"Wir wollen diese Eliten nie wieder an der
Spitze sehen!"
Rede von Ulrich Sander (VVN-BdA
NRW) vor dem Westfälischen Industrieclub Dortmund aus Anlaß des
Jahrestages der Machtübergabe an die Nazis am 30.1.1933
Antifaschistische Mahnwachen finden in diesen Tagen, da sich
wichtige Daten aus den Anfangs- und Endphasen des Naziregimes jähren,
in vielen Städten an Orten der Erinnerung und Mahnung sowie Warnung
statt. Warnung auch vor denen, die Hitler halfen, an die Macht zu
kommen, und die von ihm profitierten. Deshalb stehen wir hier am
Westfälischen Industrieclub.
Wir könnten auch in Hörde an der Hermannstraße der Mittäterschaft
der Stahlindustrie gedenken und zwar dort, wo im April 1945 60 Jüdinnen
und Zwangsarbeiter aus dem Betrieb zur Erschießung in die
Bittermark geführt wurden. Wir könnten auch am Schwanenwall 4 eine
Mahnwache machen, wo der Sitz der NSDAP war und der Gauleiter Albert
Hoffmann saß, der als Nazibonze so reich wurde, dass sein Sohn
Bolko Hoffmann noch immer als Erbe Geld genug hat, um für seine
Pro-DM-Partei in großen Zeitungsanzeigen zu werben und jetzt mit
Herrn Schill den Start einer neuen Rechtspartei zu wagen.
Nun, wenden wir uns dem Westfälischen Industrieklub in Dortmund
zu. Dieser Klub, der sich früher Ruhrlade nannte, war eine jener Stätten,
an denen 1932/33 die Würfel zugunsten jenes "Dritten
Reiches" fielen, das nicht möglich werden konnte ohne die
Zustimmung der Eliten, vor allem der ökonomischen. In Dortmund trug
der Sitz des Westfälischen Industrieklubs lange den Namen
"Albert Vögler Haus". Wir Antifaschisten erinnern auch in
diesem Jahr an das Treffen der Wegbereiter Hitlers Franz von Papen
(Ex-Kanzler und Zentrumspolitiker), Albert Vögler (Vereinigte
Stahlwerke) und Fritz Springorum (Hoesch) im Januar 1933 in
Dortmund. Diese und andere Herren der geheimen diktatorischen
"Ruhrlade" beschlossen, die Hitler-Diktatur mit zu
etablieren und zu finanzieren. Papen war gerade vom Treffen mit NS-Führer
Hitler und Bankier von Schroeder in Köln gekommen, wo die
Entscheidung zugunsten der Kanzlerschaft Hitlers fiel. Am 30. Januar
1933 wurde dann der Führer der Nazipartei an die Macht geschoben.
Seinem Kabinett gehörten nur drei Nazis, ansonsten nur Herren aus
den konservativen und militärischen Eliten an.
In der Gedenkhalle Oberhausen steht der Satz "Faschismus
kommt nicht über Nacht, er wird vom Kapital gemacht". Wir
wollen diesen Satz durchaus relativieren, und wir stellen zu recht
fest, dass der Faschismus an der Macht auch andere als ökonomischen
Wurzeln hat und dass der Kapitalismus nicht zwangsläufig im
Faschismus einmünden muß, sondern verhindert werden kann durch den
demokratischen massenhaften Protest.
Deshalb stehen wir heute hier. Wir erinnern an die
Komplizenschaft von maßgeblichen Teilen des Konservatismus und der
Industrie wie auch der Banken und der Großagrarier mit Hitler,
indem wir vor dem ehemaligen Vögler-Haus am Alten Markt diese
Zwischenkundgebung abhalten.
Spätestens in diesem Jahr böte sich eigentlich eine weitere
Zwischenkundgebung an, und zwar vor dem Haus Schwanenwall 23. Dort
sitzt der nordrhein-westfälische Bund der Selbständigen. Der
zweite Vorsitzende dieses Verbandes der mittelständischen
Kapitalisten heißt Martin Hohmann, bis vor kurzem Mitglied der
CDU-Bundestagsfraktion. Er hatte am 3. Oktober in seiner
antisemitischen Rede angemerkt, dass man die Juden "mit einiger
Berechtigung" als "Tätervolk" bezeichnen könnte.
Hohmann sagte über die Neonazibanden, die unsere Städte mit Aufmärschen
belästigen, sie versammelten sich unter den "Symbolen des
Guten". CSU-Chef Edmund Stoiber distanzierte sich zwar von
Hohmann, unterhielt aber gute Kontakte zu dem Bund der Selbständigen,
und er bekam einen Preis der Zeitschrift dieses Bundes, genannt
"DS-Magazin", ein Glied in der Kette rechter
Publikationen. Und reaktionäre Bundeswehroffiziere gehören zum
Umfeld des "Bundes der Selbständigen" im Rahmen der
nahestehenden Organisationen "Stimme der Mehrheit" und
"Staats- und Wirtschaftspolitische Gesellschaft".
Heutzutage wird die Rolle der ökonomischen und konservativen
Eliten an der Machtübertragung an Hitler gern verschwiegen, gar
geleugnet. Der Begriff Elite wird sogar wieder salonfähig. Schon
vor seiner Wahl hat Bundeskanzler Schröder (Weihnachten 1996,
Hamburger Abendblatt) gesagt, er könne ohne Zustimmung der ökonomischen
und kulturellen Eliten zwar Kanzler werden, aber es nicht sein. Und
so macht die Regierung heute Politik gegen die kleinen Leute und für
die Eliten, vor allem für die Reichen.
Doch 1945 schworen sich die Menschen: Nie wieder. Der Januar 1933
mahnt. Wir wollen diese Eliten nie wieder an der Spitze sehen!
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