröffentlichte Oetker ein
Rezeptheft mit dem Titel " Fett sparen und doch lecker
backen", das eine Auflage von 700.000 Stück erreichte. 1937
folgten 3 Millionen Exemplare des Rezepthefts "Backen macht
Freude auch mit wenig Fett und Eiern". Gleich nach
Kriegsausbruch 1939 begann die Dr.-Oetker-Versuchsküche, ihre
Rezepte so abzuwandeln, dass die Hausfrauen mit weniger Zutaten
auskamen. Das Ergebnis erschien unter dem Titel "Zeitgemäße
Rezepte" mit einer Auflage von 10 Millionen Exemplaren. 1936
und 1937 veranstalteten Oetker-Propagandisten etwa 50.000 Backkurse
im gesamten Deutschen Reich, in denen die Spar-Rezepte praktisch
eingeübt wurden.10
Für Oetker machte sich diese Werbung bezahlt. Die Produktion
expandierte so stark, dass man 1936 in Bielefeld und 1941 in Hamburg
jeweils eine neue Fabrik bauen konnte. Die hauswirtschaftlichen
Verbände animierten die Frauen immer wieder, ihren Männern und
Söhnen Feldpostpäckchen mit selbst gebackenem Kuchen zu schicken.
Dafür war Dr. Oetker als Backpulver unentbehrlich. Bis 1943 stieg
der Umsatz von Oetker Jahr für Jahr weiter an.11
Ein zusätzliches Motiv für den Bielefelder Neubau war der
Wunsch, einen repräsentativen Festsaal zu errichten für die
zahlreichen Betriebsversammlungen und Appelle, die in der Nazizeit
üblich waren.12 Im April 1937 nahm Kaselowsky in Berlin
aus den Händen Adolf Hitlers eine hohe Auszeichnung entgegen: Die
Firma Dr. Oetker war aufgrund eines Wettbewerbs als eines von 30
deutschen Unternehmen zum "Nationalsozialistischen
Musterbetrieb" ernannt worden.13 Entscheidender
Maßstab war die Ausbildung einer militärisch organisierten
"Betriebsgemeinschaft". Wie wichtig solche Bemühungen
für die Erfolge deutscher Soldaten beim Erobern anderer Länder
waren, betonte Gauleiter Alfred Meyer im Januar 1941 bei einer Feier
zum 50jährigen Bestehen der Firma Dr. Oetker. Meyer rühmte den
Bielefelder Betrieb als einen "Stützpunkt der
Volksgemeinschaft" und fuhr fort: "Warum steht unsere
Front im Inneren heute so fest? Weil wir diese Volksgemeinschaft
[haben], diese Verbundenheit, dieses Gefühl, aufeinander angewiesen
zu sein, Schicksals- und Notgemeinschaft zu sein, weil dieses alles
nicht nur eine Idee, eine Fantasie ist, sondern Wirklichkeit
geworden ist.
Deshalb kann der Führer sich heute so frei den großen Aufgaben
widmen, weil die Heimatfront in Ordnung ist."14
Kriegsprofite
Bei der gleichen Jubiläumsfeier sprach
"Betriebsführer" Richard Kaselowsky freimütig darüber,
dass der Krieg dem Unternehmen gut bekommen sei. Vor allem die
Tochterbetriebe in Danzig und Wien hätten erst durch die Besetzung
Österreichs und Polens wirtschaftliche Erfolge erzielen können.15
Wahrscheinlich 1941 erwarb Caroline Oetker, die Witwe des
Firmengründers und Seniorchefin der Firma, die Aktienmehrheit an
Brenner's Park-Hotel in Baden-Baden, dem vornehmsten Hotel des
vornehmsten deutschen Badeortes. Der Einstieg des Bielefelder
Backpulverkonzerns ins Hotelgeschäft soll ursprünglich eher
private Gründe gehabt haben. Möglich geworden war er erst durch
die Folgen des Krieges: Beim Aufmarsch gegen Frankreich im Mai 1940
musste das Hotel geschlossen werden, und das hatte den Besitzern,
den Gebrüdern Brenner, finanziell das Genick gebrochen. Sie
brauchten einen Retter, der die Aktienmehrheit übernahm. Diesen
fanden sie in der Familie Oetker, die, so Chronist Rüdiger
Jungbluth, erst durch diesen, wirtschaftlich zunächst wenig
bedeutsamen Akt in den "Hochadel" der führenden deutschen
Familien aufstieg.16
Jungbluth resümmiert über Oetkers Kriegsjahre: "Die
Familie wusste kaum, wohin mit ihrem Geld."17 Anfang
1941 übernahm Kaselowsky mit mehreren anderen Kaufleuten die
Deutsche Levante-Linie, eine weitere Reederei. Doch das düsterste
Kapitel in der Firmengeschichte ist die 1943 gegründete
Hunsa-Forschungs-GmbH in Hamburg, ein gemeinsames Unternehmen von
Oetker, den Hamburger Phrix-Werken und der SS. Dieses Unternehmen
sollte künstliche Nahrungsmittel entwickeln, die man aus
Industrieabfällen herstellen wollte.18 Benannt war es
nach einem Gebirgsvolk in Pakistan, den Hunza, die sich einem 1942
erschienenen Buch von Ralph Bircher zufolge äußerst karg
ernährten und sich dennoch - oder, wie Bircher glaubte, gerade
deshalb - angeblich stets bester Gesundheit erfreuten. Die SS
dagegen wollte verhindern, dass die KZ-Häftlinge in der
Zwangsarbeit zu schnell den Hungertod starben, ohne sie aber deshalb
mit mehr knappen Nahrungsmitteln versorgen zu müssen. Die Firma
experimentierte mit einem Wurstersatz, der aus Abfällen der
Zellstoffproduktion hergestellt wurde. Der SS-Arzt Ernst-Günther
Schenck gab dieses Zeug an Häftlinge des Todeslagers Mauthausen bei
Linz aus, das für grausame Menschenversuche bekannt war. Nach einem
Bericht des Häftlings Ernst Martin sind viele davon elend an
Darmerkrankungen gestorben.
Zwangsarbeit
Die Druckerei Gundlach beantragte im Krieg die Zuweisung von 185
Zwangsarbeitern aus den besetzten Ländern, sog. Fremdarbeitern. Die
meisten stammten aus Osteuropa, und einige von ihnen wurden schwer
misshandelt. Der Gundlach-Generaldirektor Friedrich Schaarschmidt
beteiligte sich, wie eine deutsche Arbeiterin nach dem Krieg
aussagte, persönlich am Verprügeln einer Russin, die angeblich
gestohlen hatte.19
Die Kochs-Adlernähmaschinen-Werke in Bielefeld, die seit den
1920er Jahren mehrheitlich Oetker gehörten, waren im Krieg
vollständig auf Rüstungsproduktion umgestellt. Dort waren 670
Zwangsarbeiter eingesetzt, überwiegend aus der Sowjetunion.
Propaganda nach dem Krieg
Richard und Ida Kaselowsky sowie zwei ihrer Töchter kamen im
September 1944 bei einem britischen Bombenangriff auf Bielefeld im
Keller ihrer Villa ums Leben. Dieser Umstand erleichterte es der
Familie Oetker, namentlich dem Firmenerben und langjährigen
Patriarchen Rudolf-August Oetker (1916-2007), den von ihm hoch
verehrten Stiefvater vor allem als Opfer des Krieges darzustellen -
wie schon den 1916 getöteten damaligen Firmenerben Rudolf Oetker,
nach dem die 1930 errichtete Bielefelder Konzerthalle benannt ist.
Kaselowskys Stiefsohn finanzierte 1968 teilweise den Bau der
Bielefelder Kunsthalle und bestimmte den Architekten Philip Johnson.
Johnson hatte 1934 als Anhänger Hitlers in den USA eine
faschistische Partei gegründet und 1939 auf Einladung des
Reichspropagandaministeriums das von deutschen Soldaten besetzte
Polen besucht. Von dort hatte er angeblich nach Hause berichtet:
"Die grünen Uniformen der Deutschen sorgten dafür, dass der
Ort fröhlich und glücklich wirkte. Juden waren nicht viele zu
sehen. Wir sahen Warschau in Flammen und die Bombardierung von
Modlin. Es war ein erregendes Schauspiel." (So zitiert 1998)20
Später distanzierte sich Johnson von seiner Hitlerei.
Oetker setzte durch, dass die Kunsthalle, ein wuchtiger,
rötlich-brauner Kubus, nach Richard Kaselowsky benannt wurde. Da
Kaselowskys aktive und führende Rolle in der Nazizeit in Bielefeld
bekannt war, gab es bereits 1968 Proteste gegen diesen Namen, so
dass die Leitung der Kunsthalle ihn meist vermied. 1998 setzte
Oetker gegenüber der Kunsthalle erneut durch, dass sie künftig
stets als Richard-Kaselowsky-Haus firmieren müsse. Das führte zu
erregten Debatten in der Öffentlichkeit und im Bielefelder
Stadtrat, der schließlich beschloss, diesen Namen wieder
abzuschaffen. Zum Ausgleich wurde eine Straße nach Kaselowsky
benannt. Verärgert kündigte Oetker die finanzielle Förderung der
Kunsthalle auf, ließ seine privaten Kunstwerke aus der Kunsthalle
entfernen und drohte sogar mit einer Verlegung des Firmensitzes nach
Hamburg.
Familie Oetker verkehrte auch intensiv mit dem Hamburger
Architekten und Schiffsdesigner Cäsar Pinnau (1906-1988), in der
Nazizeit einer der wichtigsten Auftragnehmer von Albert Speer. 1938
entwarf er die Innenausstattung der Neuen Reichskanzlei, 1940
mehrere Gebäude für die in Berlin geplante gigantomanische
Nord-Süd-Achse.21 In den 1950er Jahren entwarf er für
die Oetker-Reederei Hamburg-Süd zahlreiche Schiffe und das Hochhaus
Hamburg-Süd. Noch 1995 wurde das Cäcilie- Oetker-Stift, eine
barockschlossartige Seniorenresidenz auf dem Bielefelder
Johannisberg, nach seinen Plänen fertiggestellt.
- Rüdiger Jungbluth: Die Oetkers. Geschäfte und Geheimnisse
der bekanntesten Wirtschaftsdynastie Deutschlands. Frankfurt/M.
2004 bzw. Berg. Gladbach 2006, S. 109-119
- R. Jungbluth: Die Oetkers, S. 118
- Dazu und zum Folgenden R. Jungbluth: Die Oetkers, S. 123,
139-142
- Ebenda, S. 142
- Ebenda, S. 169ff
- Ebenda, S. 171ff
- Reinhard Volgelsang: Der Freundeskreis Himmler, Göttingen
1972. Ausgewertet von R. Jungbluth: Die Oetkers, S. 133-152
- R. Jungbluth: Die Oetkers, S. 151
- Ebenda, S. 176ff
- Ebenda, S. 154f
- Ebenda, S. 162
- Ebenda, S. 158, 161
- Ebenda, S. 156
- Zitiert ebenda, S. 164
- Ebenda, S. 163
- Ebenda, S. 179-182
- Ebenda, S. 185
- Ebenda, S. 186ff
- Ebenda, S. 152
- Korrespondentenbericht aus Bielefeld in World Socialist Web
Site 2.12.1998 (www.wsws.org/de/1998/dez1998/biel-d02.shtml)
- Wikipedia: Cäsar Pinnau (2009)
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