Heartfield: "Millionen stehen hinter Hitler"

Rallye „Spurensuche Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945“

Ein Projekt der VVN/BdA NRW

 

29.05.08

Die Verbrechen der Quandts 

aus: "Mörderisches Finale", Köln 2008

..... Was war 1945 wirklich geschehen? Gardelegen war wenige Tage vor Ende des Zweiten Weltkriegs Ort eines der brutalsten Naziverbrechen. In der zweiten Aprilwoche 1945 wurden in einer Feldscheune in Isenschnibbe bei Gardelegen über eintausend Zwangsarbeiter - bei Becker "einige Hundert" - von Faschisten verbrannt. Sie kamen aus einer 3.000 KZ-Häftlinge umfassenden Gruppe, die von ihren Bewachern aus dem Harz, aus Hamburg und Hannover auf einem der sogenannten Todesmärsche durchs Land getrieben wurde, um sie vor den herannahenden US-Panzertruppen zu verbergen. Über tausend nicht mehr gehfähige Männer, Frauen und Kinder wurden bei Gardelegen aus der Kolonne geholt, viele von ihnen totgeprügelt. Örtliche NSDAP-Aktivisten ermordeten die übrigen, indem sie sie in eine Scheune trieben und verbrannten oder auf der Flucht erschossen.. Weitere Häftlinge - jene, die sich entfernt und versteckt hatten - wurden von Volkssturmtrupps in und um Gardelegen erschossen.

Nur einen Tag später waren die US-Truppen da. 

Ulrich Sander „Mörderisches Finale“ Nachtrag: Es dauerte 62 Jahre, bis ein weiterer bezeichnender Aspekt des Mordes von Gardelegen-Isenschnibbe einer größeren Öffentlichkeit bekannt wurde. Im November 2007 veröffentlichte der Norddeutsche Rundfunk im Fernsehen den Film "Das Schweigen der Quandts". Diese Familie gehört zu den reichsten der Welt - und ihr Reichtum fußt vor allem auf der Ausbeutung der Zwangsarbeiter im Kriege und auf den Profiten aus der Hochrüstung. Sie hat sich nie bei ihren Opfern entschuldigt und sie auch nie wirklich entschädigt. Sie hat auch nie ein Wort des Bedauerns darüber gefunden, dass der Wehrwirtschaftsführer und Nazi-Funktionär Günther Quandt, dessen Erbe die Familie 1954 antrat, gemeinsam mit seinem Sohn Herbert als Schreibtischtäter am Mord von Gardelegen beteiligt war. Vom Akkumulatorenwerk der Quandts in Hannover-Stöcken deportierten diese Herren Hunderte nicht mehr arbeitsfähige Zwangsarbeiter aus ihrem firmeneigenen KZ nach Gardelegen. Dort wurden sie Opfer der Mordaktion in der Scheune von Isenschnibbe. Quandt sen. wurde nie für seine Untaten bestraft, nach 1945 war er als "Mitläufer" entnazifiziert worden. Bei seinem 60. Geburtstag im Juli 1941 sagte der Chef der Deutschen Bank Hermann Abs (Bonn): "Ihre hervorstechendste Eigenschaft ist Ihr Glaube an Deutschland und den Führer." Daran hielt er fest. Den von Hitler zum Nachkriegsnachfolger des Propagandaministers Joseph Goebbels ernannten Staatssekretär Werner Naumann förderte er bei seinen Naziaktivitäten im Nachkriegsdeutschland. Die Familie Quandt stellte Naumann als Direktor in ihrer Firma Busch-Jaeger Lüdenscheider Metallwerke ein. 

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Von den Tatorten: 

Hannover 

6. April 1945: SS-Leute treiben drei Kolonnen ausländischer Häftlinge auf den Seelhorster Friedhof in Hannover und bringen 155 von der Gestapo "zum Tode verurteilte" Lagerinsassen um. Auf dem Friedhof befanden sich etwa 400 weitere Opfer aus Lagern, darunter viele aus dem Außenlager des KZ Neuengamme in Hannover-Stöcken, dem sog. Firmen-KZ der Familie des Wehrwirtschaftsführers Quandt. Die Ermordung wurde von der Gestapo-Leitstelle in Hannover-Ahlem organisiert. Am 2. Mai werden "belastete Nazis" von der US-Armee herangezogen, um das Massengrab freizulegen: 526 Leichen werden entdeckt. 386 werden in einem Trauerzug zum Maschsee gefahren und am Nordufer beigesetzt.

Isenschnibbe bei Gardelegen/Sachsen-Anhalt 

13. April 1945: Massaker in einer Scheune bei Isenschnibbe bei Gardelegen. 1.017 KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter, darunter 63 jüdische Häftlinge, werden dabei von NSDAP-Aktivisten wie Gerhard Thiele, Wilhelm Biermann und Arno Brake ermordet. Sie werden in einer Scheune verbrannt oder auf der Flucht erschossen. Unter den Opfern waren auch Hunderte Zwangsarbeiter des Konzerns der Familie Quandt. (Lt. Bundesarchiv, zitiert in Presseerklärung über die Ehrung von Biermann und Brake durch die Stadt Halle am 1.6.2003, VVN Sachsen-Anhalt). Später wird berichtet: "Etwas außerhalb auf einer Anhöhe findet man die Überreste einer Scheune und ein Gräberfeld mit 1.016 Kreuzen. Hier wurden Häftlinge aus den Konzentrationslagern Hannover-Stöcken und Mittelbau-Dora im Harz am 13. April 1945 bei lebendigem Leib verbrannt. Nur einen Tag später rückten die US-Truppen an. Unter der amerikanischen Besatzung mussten die Einwohner von Gardelegen die Opfer des Massenmordes in Einzelgräbern bestatten. Zu den wenigen Überlebenden gehören vier französische Widerstandskämpfer. Lucien Amaro, Weinbauer in Südfrankreich, hat als Anarchist schon im spanischen Bürgerkrieg gekämpft. Lucien feiert zwei Mal im Jahr Geburtstag und organisiert Fotoausstellungen über KZ-Gedenkstätten." ("antifa", Hamburg-Seite, Febr./März 2005)

Quelle: Mörderisches Finale - Die Kriegsendverbrechen des NS-Regimes, von Ulrich Sander - Herausgegeben vom Internationalen Rombergparkkomitee. 2008 bei papy rossa, Köln - ca. 192 Seiten - EURO 12,90 (Das Buch enthält viele Stationen einer Rallye, so die Stätten der Kriegsendphasenverbrechen in NRW.)